vonImma Luise Harms 31.05.2023

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Letzte Woche haben O. und C. aus dem Nachbarort spontan ein Treffen in unserer Küche einberufen, zu dem sie auch F. aus dem anderen Nachbardorf gebeten hatten. S. aus unserem Gemeinderat kam nicht; er hatte es vergessen. Wir erfuhren, dass die drei irgendwie versuchen wollen, mit uns gemeinsam den Bau weiterer Windkraftanlagen zu verhindern, und zwar in dem Dreieck zwischen unseren drei Dörfern. Jetzt scheint kein Kraut mehr dagegen gewachsen. Die Habeck’sche Energiepolitik setzt zurzeit alle Möglichkeiten von Einwendungen außer Kraft – verringerte Abstände, Rotorenlärm, Gefährdung von Seeadlern und anderen Großvögeln und dass das Landschaftsbild in unmittelbarer Nachbarschaft zur Märkischen Schweiz verbaut wird.

Thomas und ich lächeln verlegen, wir sind etwas zögerlich, in den Protest einzustimmen. Angesichts der Klimaveränderung, die sich hier in den immer längeren Dürreperioden nur allzu deutlich zeigt, sehen wir keine Rechtfertigung für den Anspruch auf unverbaute Landschaft. Aber F. ereifert sich: Man kann den Artenschutz doch nicht für den Klimaschutz opfern! Damit wäre doch nichts gewonnen, wenn man die Erwärmung abwendet und die Vielfalt der Natur dafür opfert! Und Landschaft, Weite sei doch auch ein hohes zu schützendes Gut, gerade hier auf dem Land!

Wir sind nur halb überzeugt und denken: Na, die wollen die Dinger nicht vor ihrer Nase haben. Die Herzhorner und Schulzendorfer auf der anderen Seite von Reichenow wollten das auch nicht, mussten es aber hinnehmen. Kann man ja auch gut  verstehen, dass die auf der östlichen Seite nicht begeistert über die in Aussicht gestellte neue Nachbarschaft sind.  Da haben sie wahrscheinlich breite Unterstützung von der Dorfbevölkerung, und auch von patriotischen politischen Kräften, die kein Problem mit Kohleförderung und Atomkraft haben. Wir weisen vorsichtig auf die möglicherweise unheilige Allianz hin, in die der Widerstand gegen weitere Windkraftanlagen schlittern könnte.

Vor zehn Jahren haben wir versucht, den Reichenower:innen ihren Widerstand gegen die Windmühlen auszureden, indem wir für die Idee einer Windkraftanlage in Bürger:innen-Hand geworben haben – als Wahrzeichen der Gemeinnützigkeit, die den Türmen in der Landschaft eine ganz andere Ausstrahlung hätte geben können. Es war vergeblich. Der Eigennutz der bäuerlichen Privatverpächter und die lang aufgestauten Ressentiments der Einheimischen gegen die westlich geprägte Öko-Politik haben jede Suche nach klimafreundlichen, dabei ästhetisch akzeptablen Varianten zunichte gemacht. Jetzt stehen auch auf Reichenower Gemarkung drei Mühlen, und auf Prötzeler Gebiet entlang der Straße Richtung Strausberg weitere – je neuer, desto größer. Gerade werden nochmal neun dazu gebaut, inzwischen wirklich Monster, bei denen bereits die Flügel erschreckende Ausmaße haben.

Aber ich habe meinen Frieden mit den Leuchttürmen zukünftiger Energiegewinnung gemacht. Auch in unserer kleinen Verhinderungsrunde sage ich nachdenklich: „Komisch – je mehr es werden, desto weniger stören sie mich!“, was mit Schweigen und irritierten Blicken kommentiert wird. Aber es stimmt: eine einzelne Anlage fesselt auf unangenehme Weise meinen Blick, eine ganze Ansammlung ist halt eine Art Wald, dessen Baumkronen überall in den Himmel reinwedeln.

In jedem Fall würden wir eher dafür plädieren, bei den regenerativen Energien mitzugestalten statt zu verhindern, wobei dieser Zug bei den Windkraftanlagen wohl abgefahren ist. Anders ist es noch bei den Photovoltaik-Feldern, die sich im Oderbruch und hier auf dem Barnim immer mehr breitmachen. Dort können die Gemeinden noch ihre Zustimmung verweigern und damit die Errichtung von großen Anlagen verhindern. Und das machen sie; auch der Reichenower Gemeinderat sperrt sich beharrlich, trotz aller Versprechungen von Seiten der beantragenden Firmen. Man hat schlechte Erfahrungen gemacht. Die schon errichteten Solarfelder wurden nicht, wie versprochen, mit einem Gehölzband umpflanzt, sondern stehen nackt und gleißend in der Landschaft.

Wahrscheinlich wird auch hier früher oder später die Bundespolitik durchgreifen und den verspiegelten Flächen die Hindernisse aus dem Weg räumen. So ganz verstehe ich auch hier den Widerstand nicht  (außer in Hohensaaten, wo für die Errichtung einer großen Photovoltaik-Anlage ein ganzer Wald abgeholzt werden soll!) Ich meine, auch jetzt schon wächst hauptsächlich Strom und Diesel auf den Feldern; die Monokulturen aus Raps, Mais und auch Getreide sind zum großen Teil für die Biogas-Anlagen bestimmt, auch wenn die Halme bis zur Ernte noch so malerisch im Wind wedeln. Da wachsen schon lange keine Nahrungsmittel mehr.

Noch könnten die Gemeinden mitbestimmen statt zu blockieren, wenn zum Beispiel darauf geachtet wird, Versprechungen rechtlich bindend zu machen. Zwei mutige Reichenower:innen haben im letzten „Dreizeiger“, dem Reichenower Dorfblatt, die störrischen Gemeinderatsmitglieder und ihr Wahlvolk in die Zange zwischen Utopie und Dystopie  genommen. Ihre beiden Beiträge sollen hier wiedergegeben werden:

 

 

Märkischer Sandbote: Reichenower Sonnenfließ – ein Publikumsmagnet
Preisgekrönte PV-Anlage zieht immer mehr Tourist*innen an

Reichenow-Möglin, 5. Mai 2035

Die Gemeinde Reichenow-Möglin feiert an diesem Wochenende stolz das 10-jährige Bestehen ihrer preisgekrönten PV-Anlage Sonnenfließ. Die aufwändig konzipierte Photovoltaik-Anlage ist bis heute ein Wegweiser der Energiewende und hat überregional Bedeutung erlangt. Sie gilt als zukunftsweisender Entwurf von Kulturlandschaft. Wie schaffte es die Gemeinde, die intelligente Verknüpfung von Energiegewinnung aus Sonnenlicht mit Regenwassernutzung, Artenschutz und Boden Renaturierung zu so einem Erfolgsmodell zu machen?

In der Planungsphase der Anlage, das war in den 2020er Jahren, brach viel Streit vom Zaun“ erinnert sich Bürgermeister Hickstein a.D. „Es gab einige Bürger*innen-Initiativen. Dafür und dagegen. Damals viel Fluch, heute ist die Anlage ein Segen für die Gemeinde – und sogar für die Landwirtschaft. Ausschlaggebend war schlussendlich, dass alle mitmachen mussten aber auch alle davon profitieren. Das hat auch die Letzten überzeugt.“

Das Innovative an der Anlage ist ihre ringförmige Bauweise: wie ein breites Flussbett liegt sie in der Landschaft und durchzieht das gesamte Gemeindegebiet. Mit ca. 400 ha ist die Anlage nennenswert groß, jedoch an keiner Stelle eine Zumutung für die Anwohnenden. Nahezu alle der lokalen Landwirtschaftsbetriebe haben Flächen in das Projekt eingebracht.

Eine Landwirtin im Dorf war zunächst wenig begeistert von den Plänen für das Sonnenfließ. Doch dann kam die Einsicht: „Bei den ersten Ideen zu der Anlage im Jahr 2023 war bereits absehbar war, dass die Sommer ab den 2030er Jahren immer heißer und trockener werden und die klassische Bestellung der Felder nicht mehr hinhaut. Es wurden Tagestemperaturen vorausgesagt, die langanhaltend im Durchschnitt bei ca. 35° liegen könnten und bis zu 3 Monate kein Niederschlag. Das wollte niemand richtig glauben. Aber – nun isses ja so“.

Vorrausschauend wurden die PV-Module mit Regenrinnen und die Anlage mit Zisternen ausgestattet, die sich im Frühjahr bei Starkregen füllen und aus denen den Sommer über das Regenwasser zurück in die Erde abgegeben wird. So entsteht ein feuchter Ring um die im Inneren liegenden Felder.

Früher hatte ich hier Mais“ sagt die Landwirtin. „Kannste jetzt vergessen. Ich baue nun hauptsächlich Hirse und Hanf an, das bringt gute Erträge und geht auch auf kleineren Flächen.“

Die PV-Module sind von einer dichten Wildgehölz-Hecke eingefriedet, die einen Zaun verzichtbar macht. Im Innern des blauen Bandes verläuft ein 8 Meter breiter und 12 km langer Mittelweg, ebenfalls links und rechts von Hecken besäumt, der mehrfach von Abzweigen gekreuzt wird. Dieses Wegenetz ermöglicht einerseits Wildwechsel und wird andererseits als Spazier-, Rad- und Reitweg gerne genutzt.

Mit ihren dichten Hecken fungiert die Anlage auch als Windstopper. Nachdem Gehölze und Baumreihen stark dezimiert wurden, peitscht der heiße Wind im Sommer andernorts ungebremst über die Felder und trocknet diese noch mehr aus. Nicht so im Innern des Sonnenfließ.

Heike, eine langjährige Mitarbeiterin des NaBu erläutert: „Der Abstand der Photovoltaik-Module ist mit 5-6 Metern großzügiger als in anderen Anlagen. Zwischen den Modulen sind Blühwiesen angelegt. Der Verzicht auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sorgt für eine Renaturierung und holte fast sämtliche noch existierende Insektenarten zurück in die Region. Allein 44 verschiedene Tagfalter Arten konnten hier wieder heimisch werden. Der Humus unter der gesamten Fläche der Anlage ist nachgewiesenermaßen erneut sehr fruchtbar und bietet Bodentieren, Pilzen und Nematoden einen guten Nährboden – das wirkt sich auch positiv auf die anliegenden Felder aus.“

Für den Energie-Tourismus hat die Anlage einiges zu bieten: Hölzerne Aussichtstürme säumen den zentralen Grünstreifen. Zusammen ergeben sie einen informativen Rundweg. Hier wird über die diversen Insektenarten und das zurück gekehrte Leben in der Tiefe des Bodens informiert.

Die Türme sind außerdem ein Horst für Fledermäuse, für Eulen und sie bieten mit künstlichen Äste Sitzplätze für Vogel. Schafherden werden in die Anlage gebracht, um den Bewuchs in Schach zu halten und finden hier Schatten in den heißesten Monaten im Jahr.

An der Kreuzung Abzweig nach Reichenow liegt das Kraftwerk der Anlage. Hier wird Interessierten angezeigt, wie viel Strom in der Anlage erzeugt wird und wie viel Strom von den anliegenden Dörfern verbraucht wird, die an die Anlage angeschlossen sind. Der Strom in der Gemeinde ist kostenlos. Auch das Laden von e-Autos und e-Bikes ist hier auf einem überdachten Parkplatz möglich, der zugleich als Shuttle-Parkplatz für den Elektrobus nach Strausberg dient.

Matthes, ein neu Zugezogener, kümmert sich um die Ladesäulen. Er empfängt Reisebusse und versorgt die Touris mit e-Bikes. „Das Kraftwerk ist schon spannend. Die meisten Gemeinden haben ja nix von dem Strom, der bei ihnen erzeugt wird. Hier wurde dafür gekämpft. Wenn alle schon ein Stück Land hergeben mussten, dann wollten sie auch direkt was davon haben.

Der überschüssig produzierte Strom wird gewinnbringend abgegeben. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Der Gemeinde Reichenow-Möglin wurde durch ihr Sonnenfließ zu neuem Leben verholfen.

Andere Gemeinden in Brandenburg haben den Zug verpasst: auf ihren ausgetrockneten Feldern, deren Bodenpunkte ins Bodenlose abgerutscht sind, werden in den kommenden Jahren per Regierungserlass PV-Module errichtet, dicht an dicht gebaut, denn der Boden ist bereits toter als tot.

So gut, dass in Reichenow-Möglin weitsichtig gehandelt wurde!

Eine Zukunftsvision von Vera Franke

(Nicht alles, was hier aufgeführt wird, ist frei erfunden. Weiterführende Links:

https://www.pik-potsdam.de/~stefan/Publications/Klima%20und%20Wetter%20bei%203%20Grad%20mehr.pdf

https://www.bne-online.de/fileadmin/bne/Dokumente/20191119_bne_Studie_Solarparks_Gewinne_fuer_die_Biodiversitaet_online.pdf)

 

Herzhorn wird abgebaggert!

Reichenow-Möglin, im Jahr 2053.

Die Gemeinde muss leider ihren Ortsteil Herzhorn aufgeben. Und das ist die Vorgeschichte:

Vor 20 Jahren, also 2033 wurde Alice Weidel Bundeskanzler, nachdem die AfD in Koalition mit der Bauernpartei, die 2026 gegründet worden war, über die notwendige Mehrheit von 48% verfügte. (35% AfD und 13% Bauernpartei). Eine der ersten Amtshandlungen war die Abstimmung über den Austritt aus der EU, die im folgenden Jahr mit 53% Ja-Stimmen für den Austritt ausging. Daraufhin wurde ein 3,5 Meter hoher Zaun um Deutschland gezogen. Der Auffassung folgend, dass der Klimawandel nicht Menschen-gemacht sei, wurden von der Regierung außerdem sämtliche internationalen Abkommen zum Schutz des Klimas gekündigt und alle Maßnahmen, um ihn aufzuhalten, storniert.

Damit die Energie-Sicherheit weiter gewährleistet blieb, wurden alle Braunkohlegruben und Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen. Die Windkraftanlagen waren nur noch zur Hälfte in Betrieb. Wegen der immer heftiger werdenden Stürme waren die meisten Flügel abgebrochen und die Anlagen nicht mehr funktionsfähig. Da auch immer weniger Regen fiel, trocknete der Boden aus, sodass es zu großen Sandstürmen kam. So funktionierten auch die vielen Solaranlagen nicht mehr, die noch in den Zwanzigern errichtet worden waren. Wegen diesen Notsituationen wurden 2036 von der Bundesregierung, nach erfolgreicher Volksabstimmung, alle Wahlen abgeschafft; Alice Weidel wurde Führer aller Deutschen, gegenderte Sprache wurde verboten.

Nach zehn Jahren waren die großen Braunkohlegruben in der Lausitz erschöpft. So kam die Idee auf, die alten kleinen Gruben aus dem 19. Jahrhundert im Osten von Brandenburg wieder zu öffnen. Nach den erfolglosen sogenannten Mutungen (Untersuchungen nach Braunkohle-Vorkommen) bei Reichenberg, Pritzhagen und Bollersdorf wuchs das Interesse an der ehemaligen Grube `Blitz´ bei Herzhorn.

Die Mutung hier war erfolgversprechend, sodass der Rat des Kreises Märkisch-Oderland jetzt verfügt hat, Herzhorn abzureißen, um so Braunkohle fördern zu können. Die noch verbliebenen Bewohner von Herzhorn sollen im leerstehenden ehemaligen Altenprojekt auf dem Gutshof Reichenow einquartiert werden, da die ursprünglichen Bewohner entweder verstorben sind oder in eines der Reservate für die letzten Grünen umgesiedelt wurden. Diese und andere Reservate sind vor knapp zehn Jahren eingerichtet worden, um so die Bevölkerung nach ihren verschiedenen Lebensinteressen aufzuteilen und zusammenzufassen.

Nachdem sich Reichenow Mitte der zwanziger Jahre entschieden gegen den Bau von Solar- und Windanlagen gewehrt hatte, wurde der Gemeinde 15 Jahre später von dem neu ernannten Baron Lars von Günther die Medaille für erfolgreichen Widerstand gegen den Klimawahn überreicht. Inzwischen ist auf allen ehemaligen Radwegen das Fahrradfahren verboten, weil die Radfahrer den Motorrädern und Großmaschinen der Pflanzenindustrie im Wege sind. Auf den Feldern wird nach wie vor zur Herstellung des dringend benötigten Treibstoffs Mais und Raps angebaut. Das Ende dieser Energiegewinnungsform ist jedoch absehbar, da die umliegenden, bisher zur Bewässerung benutzten Seen kurz vor dem endgültigen Austrocken stehen. Um denn das Kontingent der Energie-Lieferungsverpflichtung nach Berlin erfüllen zu können, erhofft sich der Reichenower Zentralrat mit dem noch unter Herzhorn liegenden Braunkohle-Vorkommen diese Lücke schließen zu können.

Notiert von Thomas Winkelkotte.

 

O., C. und F haben wir für die Mitgestaltung der bei uns zu erwartenden Solarflächen nicht gewinnen können. Auch die Visionen aus unserer Dorfzeitung haben sie nur mäßig interessiert. Wir haben uns höflich und mit vage gehaltenen Verabredungen verabschiedet. Empörung gab es aber aus Herzhorn. Ein paar ältere Leute haben die Ankündigung tatsächlich für bare Münze genommen. Was?! Abbaggern? Das Heim verlieren? Und auf den Gutshof, in die ehemaligen Schweinebuchten sollen sie umgesiedelt werden? Das ist ja wohl die Höhe!

Thomas musste sich beeilen zu dementieren.

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2023/05/31/die-wonne-sind-sonne-und-wind/

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