vonImma Luise Harms 30.06.2023

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ja, es stimmt. Wir überlegen, wie wir die Letzte Generation unterstützen können, wie wir im Kampf gegen das kapitalistische Klima-Killen eingreifen können. Wir, das ist ein lockerer Zusammenschluss von alten Genossinnen und Genossen, die in ihren politischen Aktivitäten während der letzten zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren miteinander zu tun hatten. Jetzt sehen wir uns wieder – kahl, grau- oder weißhaarig, faltig, manche ein bisschen tatterig, manche ein bisschen langsam. Wir lächeln über alte Feindschaften, an deren Ursachen wir uns kaum noch erinnern können. Wir erkennen uns an einer bestimmten Art zu reden und zu gestikulieren wieder. Wir freuen uns, dass es den oder die „noch gibt“. Einige von uns haben sich das letzte Mal auf der Beerdigung von U. oder von R. gesehen. Weitere werden folgen.

Aber noch leben wir und noch empfinden wir eine Verantwortung für das politische und gesellschaftliche Geschehen. Und was haben wir schon groß zu verlieren? Unsere Kinder sind erwachsen. Wir gefährden nicht unsere Karriere oder unsere materielle Existenz. Wir kriegen eine schmale Rente, Grundsicherung oder knabbern an einem bescheidenen Erbe. Wir könnten also was riskieren.

Allerdings festkleben ist nicht so unsere Sache, auch den Opferstatus wie ein Wundmal herzeigen liegt uns nicht oder schmeckt uns nicht. Auch die recht straffe, hierarchische Organisierung der Letzten Generation, deren Funktionalität dem Kriegszustand entspricht, in dem sie sich erklärtermaßen befinden, ist nicht so unsere. Wir müssen etwas Eigenes finden.

In ersten Runden tauschen wir uns darüber aus, wie weit wir gehen würden. Polizeigewalt wollen die einen nicht mehr an sich ranlassen, andere wollen sich nicht hinsetzen, um etwas zu blockieren. Allgemein ist ein möglicher Körperkontakt mit gegnerischen Kräften nicht mehr, wie früher vielleicht, mit einer gewissen aggressiven Vorfreude belegt. Dagegen gibt es bei einigen doch eine Bereitschaft, für ein paar Monate in den Knast zu gehen, wenn‘s denn sein muss.

Ich weiß nicht, wo ich darin stehe, wie weit ich gehen würde, wie der Mitnahmeeffekt von anderen Entschlossenen sich auf mich auswirken würde oder wieweit meine eigene Entschlossenheit reichen würde, andere mitzuziehen. In der Diskussion lehne ich mich unangemessen weit aus dem Fenster: Braver Protest bringt nichts, man muss laut sein, Grenzen übertreten, stören, wenn man einen Effekt erzielen will, und man muss Empörung und Anfeindungen auszuhalten bereit sein. Wie das geht,  zeigen die jungen Mitglieder der letzten Generation eindrucksvoll.

Wir denken über Aktionsformen und mögliche Aktionsziele nach; Ideen werden gesammelt, Muster in der Vergangenheit gesucht, Arbeitsgruppen gebildet. Vor 16 Jahren, beim großen Protestgipfel in Heiligendamm hatten wir Buttons (bzw. es waren Stofffetzen) mit der Aufschrift „wir stören gern!“ verteilt; sie wurden zum Erkennungszeichen der an den Protesten Beteiligten.

Aber stören wir wirklich gern? Ich hole einen Text auf der Tiefe meiner Ablagesysteme hervor, den ich bei der Besetzung der Berliner Volksbühne vor 6 Jahren verfasst und in der Besetzungssituation vorgetragen hatte. Hier ist er:

„Wir stören gern…

Störung? Was willst du stören?

Den Ablauf, den Algorithmus, die Maschine, den Betrieb, den Verwaltungsvorgang. Sie haben einen Plan, sie haben ein Ziel, sie steuern einen Prozess, sie regeln den Verlauf…

Warum den stören?

Das Nächstliegende: wir wollen das Ziel nicht, wir wollen den Prozess nicht. Wir wollen darin weder funktionieren noch funktioniert werden.

Wieso Wir? Wer ist das?

Wir sind der Stoff, wir sind das Medium, wir sind die Objekte, an denen und in denen der Algorithmus sich vollzieht. Der Algorithmus wird für uns und in uns zur Vorschrift. Übertretung wird bestraft oder mit Angst belegt.

Was bringt die Störung?

In der Übertretung, in der Funktionsverweigerung, in der eigenmächtigen Veränderung der gegebenen Parameter setzen wir uns als Subjekte. Unser Wille, unser Begehren dringt in den Prozess ein. Wir treten hervor. Wir kommen vor.

Und wie stören?

Zum Beispiel durch Verletzung des guten Tons, der bürgerlichen Umgangsformen, durch  Verweigerung, durch Beschädigung, durch Sabotage…

Warum nicht argumentieren? Warum nicht wählen? Warum nicht kritisch sich beteiligen?

Wenn die Begriffe fremdgesteuert sind, wenn die Sprache Teil des Algorithmus ist,
wenn der Einwand eine vorgesehene fruchtlose Schleife im Prozessablauf ist, müssen wir schreien. Oder verstummen. Oder etwas Unerwartetes tun.

Also wie dann stören?

… Sabotage durch listigen Gebrauch der Mittel, die uns in die Hand gelegt wurden, um im System zu funktionieren. Durch Provokation, durch Grenzüberschreitungen, um rauszufinden, was das für Grenzen sind. Die Grenzen sichtbar machen.

Und wie noch?

Durch Kontaktaufnahme, wo wir durch Anonymität getrennt sein sollen. Durch Streit, wo wir alle einer Meinung sein sollen…

Und störst du gerne?

Erstmal nicht. Auch Stören macht Angst, stören ist unbequem. Die Gestörten versuchen, die Störenden auszuscheiden. Du wirst nicht geliebt für deine Übertretungen, du musst alleine zurechtkommen.

Und dann?

Außerdem: wenn wir erfolgreich gestört haben, haben wir plötzlich die Verantwortung für den Prozess, den wir angestoßen haben. Das zwingt dazu, konstruktiv zu werden, wo wir eigentlich nur spielen wollten.

Und trotzdem stören?

Stören bringt deinen Kreislauf in Schwung. Stören macht fit und präsent. Stören ist der erste Schritt zur Selbstermächtigung und zu einem neuen Anfang. Stören macht glücklich.“

 

Die anderen reagieren auf meinen Agitationstext mit einem schwer zu interpretierenden Lächeln. Ich lass es erstmal so stehen. Jetzt geht es um unsere Selbstbenennung. Wir sind aufgeklärt – oder abgeklärt – genug, um zu wissen, dass man an der Notwendigkeit des „branding“ nicht vorbeikommt. „Oldies for future“ gefällt nicht so, zu brav und zu sehr angelehnt an die „Fridays for future“, die ja schon vom System entzahnt wurde. Ich schlage „aktive alte Autonome“ vor, was auch nicht so ankommt, weil schon damals unklar war, was „autonom“ als politische Selbstverortung genau bedeutet. Aber meine hingeworfene Abkürzung: „eben triple-A“ wird freudig begrüßt. Das kann man dann ja lesen, wie man möchte: „Autonome Alt-AktivistInnen“, „anstrengend-aggressive AnarchistInnen“ usw.  Ich hatte bei dem „triple“ mehr an die „triple oppression“ gedacht, die  Verschränkung der Ausbeutungssysteme Patriarchat, Kapital und Neokolonialismus und ihrer spezifischen Unterdrückungsformen, Gegenstand der letzten politischen Debatte, an der ich mich beteiligt habe. Andere hatten die Assoziation von Börsen-Rankings; triple-A ist ganz oben.

Na, wie auch immer verschränkt, verwoben, bewertet ­– jetzt heißen wir erstmal triple-A und die anderen, die gegnerische Seite ist triple-K – kapitalistische Klima-Killer!

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