vonSchröder & Kalender 25.08.2006

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

Nun ist zu berichten von Prof. Dr. h.c. mult. Klaus G. Saur, einem unserer Lieblingsfeinde. Soeben kaufte er als geschäftsführender Gesellschafter und Vorsitzender der Geschäftsleitung des Walter de Gruyter Verlags den Verlag K. G. Saur zurück, welchen er vor Jahren gegründet und dann verkauft hatte. Damit entsteht der größte geisteswissenschaftliche Verlag Kontinentaleuropas (http://www.buchmarkt.de/index.php?mod=news&page=22812) Wessen Geistes Kind dieser Herr Saur war und vermutlich noch immer ist, steht in der 2. Folge der Schwarzen Serie von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel: ›Ratten und Römer‹.

Hauptverantwortlich für das Projekt ›Ringeltaube‹ war der Ingenieur Karl-Otto Saur. Nach den schweren Verlusten durch alliierte Bomberangriffe an zahlreichen Orten des Reiches hatte Hitler 1944 die Verlegung der gesamten Rüstungsindustrie unter die Erde angeordnet. Zum technischen Leiter des mit diesem Vorhaben betrauten ›Jägerstabs‹ ernannte er Karl-Otto Saur, der seit 1937 im Rüstungsministerium unter Speer arbeitete. Hitler sichert Saur zu, daß Himmler ein ausreichendes Kontingent ungarischer Juden für die Untertagebauten stellen werde. Verantwortlich für die Verwaltung der Konzentrationslager und die ökonomische Seite der ›Endlösung‹ war der Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, Oswald Pohl. Er schlug Himmler vor, auch Frauen für diese Baumaßnahmen der Organisation Todt einzusetzen. Und Himmler antwortete in der ihm eigenen humorvollen Art: »Mein lieber Pohl! Selbstverständlich sind auch jüdische Frauen zur Arbeit einzusetzen. Man muß in diesem Fall lediglich für genügend Ernährung sorgen, hier ist Ernährung mit Rohkostgemüse wichtig. Vergessen Sie nicht die Einfuhr von Knoblauch in ausreichender Menge aus Ungarn. Heil Hitler! Ihr getreuer Himmler.«

Nach der Zerstörung Augsburgs und seiner Industrieanlagen, vor allem der Flugzeugwerke, durch Bomberverbände wurde nur vierzig Kilometer entfernt mit dem Bau von halb unterirdischen, bombenfesten Großbunkern begonnen. Hier sollte der neu entwickelte Typ des strahlgetriebenen Messerschmitt-Jägers ›Me 262‹ montiert werden, der den alliierten Flugzeugen um zweihundert Stundenkilometer überlegen war. Im Raum Landsberg plante man drei identische Bauwerke, aber nur der Bunker mit den Codenamen ›Weingut II‹ in Igling wurde realisiert. Das gewaltige Gewölbe war als bombensichere Schutzkuppel für die Montagehallen konzipiert und hatten eine Länge von zweihundertvierzig Metern. Die Kuppel bestand aus drei Meter dickem Stahlbeton, hatte eine Breite von dreiundachtzig und eine Höhe von dreißig Metern und nahm ein fünfstöckiges Stahlbetongebäude auf, in dem die Me 262 montiert werden sollte. Es galt kriegswichtiges Material und Zeit zu sparen. So entwickelten perfide Ingenieure, an ihrer Spitze der »Spezialist« Karl-Otto Saur, statt der üblichen Schalung aus Holz und Metall eine bautechnische Neuheit: Als innere Schalung für die Schutzkuppel diente eine Aufschüttung von 210000 Kubikmetern Kies. Auf diesen haldenförmigen Kieskern kam eine Deckschicht aus Magerbeton, in die wurde die Eisenarmierung betoniert und anschließend die Betondecke gegossen. Nach Fertigstellung der Hallendecke wurde der Kieskern, der als innere Schalung gedient hatte, mit Kipploren wieder abgebaut. Menschen waren ja in ausreichendem Maße vorhanden, und deren Arbeitskraft sollte schließlich »erschöpfend« ausgenutzt werden.

So liest es sich in dürren technischen Worten. Der Häftling Jehuda Garai schildert die Baustelle anders: »Wir standen vor einer mächtigen, berghohen Eisenbetonkuppel. Aus dieser Kuppel ragten überall Eisenstangen. Sie sah aus wie ein gigantischer Igel. Daneben eine große Grube aus Eisenbeton. Das war Moll, der Todeskessel. Es war nicht leicht, hier lebendig herauszukommen … Tausende von Sklaven arbeiteten hier. Auf dem Berg, in der Grube, auf den unzähligen Gestellen und Eisentraversen wimmelte es nur so von ihnen … Oft stürzten Sklaven von einem Eisenträger auf den anderen, blutig überschlugen sie sich und kamen schließlich in der Baugrube an. Auf dem Beton floß ihr Blut langsam dahin. Sie waren endlich bei ihrem Ziel angekommen.« Nicht mehr arbeitsfähige »Muselmänner« selektierte man aufgrund »allgemeiner Erkrankungen des Körpers«. Bis zum 25. Oktober 1944 gingen vom KZ-Kommando Landsberg drei »Invalidentransporte« zurück nach Auschwitz. Die Opfer wurden vergast. Hunderte endeten in den Massengräbern am Lech, insgesamt starben im KZ-Kommando Kaufering/Landsberg 14500 Juden.

Das Ganze war ein gutes Geschäft für die Baufirmen Dyckerhoff & Widmann, Philipp Holzmann und Leonhard Moll. Allein für die Moll-Baustelle ›Weingut II‹ in Igling bei Landsberg betrugen die geschätzten Baukosten 22 Millionen Reichsmark, nach heutiger Kaufkraft etwa 700 Millionen DM. Und noch besser war die Profitrate! Die Kalkulatoren der Firma Dyckerhoff & Widmann vermerkten in ihrem Ausschreibungsangebot: »Die Hilfkräfte, voraussichtlich Juden, werden nicht vom Unternehmen entlohnt.« Statt dessen berechnet die SS-Verwaltung der Bauunternehmung für einen KZ-Häftling nur einen Tagessatz von 60 Pfennig. Ein deutscher Arbeiter verdiente 0,60 bis 0,80 RM in der Stunde, ein Facharbeiter 0,90 bis 1,00 RM.

Die Summen, die durch die Sklavenarbeit mit KZ-Häftlingen eingespart – das heißt, verdient – wurden, erreichten bei den beteiligten Firmen Millionen. Jahrelang weigerten sich Leonhard Moll und Konsorten, ihre ehemaligen Sklavenarbeiter zu entschädigen. Zwar zahlen sie jetzt wenigstens in den Stiftungsfonds der deutschen Wirtschaft ein, aber das sind Peanuts. »Die ›Entschädigung‹ der NS-Zwangsarbeiter wurde in zähen Verhandlungen so weit gedrückt, daß die zehn Milliarden eine lächerliche Summe sind angesichts der in einem Gutachten von Thomas Kuczynski errechneten hundertachtzig Milliarden DM, die den Zwangsarbeitern bei normaler Zahlung und Verzinsung zugestanden hätten«, schreibt Matthias Reichelt in seinem Aufsatz ›Gedenken als Aktion‹.

Und wie sah das der oberste Planer von ›Weingut I und II‹, Karl-Otto Saur? Ich zitiere aus seiner Studie für das British Intelligence Objectives Sub-Committee: ›Der Einfluß des Luftkrieges auf die deutsche Rüstungsproduktion‹, die er – wohlgemerkt – kurz nach dem Krieg verfaßte: »Wäre dieser Großeinsatz für die Betonbauwerke nur wenige Monate früher praktisch verwirklicht worden, so wäre von dieser Seite noch eine sehr positive Beeinflussung der Rüstungsfertigung möglich gewesen.«

Nachdem der Ingenieur Saur den Großeinsatz für die Rüstungsbunker im Reich organisiert hatte, fiel er kurz vor Kriegsende noch die Treppe hoch und wurde Stabsleiter im Rüstungsministerium. In seinem politischen Testament entließ Hitler sogar seinen ehemaligen Intimus Speer wegen Verrats und machte den getreuen Saur zum Rüstungsminister der letzten Tage. Der Bau von ›Weingut I und II‹ war unter der Leitung der Organisation Todt fortgesetzt worden, ab März 1945 trug die Verantwortung für Landsberg der SS-Obergruppenführer Kammler und für Mühldorf Martin Gottfried Weiß, der ehemalige Kommandant des KZ Dachau. Einen Monat später kamen die Amerikaner und befreiten die Häftlinge aus den Konzentrationslagern. Kammler wurde in Polen hingerichtet, Weiß in Landsberg, dem Menschenschinder Saur krümmte man kein Haar. Zwar wurde er in Nürnberg verhört, aber da er de jure in den letzten Monaten vor Kriegsende nicht mehr oberster Bauherr der unterirdischen Nazipyramiden gewesen war und sich außerdem der Anklage als Kronzeuge gegen Krupp zur Verfügung stellte, entließ man ihn als minderbelastet. Albert Speer notiert 1947 in seinen ›Spandauer Tagebüchern‹: »In der Ferne bemerke ich auch Otto Saur, meinen ehemaligen Amtschef im Rüstungsministerium, der mich am Ende durch dienernde Schönrednerei bei Hitler ausmanövriert hatte. Erheitert sehe ich, wie beflissen er dem Befehl des gutmütigen Sergeanten Berlinger nachkommt, einen Eimer Wasser heranzuschleppen; unter wiederholten Bücklingen beginnt er zu schrubben. Dabei ein Mann von großer Energie – der Typus, dem das Regime so viel verdankte: Willfährigkeit und Dynamik, eine schreckenerregende Verbindung.« Und später, 1948: »Meine ehemalige Sekretärin ließ mich wissen, daß Otto Saur im Prozeß gegen Krupp am letzten Tag der Beweisaufnahme überraschend als Kronzeuge der Anklage aufgetreten ist. Früher war Saur der schärfste Verfechter von Zwangsmaßnahmen zur Erhöhung der Produktion, ein rücksichtsloser Antreiber im Bereich der Industrie. Sein charakterloser Opportunismus bereitete mir in der Schlußphase ernste Schwierigkeiten. Nun dient er der Anklage; er ist der gleiche geblieben. Ich wünschte es niemandem, aber wenn einer meiner engeren Mitarbeiter einen Prozeß verdient gehabt hätte, dann ist es Saur.«

So, und nun zur Sippenhaft: Den Lesern von ›Schröder erzählt‹ ist ja bekannt, daß ich 1961 zusammen mit dem Sohn Klaus Gerhard Saur im Westdeutschen Verlag in Opladen gearbeitet habe, er war Lehrling, ich Werbeassistent. Außerdem hatte ich nach dem Abschluß meiner Buchhändlerlehre ein paar Monate im Straßenbau malocht, um mit dem verdienten Geld ›on the road‹ zu gehen. Und diesen Autobahnabschnitt bei Langenfeld baute jene Leonhard Moll KG aus München, die den ›Ringeltaube‹-Bunker bei Landsberg errichtete. Damals wußte ich noch nicht, was für eine Verbrecherbande das war. Arglos erzählte ich also meinen Kollegen im Verlag von meinen Abenteuern auf der Autobahnbaustelle, da mischte sich Klaus Saur ein und versuchte meine Pointen zu überbieten: »Wiffhen Fhie überhaupt, Herr Schröder, daffh mein Vater der Bauherr defh gröffhten Rüfhtungfhprojektefh aller Fheiten war?«, lispelte der Lehrling, »die Bauunternehmung Leonhard Moll muffhte fhpringen, wenn er pfiff!« Dann gab er zum besten, daß sein toller Vater nicht nur das babylonische Unternehmen ›Ringeltaube‹ geleitet, sondern auch die Messerschmitt-Düsenjägerproduktion unter sich hatte, und daß Adolf Hitler seinen Vater im politischen Testament sogar zum Rüstungsminister beförderte. »Die Groffhprojekte liegen eben in unfherer Familie«, sagte der blonde Gernegroß, breit und eklig grinsend. Schließlich sei sein Urgroßvater der Konstrukteur der Wuppertaler Schwebebahn und seine Ur-Ur-Urgroßtante keine Geringere als Friederike Brion, jene Pfarrerstochter aus Sesenheim, die der Jüngling Johann Wolfgang als Heidenröslein mit vielen Freuden stehen sah und anschließend als wilder Knabe brach. Damit wollte der Sohnemann wohl andeuten, daß er ziemlich sicher der natürliche Ur-Ur-Urgroßneffe des Geheimrats Goethe sei.

Interessant an dieser blöden Angeberei ist, daß der junge Saur mit seinen einundzwanzig Lenzen genau wußte, was sein Vater auf dem Kerbholz hatte, und sogar noch stolz darauf war. Gleich nach seiner Entlassung aus Nürnberg hatte der ›Ringeltaube‹-Ingenieur in München-Pullach ein Ingenieurbüro eröffnet und es zu einem Verlag für Dokumentation ausgebaut. Schon 1963, nur zwei Jahre nach jenem Gespräch im Westdeutschen Verlag, trat Klaus Gerhard in dieses väterliche Unternehmen ein und machte es im Laufe der Zeit zum führenden Verlag für Fakten, Daten und Informationen im Bibliothekswesen, dazu kamen biographische und technische Archive mit abermillionen Namen. Fünftausend Titel verlegte der KG Saur Verlag seit Gründung. Inzwischen pendelt der Jahresumsatz um die vierzig Millionen.

Das wäre mir egal, wenn der Mann sich auf seine Dokumentationsfolianten, Mikrofiches und CD-Roms beschränkt hätte. Was ich ihm aber nicht durchgehen lasse, weil es paradox und pervers ist: Ausgerechnet als verlegerischer Nachfolger seines Vaters Karl-Otto, dieses tausendfachen Schreibtischmörders und Paladins Hitlers, publiziert sein Sohn Klaus Gerhard – durch Historiker listig abgesichert und immer im Dienste der Wissenschaft, versteht sich – Hitlers Reden, Schriften und Anordnungen, außerdem die Goebbels-Tagebücher, die Akten der Parteikanzlei der NSDAP, und, um der Unverfrorenheit die Krone aufzusetzen: die Auschwitz-Gedenkbücher! Nur die Edition von ›Mein Kampf‹ ist ihm bisher aus den bekannten urheberrechtlichen Gründen versagt, aber das schafft er sicher auch noch. Eins jedenfalls steht fest: Wenn die Nazis noch an der Macht wären, hätte keiner ihre Archive besser dokumentiert als Klaus Gerhard Saur, dieser Meister der deutschen Sekundärtugenden. Deshalb ist er auch mehrfacher Ehrendoktor, Honorarprofessor und Träger des Verdienstkreuzes am Bande, es fehlen halt nur noch das Eichenlaub und die Schwerter.

Wenn ich mir die Karrieren eines solchen Vaters und seines Sohnes in der Bundesrepublik ansehe, dann stimme ich doch sehr dem Diktum von Karl-Heinz Bohrer zu, der vor Jahren postulierte: Die Alliierten hätten nach 1945 besser kurz und blutig aufräumen sollen. Denn mit dem Wegräumen der Trümmer hat es in Deutschland vorzüglich geklappt, das Aufräumen unter den Kriegsverbrechern dagegen gelang nur in sehr beschränktem Maße. Immerhin haben die Amerikaner es anfangs versucht und richteten Ende Dezember 1945 ihr Kriegsverbrechergefängnis Nummer eins mythenbewußt in Landsberg ein, in jener ›Festung‹, wo Hitler in ›Mein Kampf‹ die Theorie seines Rassenwahns formulierte, und nur einige tausend Meter von dem Ort entfernt, an dem die letzte massenhafte Ermordung von Juden stattfand.

(BK / JS)

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