vonHelmut Höge 21.09.2011

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Der Herrscher – links als Muslim, rechts als Philosoph.

Unsinnig aber opportun: Das Goethe-Institut verlieh gerade den „Nachwuchspreis für Philosophie“ an den Tunesier Sarhan Dhouib – für seinen Nachweis, dass Koran und Menschenrechte kompatibel sind.


Desungeachtet müssen die Menschen ihren philosophisch vorgedachten Bewegungsspielraum nach wie vor gegen alle Koranisten und Bibelargumentierer erkämpfen. Die Religion ist weltweit auf dem Vormarsch – sowohl im individualistischen Okzident als auch im antiindividualistischen Orient. Und für die Philosophie gilt dementsprechend das Gegenteil. So gesehen ist Sarhan Dhouibs Kompatibilitätsstudie eine intellektuelle Bankrotterklärung. Anders der iranische Soziologe Asef Bayat, dessen Forschungen unter den jungen arabischen Linken auf großes Interesse stoßen. Er sieht auch dort noch Bewegungsspielraum – wo andere nichts (mehr) sehen:

1. Die „Nonmovement“-Bewegung, so sagt es der in Leiden lehrende Soziologe Asef Bayat in seinem 2010 veröffentlichten Buch „Life  as Politics“, ist in Ländern mit despotischen Regimen die vorherrschende Möglichkeit, gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Jetzt haben wir jedoch eine regelrechte und geradezu heldenhafte (Demokratie-) Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Das „Nonmovement“ betraf zuvörderst Frauen, Jugendliche und Arbeitslose, die sich für ihren subtilen Widerstand „passiver Netzwerke“ bedienten. Auch das hat sich 2011 geändert. Asef Bayat hat die Armenbezirke in Teheran und Kairo und die Überlebensstrategien der Marginalisierten und Migranten studiert.

Vor ihm hatte bereits der Soziologe Michel de Certeau den „vereinzelten Konsumenten“ als Partisan des Alltagslebens zu begreifen versucht (in:  „Kunst des Handelns“). Dieser müsse  nämlich, um zu überleben, „die zahlreichen und unendlichen Metamorphosen des Gesetzes der urbanen Ökonomie in die Ökonomie seiner eigenen Interessen und Regeln ‚umfrisieren'“. Seine Mittel sind dabei „ortlose Taktiken, Finten, eigensinnige Lesarten, Listen“… Bereits Clausewitz verglich die List mit dem Witz: „Wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit Handlungen“. Für Certeau sind nun „die Handlungsweisen der Konsumenten auf der praktischen Ebene Äquivalente für den Witz. Wobei die intellektuelle Synthese ihrer Alltagspraktiken nicht die Form eines Diskurses annimmt, sondern „in der Entscheidung selbst liegt, d.h. im Akt und in der Weise, wie die Gelegenheit ‚ergriffen wird“‚. Dennoch lassen sich diese operationalen Leistungen auf sehr alte Kenntnisse zurückführen: „Die Griechen stellten sie in der Gestalt der ‚metis‘ dar. Aber sie reichen noch viel weiter zurück, zu den uralten Intelligenzien, zu den Finten und Verstellungskünsten von Pflanzen und Fischen, Jägern und Landleuten. Vom Grunde der Ozeane bis zu den Straßen der Megapolen sind die Taktiken von großer Kontinuität und Beständigkeit. In unseren Gesellschaften vermehren sie sich mit dem Zerfall von Ortsbeständigkeit. Ohne die Möglichkeit, den immer engmaschigeren Systemen zu entkommen, bleibe dem „Individuum“ nur noch die Chance, sie immer wieder zu überlisten, auszutricksen, ‚Coups zu landen‘.“

Neben dem Dringlichsten, das in „individueller direkter Aktion“ erledigt wird, gibt es für die arabischen Unterschichten noch ein Ziel, schreibt Ayat: „Autonomie erlangen – kulturell und politisch ein informelles Leben führen“. Die  Beziehungen des „Urban Subaltern“ beruhen eher auf Reziprozität (als auf Äquivalenz), auf Vertrauen und Verhandlung als auf modernen Vorstellungen von individuellem Eigentinteresse, fixierten Regeln und Verträgen. Sein Trachten geht dahin, lieber an selbstgestellten Aufgaben zu arbeiten als sich in die Disziplin eines modernen Arbeitsplatzes zu fügen. Er regelt Unannehmlichkeiten lieber informell als bei einer Behörde oder gar der Polizei. Auch heiratet er lieber informell als staatsamtlich und borgt sich Geld lieber bei informellen Kreditgebern als in großen Banken.  „Dies geschieht nicht, weil diese Leute nicht modern genug oder anti-modern eingestellt sind, sondern aufgrund der besonderen Bedingungen ihrer Existenz, die sie dazu zwingt, sich informeller Lebensformen zu bedienen.“

Die „Informellen“ sind Bayat zufolge dauerhaft damit beschäftigt, in den sie integrierenden Prozessen und Strukturen Nischen der Autonomie zu finden. Dieses Bild ist geeignet, die westliche linke Betrachtungsweise umzudrehen: Hier geht man davon aus, dass den  Marginalisierten und Migranten eher eine Integrationsmöglichkeit nach der anderen entzogen wird, während sie unter der  Autonomie, die sie in ihren Notunterkünften genießen, nur leiden, und der informelle Sektor ein überaus gefährliches Pflaster ist.

2. In Ägypten haben 120 Kopten bis zum Wochenende die Kirche offiziell verlassen, und täglich werden es mehr:

„Sie haben nach eigener Aussage die Hoffnung auf eine innere Reform der Kirche aufgegeben und suchen ihr Heil jetzt außerhalb der koptischen Gemeinschaft. Einige geben laut der ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm an, zu den Katholiken übertreten zu wollen, andere zur Anglikanischen Kirche. Auch der Übertritt zum Islam ist für die jene, denen Religion egal ist, eine Option, denn es geht nur um eines: sich scheiden lassen und wieder verheiraten zu können. Und das ist für Muslime in Ägypten immer noch am einfachsten.

Ein paar Dutzend oder auch ein paar Hundert Dissidenten, das ist bei geschätzten 15 Millionen Kopten in Ägypten (bis zu 20 Prozent der Bevölkerung, die Behörden geben die Zahl jedoch tiefer an) keine große Sache. Der Vorgang ist dennoch ein Dammbruch, so etwas gab es noch nie in der koptischen Geschichte, die durch ihre Minderheitssituation eine sehr geschlossene Gruppe ist. Es begann vor ein paar Monaten mit der Gründung der „Recht auf Leben“-Bewegung, die die Kirchenobrigkeit bestürmte, am restriktiven Scheidungsrecht und am Wiederverheiratungsverbot etwas zu ändern – ohne Erfolg…Tatsächlich hat aber auch die leidige Scheidungsfrage selbst indirekt zu koptisch-muslimischen Konflikten geführt: Es gab nämlich schon bisher Kopten, die in ihrer Verzweiflung, dem koptischen Familienrecht unterworfen zu sein, zum Islam übertraten. Wenn dann alles in ihrem Sinn geregelt war, wollten sie in ihre Kirche zurück – was wiederum die Wut von radikalen Islamisten auslöste, für die der Abfall vom Islam mit dem Tod zu ahnden ist. Die „Recht auf Leben“-Bewegung will nun unter all das einen Schlussstrich ziehen.“ (derstandard.at)

3. Im Iran und in Saudi-Arabien werden Frauen von den Religionswächtern angegriffen und manchmal auch geschlagen, wenn eine Haarsträhne aus ihrem Gesichtsschleier gerutscht und sichtbar ist. Und Frauen, die am Straßenrand ihren Kopf entblößen werden von vorbeifahrenden Männern als „Huren“ und „Schlampen“ beschimpft. Genau umgekehrt ist es nun in Belgien, Holland und Frankreich. Der Guardian berichtet in dieser Woche über die Folgen des französischen Gesichtsschleierverbots für (islamische) Frauen. Einige mußten bereits eine Strafe zahlen, weil sie mit Tschador, Burka bzw. Niqab auf die Straßen gingen, andere klagen, dass man sie in der Öffentlichkeit ständig beleidigt:

„Hind Ahmas walks into a brasserie in the north Paris suburb of Aulnay-sous-Bois. Jaws drop, shoulders tighten and a look of disgust ripples across the faces of haggard men sipping coffee at the bar.  „Hang on, what’s all this? Isn’t that banned?“ splutters the outraged waiter behind the bar, waving a wine bottle at her niqab. Ahmas stands firm, clutches her handbag with black-gloved hands and says: „Call the police then.“ But she decides there’s no point fighting. We cross the road to a cafe where she’s a regular. No one bats an eyelid; the boss certainly doesn’t want to lose her custom.

Ahmas is breaking the law by ordering an espresso and sitting in a booth in the window. But these days she is breaking the law by stepping outside her own front door.  In April, France introduced a law against covering your face in public. Muslim women in full-face veils, or niqab, are now banned from any public activity including walking down the street, taking a bus, going to the shops or collecting their children from school. French politicians in favour of the ban said they were acting to protect the „gender equality“ and „dignity“ of women. But five months after the law was introduced, the result is a mixture of confusion and apathy. Muslim groups report a worrying increase in discrimination and verbal and physical violence against women in veils. There have been instances of people in the street taking the law into their hands and trying to rip off full-face veils, of bus drivers refusing to carry women in niqab or of shop-owners trying to bar entry.

A few women have taken to wearing bird-flu-style medical masks to keep their face covered; some describe a climate of divisiveness, mistrust and fear. One politician who backed the law said that women still going out in niqab were simply being „provocative“.  Ahmas, 32, French, a divorced single mother of a three-year-old daughter, puts her handbag on the table and takes out a pepper spray and attack alarm. She doesn’t live on the high-rise estates but on a quiet street of semi-detached houses. The last time she was attacked in the street a man and woman punched her in front of her daughter, called her a whore and told her to go back to Afghanistan. „My quality of life has seriously deteriorated since the ban. In my head, I have to prepare for war every time I step outside, prepare to come up against people who want to put a bullet in my head. The politicians claimed they were liberating us; what they’ve done is to exclude us from the social sphere. Before this law, I never asked myself whether I’d be able to make it to a cafe or collect documents from a town hall. One politician in favour of the ban said niqabs were ‚walking prisons‘. Well, that’s exactly where we’ve been stuck by this law.“

But despite all the fanfare surrounding the niqab ban, no woman has yet been punished under the law for wearing one. The first real test will come on Thursday, when a local judge in Meaux, east of Paris, will decide whether to hand out to Ahmas and a friend the first ever fine. They were stopped outside Meaux town hall on 5 May wearing niqabs and carrying an almond cake to celebrate the birthday of the local mayor Jean-François Copé, who is also head of Nicolas Sarkozy’s rightwing UMP party and an architect of the ban. The cake was a joke, a play on the French word for fine, amende. They wanted to highlight the absurdity of a law that they say has increased a mood of anti-Muslim discrimination and driven a wedge through French society, yet seems not to have been taken seriously by the justice system. Sarkozy was accused of stigmatising women in niqab to win votes from the extreme right, yet the law didn’t actually boost his poll ratings. Now, human rights lawyers are suggesting it could soon be overturned.  Only the French police can confront a woman in niqab. They can’t remove her veil but must refer the case to a local judge, who can hand out a ¤150 (£130) fine, a citizenship course, or both. Some police have wrongly given on-the-spot fines, which were later annulled. Others appear to ignore women in niqab walking down the street, perhaps because they feel they have more important crimes to be stopping. The interior ministry says that since the law came into force in April there have been 91 incidents of women in niqab being stopped by police outside Paris and nine incidents in the Paris region. Each time, police file a report, but so far no judge has handed out a fine or citizenship course.

The French justice ministry says „fewer than 10“ cases are currently going through the courts and the lack of fines shows the state favours „dialogue“ not punishment. But Gilles Devers, a lawyer acting for Ahmas and several other women in niqab, argued punishments were not being handed out because the niqab law contravenes European human rights legislation on personal liberties and freedom of religion. As soon as a fine is imposed, there will be an appeal right up to the European court of human rights in Strasbourg, which could rule against the law and expose the French state as a laughing stock.  If the French law is challenged in this way, the result would be crucial for Muslims across the continent. Belgium introduced its own niqab ban this summer, punishable not just by a fine but seven days in prison. In Italy, the far-right Northern League has resuscitated a 1975 law against face coverings to fine women in certain areas of the north. Silvio Berlusconi’s party is now preparing an anti-niqab law. Denmark is preparing legislation to limit the wearing of niqabs; politicians in Austria, the Netherlands and Switzerland are pushing for outright bans. Thomas Hammarberg, the Council of Europe’s commissioner for human rights, blogged this summer: „The way the dress of a small number of women has been portrayed as a key problem requiring urgent discussion and legislation is a sad capitulation to the prejudices of the xenophobes.“

Ahmas grew up in and around Paris, where her father, born in Morocco, worked as a town-hall gardener. Her parents were not strict Muslims. She put on the niqab six years ago as an educated single woman who once wore mini-skirts and liked partying, but then rediscovered her faith. She says her now ex-husband had nothing to do with her choice. (The new law punishes men who force women to wear the niqab with a ¤30,000 fine, but none has yet been imposed.) Like many women in niqab who refuse to stay indoors, she is desperate for work. For years, she worked in call centres as a specialist in telephone polling. Even before the ban, she knew it would be easier to get work without the niqab, so at the office she would always pull back her veil, leaving her face exposed for the day. „Life is hard and I have to work. If my daughter wants something – even a Barbie doll – and I can’t pay for it, it breaks my heart.“  In January, at the height of the public debate on the niqab, Ahmas lost her job after her contract wasn’t renewed. „I’ve contacted scores of employers looking for work. I always ask them if they accept the veil. They say, ‚It depends what type. If it’s tunic and trousers and a headscarf, that’s OK, but a long robe is not.'“ This is clear discrimination: „Totally illegal,“ she sighs.  Secular France has a complicated relationship with the veil. In 2004, all religious symbols including the headscarf were banned in schools. Even among Sarkozy’s opponents there are very few feminists or socialist politicians who would defend the right to wear niqab in a country where secularism is one of the few issues that still unites a fragmented left. Barely a handful of people came to Notre Dame cathedral to protest against the law in April.

On the Cote d’Azur, Stéphanie, 31, still likes to go swimming in the sea off Nice wearing her niqab. But the former law student and convert to Islam tries to go when the beaches are quiet. The last time she went for a dip with her mother and 10-year-old daughter on a Sunday afternoon, a sunbather called the police. A group of officers arrived and hurried across the sand saying: „But Madame, what are you doing?“ „I said: ‚I’m drying myself.‘ They wrote in their notebooks, ‚Swimming in niqab.'“ Stephanie, who prefers not to give her surname, was summoned by the local state prosecutor. She arrived at court and agreed to lift her veil so security guards could check her identity, but they refused to allow her access until an exasperated prosecutor buzzed her in himself. The prosecutor, whom she described as „very human“, wanted to better understand why she wore the niqab. She converted at 17 and put on the niqab several years later, long before meeting her husband. Her North African parents-in-law didn’t like her wearing full-veil, and the marriage ended. Her own parents converted to Islam a few years later but don’t believe a niqab is necessary. She told the prosecutor it was her choice and refused to stop wearing niqab. The prosecutor reminded her of the law and let her go with no sanction or punishment. He told the local paper, Nice Matin, that a woman in a veil was less dangerous than someone who had „double or triple parked“.  Before the law, Stephanie would often be called names like „Batman, Zorro, or Ninja“ in the street – often by pensioners. Now people favour swear words or sexual insults. She wants to work with children, but despite having a degree in theology, she can’t find a job.  The first time Stephanie was stopped by police was for standing on a central Nice shopping street in May. A police officer illegally gave her an on-the-spot fine, which was later overturned.

This summer, a bus driver refused to let her onto a bus with her daughter. „If I have a meeting, I’ll always leave the house at 6.30am instead of 8.30am in case a bus won’t take me and I have to wait 45 minutes for another one.“ Recently, after she had bought a cinema ticket for the latest Harry Potter film with her daughter, staff tried to stop her entering the screening. Eventually the cinema decided not to call the police because they didn’t want to feature in the local paper.  The headquarters of the French Collective against Islamophobia is in a small ground-floor office on a cobbled street near Paris’s Gare de L’Est. It doesn’t promote the wearing of niqab but gives legal advice. „It’s not the police I’m afraid of, it’s the personal attacks on women by people acting on their own initiative in the street,“ says Samy Debah, the association’s head.  The group’s legal adviser says there has been „an explosion“ in the number of physical attacks on women wearing the niqab. Many women say that their attackers were middle-aged or old people. In one recent case a young French convert was assaulted at a zoo outside Paris while carrying her 13-month-old baby. „Her child was traumatised by the zoo attack and is now being seen by a psychologist. These women blame themselves; they see a baby in that situation and think, ‚It’s my fault.'“

At a cafe on the left bank, Rachid Nekkaz, a French property developer, explains why his association, Don’t Touch my Constitution, was the only group to stage high-profile protests when the law came into force – he backed Ahmas’s birthday-cake stunt and has set up a ¤1m fund to pay any fines over the niqab. His next, and most radical, protest action will be this Thursday, when his association announces its plans to field a woman in niqab for president in 2012. Nekkaz is personally opposed to the niqab and thinks it is fair to ban it in French state buildings. But he thinks outlawing it in all public places is „a gross attack on personal freedoms and the French constitution“. „The perverse effect of this law is that women in niqab are effectively under house arrest,“ he says. He plays a voicemail message left on his mobile by the mother of French convert, thanking him for taking a stand and saying there are several converts in niqab in Grenoble now too afraid to leave the house.

There are no reliable statistics on who wears the niqab in France and whether they have kept wearing it since the law. It is estimated that only a few hundred women wear it, mostly French citizens. Muslim associations say a minority of women have taken off the niqab or moved abroad. Nekkaz says that more than 290 women still wearing niqab have contacted him: he says a large number were divorced with children, most were aged between 25 and 35, many were French of north African parentage, and many were living on income support. An Open Society Foundation report on women in niqabs in France in April found that of a sample of 32 women in niqab, none had been forced to wear the full veil. Many said they would refuse to take if off after the law came in, adding that they would avoid leaving home, or move abroad.

Kenza Drider, a 32-year-old mother of three, was famously bold enough to appear on French television to oppose the law before it came into force. She refuses to take off her niqab – „My husband doesn’t dictate what I do, much less the government“ – but she says she now lives in fear of attack. „I still go out in my car, on foot, to the shops, to collect my kids. I’m insulted about three to four times a day,“ she says. Most say, „Go home“; some say, „We’ll kill you.“ One said: „We’ll do to you what we did to the Jews.“ In the worst attack, before the law came in, a man tried to run her down in his car.  „I feel that I now know what Jewish women went through before the Nazi roundups in France. When they went out in the street they were identified, singled out, they were vilified. Now that’s happening to us.“

Saudi-Arabische Geistliche haben nun zum Einen eine Kriegserklärung gegen die europäischen Burkaverbieter ausgesprochen und zum Anderen den davon betroffenen religiösen Frauen geraten, aus Europa auszuwandern.

4. Im „Telegraph“ berichtet die Muslimin Nesrine Malik, deren Eltern von London nach Saudi-Arabien zogen, wie es ihr mit der Verschleierung dort erging:

„At the age of 18, the thought of covering my body in a shapeless black gown and hiding my face so that only my eyes would show was inconceivable. It was humiliating, violating, dehumanising. Upon donning the headpiece, my body language immediately changed, becoming apologetic, withdrawn and subdued. Wearing it seemed to empower all the men around me and put me firmly in my place as inferior.  On landing in Saudi Arabia, women – all of whom were wearing the veil – were channelled into a separate line for processing. My eyes stung with tears of rage and shame. Most of all, I felt infantilised, stripped of the right to dress how I pleased due simply to the fact that I was a woman, and hence, purely a sexual object to be concealed lest it should inflame desire. For the first few days, it felt almost comical, like some absurd game of macabre fancy dress.  On a practical level, it was cumbersome, hot and uncomfortable. Eating or drinking in public became a chore, as food has to be manoeuvred gingerly under the veil or taken abruptly in small bites. In Saudi’s overwhelming heat, temperatures regularly reach 45C and any physical outdoor activity, even walking, is out of the question. I became anti-social, hardly able to wait until I got home before tearing off the ghastly garb.  The niqab and the burka are a particularly extreme interpretation of the Islamic requirement for modest dress, and were never part of my Muslim upbringing in London. Because of this, I did not feel particularly pious wearing them in Saudi. If anything, it seemed like a throwback to tribal, pre-Islamic times.

Over the next three years, however, my opposition gradually eroded. Initially an ugly burden, the abaya and niqab became a comfort and, eventually, a delight. It was a relief not to have to think about what to wear.  The burka can be the most versatile of capsule wardrobes. The uniform black costume has a charming egalitarianism about it, and is both a social and physical leveller. Once social status or physical beauty cannot be established, all sorts of hierarchies are flattened.  Fashion-wise, it was not as insipid a garment as I had feared. When there is little option in what you can wear, the smallest details start to count. I realised upon closer inspection that there was a plethora of abayas for me to choose from. Subtly embellished gowns and veils could be found in Riyadh’s glamorous malls. If none suited, bespoke tailors executed your particular design and preference beautifully. Light fabrics and slim-line empire silhouettes rendered the uniform elegant and feminine – regal, even.  Eye make-up and footwear took on extra significance. As the feet were the only part of the body one could legitimately flaunt, a good pedicure was not only necessary, it was an integral part of the ensemble. All of a woman’s sexuality resided in how she carried herself, and how groomed her extremities were.

In that context, the outfit became empowering, enabling a reclamation of one’s sexuality by not fulfilling modern commercialised definitions of what makes a woman attractive.  Ironically, Saudi Arabia did not feel a more chaste place. Indeed, imposing the niqab may have had the opposite effect, so starved were the two sexes of the flirtatious attention that we all take for granted in the West. I have never been so indiscriminately pursued by men. And I was therefore thankful for the anonymity the attire gave me – a privilege the men did not share. The niqab appeals to the voyeur in all of us, cosily secreted away behind a veil, but still able to view the world go by.  In contrast to my earlier eagerness to rip off the abaya whenever in sanctum, I began to wear it when I did not have to. Now I live in the UK again and work for a private equity firm, I would never wear it to the office. But, as a fashionable 29-year-old, I sometimes pop it on to go to the corner shop rather than show the world my tracksuit bottoms.  I’m not alone in finding the abaya a comfortable garment. On my return from Saudi Arabia, other women on my plane left it until a few minutes before landing to remove their cloaks and emerge from the washrooms without their niqab. Now when I fly back from seeing my parents in Saudi Arabia, I keep on the uniform for as long as is convenient. Immigration staff in the UK are so much more hostile to those who wear it.  Given the choice, I would never have embraced the niqab. My initial teenage revulsion was inspired by the fact that it was mandatory. Implicit in any law that proscribes women’s dress lies the most sinister, ideologically myopic assumption that a woman cannot be trusted not to succumb to pressure to dress a certain way. In the same way that Muslim countries accuse the hyper-sexualised West of corrupting their women, European societies cannot fathom that a woman would want to wear a niqab or burka unless it is attributable to some brute influence either by a man or general social coercion.

In that sense, I do not see a potential ban on the burka in the UK as any different to the oppression in Saudi Arabia in terms of how it assumes that the way a woman dresses is never really down to her.  The French National Assembly’s vote to ban Islamic veils in public is the latest such measure taken by governments across Europe. Days after the Belgian parliament became the first in Europe to pass a bill banning Islamic veils, police in northern Italy fined a Muslim woman for wearing a niqab on her way to a mosque.  In Britain, Conservative backbencher Philip Hollobone last week called for a burka ban, tabling a Private Members‘ Bill that would make it illegal for anyone to cover their face in public.  There is a deeply disturbing discourse developing in Europe, one that equates the niqab with Islamic radicalism, and which facilitates a witch-hunt of Muslims under the cover of concern for women – or „racism veiled as liberation“, as the writer Madeleine Bunting put it. There are indeed several ways in which Muslim women are oppressed, not best interpreted by what they wear.  A mix of Islamophobia, busy-bodying feminism and resurgent nationalist sentiment has contributed to this demonisation of a minority of Muslim women. The niqab and burka are indeed powerful symbols and reminders of the ongoing fissures between the West and Islam. Indeed, it is understandable that something as final and ostensibly exclusionary as a face veil would be alienating. But surely that lies more in the realm of social inappropriateness? I would never permanently cover my face in the UK, but by the same token nor would I wear a mini-skirt in Dubai. Most people, men and women, self-regulate and dress in a way to conform to convention. To legislate against the extremes would be a highly intrusive extension of authority. To mobilise the mechanism of the state to tackle Islamic fundamentalism via cracking down on the face veil is not the answer. To force a female to remove her veil is just as subjugating as forcing her to cover.  There is depressing similarity in the way different cultures view changes in women’s dress as the first harbinger of national invasion and subsumation. It is a heavy burden for women to bear. I sincerely hope that no 18-year-old Muslim girl will ever arrive in the UK and be forced to take off her niqab.“

5. In der Jungen Welt berichtete Knut Mellenthin über Antimuslimismus in den USA:

US-Senator Joe Lieberman hält den im Juni vorgelegten Strategiebericht der Regierung der Vereinigten Staaten zur Terrorismusbekämpfung für »eine große Enttäuschung«. In einer Rede, die er am 1. September auf einer Veranstaltung des National Press Club hielt und die auf seiner Website zu finden ist, erläuterte der notorische Kriegstreiber aus Connecticut seine Kritik. Sein schwerwiegendster Einwand ist, daß »die Regierung es immer noch ablehnt, unseren Feind in diesem Krieg bei seinem richtigen Namen zu nennen: gewalttätiger islamistischer Extremismus. Wir können Namen finden, die damit vergleichbar sind, aber nicht den, den die Regierung immer noch zu verwenden pflegt, nämlich ‚gewalttätiger Extremismus‘. Es ist nicht bloß gewalttätiger Extremismus. Es gibt viele Formen von gewalttätigem Extremismus. Es gibt weißen rassistischen Extremismus, es gab eine Art Öko-Extremismus, es gab Tierrechtler-Extremismus. Sie können die Reihe weiter fortsetzen. Es gibt Skinhead-Extremismus, aber mit all denen befinden wir uns nicht in einem globalen Krieg.« Und weiter: »Wir befinden uns in einem globalen Krieg, der die Sicherheit unserer Heimat betrifft, mit islamistischen Extremisten. Unseren Feind als gewalttätigen Extremismus zu bezeichnen, ist so allgemein und unbestimmt, daß es letztlich keine Bedeutung hat. Der andere Begriff, der manchmal gebraucht wird, ist Al-Qaida und ihre Verbündeten. Nun, das ist besser, aber es ist immer noch zu eng. Das konzentriert unsere Aufmerksamkeit auf Gruppen statt auf eine Ideologie, gegen die wir in Wirklichkeit zu kämpfen haben.«  Liebermann vermutet, »daß die Weigerung der Regierung, ehrlich über den Feind zu sprechen, auf ihrem Wunsch beruht, nichts zu tun, das der Al-Qaida-Propaganda Vorschub leisten könnte, wir befänden uns in einem ‚Krieg‘ gegen den Islam. Aber das ist so offensichtlich eine Lüge, daß wir es zurückweisen können und das auch getan haben. Ich glaube, wir haben das wirksam getan. (…) Um diesen Kampf zu gewinnen, ist es existentiell wichtig, zu verstehen, daß wir nicht nur eine Organisation, Al-Qaida, bekämpfen, sondern es mit einer breiteren Ideologie zu tun haben, die diesen Krieg entfacht hat, mit einer politisierten Ideologie, ganz losgelöst von der Religion des Islam. Der Erfolg in diesem Krieg kommt demzufolge nicht, wenn eine einzelne terroristische Gruppe oder deren Ableger ausgeschaltet sind, sondern wenn ein breiterer Zusammenhang von damit verbundenen Ideen abgewehrt und verworfen wird. Die Abneigung, unseren Feind als gewalttätigen islamistischen Extremismus zu identifizieren, macht es schwerer, wirkungsvoll für diesen Krieg der Ideen zu mobilisieren.«

Lieberman gehört dem Senat schon seit 1989 an und ist damit eines seiner dienstältesten Mitglieder. 2006 verließ er die Demokratische Partei, als diese ihm eine Wiederaufstellung versagte, und schaffte anschließend als Unabhängiger erneut den Einzug ins Oberhaus des Kongresses. Es ist praktisch unmöglich, irgendeinen Krieg der USA zu finden, für den er sich nicht mit voller Kraft engagiert hat. Seit etlichen Jahren drängt er darauf, in die weltweiten Militäroperationen auch den Iran einzubeziehen, der – wie er in seiner Rede vor dem Presseklub erneut wiederholte – »die Nummer eins unter den Förderern des islamistischen Terrorismus« sei. Zur Zeit ist Lieberman Vorsitzender des einflußreichen Senatsausschusses für Innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten.  Die Aussage in der regierungsoffiziellen »National Strategy for Counterterrorism«, auf die sich die Kritik des Senators im wesentlichen bezieht, lautet: »Die Vereinigten Staaten verwenden bewußt das Wort ‚Krieg‘, um unsere unerbittliche Kampagne gegen Al-Qaida zu beschreiben. Aber diese Regierung hat klargemacht, daß wir uns nicht in einem Krieg mit der Taktik des Terrorismus oder der Religion des Islam befinden. Wir sind im Krieg mit einer speziellen Organisation – Al-Qaida.« Indessen wird diese Konkretisierung schon zwei Seiten später vollständig wieder aufgehoben. Angesichts der Tatsache, daß die bloße Existenz des Phantoms »Al-Qaida« immer marginaler, wenn nicht sogar unwahrscheinlich wird, werden deren »Ableger« in den Vordergrund gerückt. Sie werden nicht nur in Afghanistan und Pakistan verortet, sondern auch im Nahen Osten, im Maghreb und der Sahel-Zone Nordwestafrikas, im postsowjetischen Zentralasien und in Südostasien. Die Zuordnung ist mittlerweile rein willkürlich.

Dazu heißt es in der »National Strategy for Counterterrorism«: »Verbundenheit mit der Ideologie von Al-Qaida erfordert nicht unbedingt einen Treueschwur auf die Organisation Al-Qaida. Individuen, die mit Al-Qaida sympathisieren oder sie aktiv unterstützen, können zur Gewalt inspiriert sein und eine fortdauernde Gefahr darstellen, selbst wenn sie wenig oder gar keinen formalen Kontakt zu Al-Qaida haben.«  In praktischer Hinsicht ist der Unterschied zu Liebermans Vorstellungen nicht sehr bedeutend, so daß man seine Polemik auch als Haarspalterei mißverstehen könnte. Der Senator wird aber seine Gründe haben, wenn er die Worte »Terrorismus« und »islamistisch« unbedingt zu einer unauflöslichen, permanent zu beschwörenden Einheit stilisieren will. Die Behauptung, daß damit nicht automatisch auch Ressentiments gegen den Islam und insbesondere gegen die in den USA lebenden etwa 2,7 bis drei Millionen Muslime geschürt werden, ist bestenfalls töricht, eher wohl scheinheilig und verlogen. Die Tätigkeit militant antimuslimischer Gruppen in den USA legt von dieser Realität ebenso Zeugnis ab wie viele Meinungsumfragen der vergangenen Jahre.  Ein großer, offenbar immer noch anwachsender Teil der US-amerikanischen Bevölkerung sieht seine muslimischen Mitbürger als fünfte Kolonne genau desselben Feindes, gegen den man seit dem 11. September 2001 weltweit Krieg führt. Eine gar nicht so geringe Zahl vor allem weißer Amerikaner bezieht in diese Verschwörung für die Unterwanderung der USA und die Errichtung des Weltkalifats sogar Präsident Barack Obama ein. Brigitte Gabriel, Gründerin und Sprecherin der mit angeblich 170000 Anhängern wohl bedeutendsten antimuslimischen Organisation ACT! For America, schrieb in ihrem Buch »They Must be Stopped: Why We Must Defeat Radical Islam and How We Can Do it« (deutsch: »Sie müssen gestoppt werden: Warum wir den radikalen Islam besiegen müssen und wie wir es können«): »Es gilt noch nicht als politisch korrekt, von einem Religionskrieg zu sprechen. Aber genau damit sind wir konfrontiert: Ein Religionskrieg, den die gläubigen Muslime erklärt haben. (…) Es geht nicht um radikalen Islam. Es geht darum, was der Islam in seinem Kern ist. (…) Amerika ist auf allen Ebenen von Radikalen unterwandert, die Amerika Schaden zufügen wollen. Sie haben den CIA, das FBI, das Pentagon und das Außenministerium unterwandert.«

Zudem wird der »Krieg gegen den Terror« nicht nur als Folge des 11. September interpretiert, sondern auch als Kettenglied einer permanenten historischen Konfrontation, die mit der Entstehung und Ausbreitung des Islam im siebenten Jahrhundert begann. Die Absicht zur Eroberung der Weltherrschaft sei, behaupten die Vordenker des Antimuslimismus, immanenter Bestandteil des Islam. Sie müsse daher von jedem wirklich gläubigen Muslim unterstützt werden. Daß dies offensichtlich nicht der Fall ist, wird damit begründet, daß im Islam Lüge und Täuschung gegenüber »Ungläubigen« als legitim gelten. So brachte ein Kursleiter des FBI seinen Schülern bei, daß gemäßigte und moderate Muslime als ganz besonders verdächtig zu betrachten seien, da sie sich wahrscheinlich verstellen. Der Fall wurde jüngst öffentlich bekannt, der Kurs immerhin eingestellt. Aber auch aus anderen Berichten geht hervor, daß die Schriften bekannter antimuslimischer Autoren bei FBI, CIA und anderen Behörden als Schulungsmaterial verwendet werden.  Alles das ist nicht etwa ein ungewollter und nicht voraussehbarer Kollateralschaden, sondern liegt in der Logik des Arguments: Wenn der proklamierte Krieg sich letztlich nicht in erster Linie gegen Organisationen und Menschen richtet, die für konkrete Taten und Pläne verantwortlich gemacht werden, sondern gegen eine unmöglich genau zu definierende und einzugrenzende »Ideologie«, haben Subjektivismus, Willkür und als Folge Hysterie und Hexenjagden freie Bahn.

Das Thema, das Lieberman jetzt wieder aufgegriffen hat, tauchte schon bald nach dem 11. September 2001 auf. Damals waren es vor allem neokonservative Vordenker und Agitatoren, die explizit formulierten: »Der Feind in diesem Krieg ist nicht der ‚Terrorismus‘, sondern der militante Islam.« So stand es am 20. November in einem programmatischen Artikel des Wall Street Journal, den Eliot Cohen verfaßt hatte. Seine Ansichten haben Gewicht: Er ist Professor und Direktor für Strategische Studien an der Johns Hopkins University in Baltimore, war Regierungsberater unter George W. Bush und hatte zuvor die Herausgabe der offiziellen fünfbändigen Untersuchung der US-Luftwaffe über die Ergebnisse des Bombenkriegs gegen Irak im Jahre 1991 verantwortlich geleitet.  In seinem Artikel für das Wall Street Journal brachte Cohen erstmals den Begriff »Vierter Weltkrieg« (World War IV) für die geplante weltweite militärische Eskalation ins Spiel. Die Zahl vier ergab sich daraus, daß der sogenannte Kalte Krieg, die mehrere Jahrzehnte dauernde Ost-West-Konfrontation, als dritter Weltkrieg mitgerechnet wurde.  Ein weiterer wichtiger Theoretiker des »Vierten Weltkriegs« war damals Norman Podhoretz, ein in den 1960er Jahren zum Propagandisten eines aggressiven Imperialismus konvertierter ehemaliger Linker. In der Februarausgabe 2002 der jahrelang von ihm geleiteten Zeitschrift Commentary erläuterte er, »How to Win World War IV«, wie man den vierten Weltkrieg gewinnt – und gegen wen er geführt werden muß.

Noch über Cohen hinausgehend vertrat Podhoretz die Vorstellung, daß der Feind in diesem globalen Kampf nicht der Terrorismus schlechthin, sondern die gesamte islamische Welt sei. Er untermauerte diese These mit fragwürdigen Untersuchungsergebnissen, nach denen angeblich rund 70 Prozent der Ägypter, Syrer, Palästinenser und sogar der Kuwaitis Bin Laden für einen arabischen Nationalhelden hielten.  Der neokonservative Autor Daniel Pipes, derzeit eine Leitfigur in den aggressivsten Kreisen des antimuslimischen Lagers, griff im Epilog zu seinem 2003 erschienenen Buch »Der militante Terrorismus erreicht Amerika« Cohens Begriff des vierten Weltkriegs zustimmend auf, definierte ihn aber in einem sehr viel weiter gehenden Sinn: »Der Terrorismus ist, mit anderen Worten, nur eine einzelne Dimension eines Krieges, der viele Fronten hat und vielfältige Formen annimmt. Gewalt ist ein wichtiges Symptom des Problems, aber nicht das Problem selbst. Andere Methoden können gewalttätige Handlungen von Einzelgängern, Schmuggel, Aufruhr, rechtmäßige Straßendemonstrationen, Geldsammlungen, Unterricht, Missionierung, Einschüchterung und sogar die Kandidatur für Wahlämter einschließen. Diese Methoden ergänzen einander, sie machen die Komplexheit und Reichweite des militanten Islam aus. Zum Schlachtfeld gehören sowohl Länder mit muslimischer Mehrheit als auch Länder wie Argentinien, wo der Islam nur eine geringfügige Präsenz hat.«

Mit der Parole der Neokonservativen vom weltweiten Krieg gegen den »militanten Islam« verband sich von Anfang an die Idee, daß dieser Kampf nicht nur geographisch unbegrenzt zu führen sei, sondern daß er auch zeitlich unabsehbar lange dauern müsse. Das wurde mit Formulierungen wie »länger als der erste und zweite Weltkrieg zusammen«, »mehrere Jahrzehnte lang« oder auch »mehrere Generationen lang« umschrieben. Diese strategische Zielsetzung ist schon jetzt weitgehend erreicht. Die USA, oft im Bündnis mit anderen NATO-Staaten, führen Krieg in Afghanistan und im Irak, sie greifen Ziele in Pakistan, im Jemen und in Somalia mit bewaffneten Drohnen und Killerkommandos an, sie sind als Ausbilder und Berater an Bürgerkriegen auf den Philippinen und in zahlreichen Ländern Afrikas beteiligt. Und sie haben gemeinsam mit ihren NATO-Partnern gerade eben Libyen in einen total destabilisierten Zustand versetzt, der das Land auf den Weg Afghanistans und des Irak zu bringen droht. Vergessen wir schließlich auch nicht die permanente »Option«, den Iran anzugreifen, und die immer deutlicher vorgetragenen Tendenzen zu einer Militärintervention in Syrien, die auch auf den Libanon ausgeweitet werden könnte.  Es handelt sich bei diesen Schlachtfeldern des »Kriegs gegen den Terror« ausschließlich um islamische Länder.

Die inzwischen nach Hunderttausenden zählenden Opfer dieses Krieges sind, so weit es sich nicht einfach um sogenannte Zivilisten, also völlig Unbeteiligte handelt, fast ausschließlich Menschen, die für örtlich eng begrenzte Ziele kämpfen und keinerlei »Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten« darstellen oder auch nur rein theoretisch darstellen könnten.  Der so ganz und gar nicht zu diesem militärischen Aufwand passende reale Hintergrund ist, daß seit dem 11. September 2001 in den USA nicht mehr als 30 Menschen bei Anschlägen ums Leben kamen, die vielleicht einem islamistischen Hintergrund zugeordnet werden könnten, durchschnittlich drei pro Jahr. 2010 war es nicht ein einziger. Zweifellos bleibt immer ein Restrisiko größerer Anschläge, vor allem durch Einzelgänger »unterhalb des Radars« des monströs ausgebauten Hochsicherheitsstaates. Aber dem durch einen weltweiten Krieg begegnen zu wollen, ist so absurd und aussichtslos, daß es nicht einmal als Vorwand ernst genommen werden kann.  Grundsätzlich ist richtig, daß der Antimuslimismus keine Erscheinung ist, die erst in den letzten Jahren entstanden ist. Es gab ihn schon vor dem 11. September 2001, unter anderem besonders heftig in Zusammenhang mit der sogenannten Ölkrise von 1973. Aber er hat im vergangenen Jahrzehnt einen entscheidenden quantitativen und qualitativen Sprung vollzogen. Das läßt sich unter anderem leicht an den Gründungsdaten der einflußreichsten Gruppen, Organisationen und Internetseiten ablesen: Die meisten liegen erst in der zweiten Hälfte dieser Dekade.

Der Antimuslimismus hat sich in dieser Zeit vom Ressentiment zur kompletten Weltanschauung, zu einem verschwörungstheoretisch fundierten Welterklärungsmodell entwickelt. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, daß der Antimuslimismus heute als innere Front einer tatsächlich stattfindenden, global geführten militärischen Konfrontation, eines »Clash of Civilizations«, erscheint und daraus seine vorgebliche Legitimität bezieht. David Yerushalmi, eine herausragende Figur der Haßszene, formulierte es in einem im März 2006 erschienenen Artikel so: »Die muslimische Zivilisation befindet sich im Krieg mit der jüdisch-christlichen Zivilisation. (…) Die Muslime, diejenigen, die dem Islam, so wie wir ihn heute kennen, ergeben sind, sind unsere Feinde.«  Die Muslime erscheinen in diesem Weltbild nicht lediglich als unliebsame Einwanderer, wie etwa Mexikaner oder anderer Lateinamerikaner, sondern als fünfte Kolonne des äußeren Feindes. Sie mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen und aus der mehr oder weniger multikulturellen Gesellschaft der USA auszugrenzen, gilt als »patriotische« Pflicht. Jeder Versuch von Politikern und Behörden, muslimische Bürger respektvoll oder auch nur rechtlich korrekt zu behandeln, wird von den Haßpropagandisten als feiger Opportunismus oder, schlimmer noch, als verräterischer Ausverkauf des »wahren Amerika« an den Feind geschmäht. Wer sich dabei allzu weit vorwagt, wird als »Terroristenfreund« und Wegbereiter der »Islamisierung« Ziel einer hemmungslosen persönlichen Diffamierungskampagne.

Durch den Wechsel von Bush zu Obama hat sich die Lage eher noch verschärft. Obama ist aufgrund seiner eigenen Herkunft bösartigen verschwörungstheoretischen Angriffen ausgesetzt – und reagiert darauf überwiegend defensiv. Die Washington Post wies am 6. September auf die Tatsache hin, daß Obama in seiner bisherigen Amtszeit im Gegensatz zu seinem Vorgänger noch nie eine einheimische Moschee betreten hat. Er besuchte Moscheen im Ausland, in Ägypten, in Indonesien und in der Türkei, aber nicht auf dem Boden der USA.  Dabei ist die Zahl der herausragenden Propagandisten des Antimuslimismus in den USA bis jetzt immer noch überschaubar. Allzu offensichtlich steht diese Haßideologie im Widerspruch zu den Werten, zu denen sich dieser Staat in seiner Unabhängigkeitserklärung und seiner Verfassung bekannt hat.

Der Antimuslimismus ist auch absolut inkompatibel mit dem Bild, daß die Mehrheit der US-Amerikaner von ihrem Land hat und das sie auch nach außen darzustellen wünscht. Selbst unter den Neokonservativen, die einige Jahre lang den strategischen Diskurs in den USA dominierten, sind es nur wenige, die heute als Teil des antimuslimischen Milieus in Erscheinung treten.  Insofern ist die These, daß diese Ideologie »in der Mitte der Gesellschaft« zuhause sei, zumindest für die Vereinigten Staaten nur bedingt richtig. Zwar ist die US-amerikanische Gesellschaft traditionell sehr anfällig für hysterisch-paranoische Welterklärungsmuster. Aber zur Mitte der Gesellschaft gehören auf der anderen Seite auch die Kritiker des Antimuslimismus. Die Realität ist, daß die Thesen und Handlungen der Muslimhasser rechtsextrem sind, daß sie sich gegen die Verfassung und gegen die Werte richten, zu denen sich die USA trotz allem immer noch bekennen und mit denen sie international wahrgenommen werden wollen. Die Antimuslimisten würden sich gern als »Mitte« darstellen, aber vorläufig führen sie nur einen Kampf um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Noch haben sie diesen keineswegs gewonnen. Aber sie werden stärker werden, je länger die herrschenden Kreise der USA ihren »Krieg gegen den Terror« fortsetzen und ausweiten.

Saudi Women Celebrating Their Divorces. Photo: holgerawakens.blogspot.com

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