Nach drei Jahren Zwangspause ist das weltweit einzigartige Buchstabenmuseum zurück. Mit seinen 1000 Schriftzügen und typografischen Objekten gewährt es einen besonderen Blick auf die Geschichte der Stadt.
Vor dem Eingang des S-Bahnrundbogens leuchten drei orangene Stühle, dahinter strahlt Coca-Cola in kyrillischen Lettern. Von dem milden Maitag ist schon im zweiten Rundbogen nicht mehr viel zu spüren. Die dicken Mauern scheinen noch etwas unvertraut mit dem neuen Leben, das sie beherbergen. Das einstige Lager ist seit dem letzten Wochenende ganz offiziell ein Museum: das einzige weltweit, das Buchstaben und Schriftzüge aus dem öffentlichen Raum rettet, sammelt und ausstellt.
Im zweiten Rundbogen lehnen an einer Wand ein blau leuchtendes E und ein I. Fast daneben steht ein Markthallen-M. Auf dem Boden nüchtert die Zille-Stube aus und darunter schwimmt ein Zierfisch aus der Frankfurter Allee. Die Schuhe mit ihrem schön geschwungenen S, die schnell ins Auge stechen, sind einer der liebsten Schriftzüge von Barbara Dechant. Die Grafikerin, die schon fast immer eine Leidenschaft für typografische Objekte hat, gründete bereits 2005 das Museum. Hinter dem steht ein Verein, der auf inzwischen gut 150 Mitglieder angewachsen ist und dessen Vorsitzende sie ist. Bis nach Honolulu, wo eines der Mitglieder lebt, reicht die Begeisterung für das Berliner Buchstabenmuseum mit seinen inzwischen über 1000 Objekten.
Es sieht manierlich aus
Endlich, erzählt Barbara Dechant, haben sie im Hansaviertel Räume und einen langfristigen Mietvertrag ergattert. Bisher war das Museum immer nur Zwischenmieter, zuletzt in einer alten HO-Halle an der Jannowitzbrücke. Drei
Jahre Zwangspause hat das Buchstabenmuseum hinter sich. So lange hat der Umwidmungs- und Bauprozess der S-Bahnbögen vom Lager zum Ausstellungsort gedauert. Nun, mit einer Perspektive für die nächsten zehn Jahre, könne man endlich auch mal Förderanträge stellen, sagt Barbara Dechant, die das Museum am liebsten hauptberuflich und nicht mehr nur ehrenamtlich leiten würde. An Ideen mangelt es ihr nicht, erzählt sie. Aber an Zeit und Geld. Auch nach Sponsoren halten sie inzwischen Ausschau. Till Kaposty-Bliss, der zweite Vorstandsvorsitzende des Museums, nickt anerkennend und spricht vom Löwenanteil, den Barbara Dechant stemmt. Zum 15. Geburtstag des Museums im nächsten Jahr ist eine kuratierte Ausstellung der Sammlung geplant. Im Mai 2019 seien sie froh, an dem Punkt zu sein, an dem das Museum geöffnet ist und ganz manierlich aussieht. Noch lehnen die meisten Buchstaben und Objekte des Museums an den Wänden, liegen auf dem Boden oder, wie die Komische Oper, sauber aufeinander gestapelt. Im dritten Rundbogen wurde ein Teil der Sammlung nach Farben sortiert. Der Schriftzug „Film-Palast“, der den weißen Bereich flankiert, wird demnächst in einem Film über Udo Lindenberg zu sehen sein. Barbara Dechant wirkt ein bisschen stolz, als sie das erzählt. Denn das Buchstabenmuseum verleiht seine Objekte auch. Ganz unaufwendig ist das nicht. Verträge müssen geschlossen und der sachgemäße Transport muss organisiert werden.
Stadt, Schicksal, Leuchtreklame
Hinter dem Film-Palast liegt eines der ältesten Objekte. Der Schriftzug eines Lederwarengeschäfts aus dem Jahr 1946. Der Neffe der Ladenbesitzerin hat Jahrzehnte später auch noch die Quittung der Neon-Leuchtreklame gefunden und dem Museum vermacht. Teuer waren die gebauten Schriften auch vor 70 Jahren.
Im Buchstabenmuseum gewinnt man den Eindruck, dass die Leuchtreklamen, die einst über den Türen und Fenstern von Mode- und Blumengeschäften, Friseursalons, Papier- und Geschenkeläden und Kneipen hingen, die Hoffnungen der Einzelhändler:innen in sich tragen. Und man stellt sich unmittelbar die Floristin und den Schuster vor, wie sie vor ihren Läden stehen und aufgeregt beobachten, wie ein Handwerker ihre Leuchtreklame anbringt, die fortan Sommers wie Winters Wind und Wetter trotzen wird.
Die Schriftzüge im Buchstabenmuseum erzählen von individuellen Lebensgeschichten und zugleich von der Geschichte der Stadt. Manche dieser Geschichten sind den Museumsmachern bekannt. Etwa die des Hotel Bogota. Einen Rundbogen weiter steht der Schriftzug des legendären Künstlerhotels aus der Schlüterstraße, in dem Künstler:innen wie Helmut Newton, René Burri, Hannah Schygulla oder Ilja Richter zu den Stammgästen gehörten. Als der Betreiber Joachim Rissmann den Schriftzug nach der erzwungenen Schließung des Hotels vorbeibrachte, sei der Schmerz über den Verlust spürbar gewesen. Nun symbolisiert der Bogota-Schriftzug den Wandel der Stadt, in der Häuser zu Spekulationsobjekten geworden und die Gewerbemieten erheblich angestiegen sind.
robo-was? Das Buchstabenmuseum rettet vor dem Vergessen
Doch nicht jedes Unternehmen muss untergehen, damit sein Schriftzug im Museum bei Barbara Dechant landet. Manchmal reicht ein Umzug wie beim Tagesspiegel. Oft sorgt auch ein neues Erscheinungsbild dafür, dass Beschriftungen an Konzernzentralen und Filialen ausgetauscht werden. Manchmal ist der Wechsel im Coporate Design drastisch. Im Fall der Telekom zum Beispiel, die einst gelb war.
Im Buchstabenmuseum finden sich auch Schriftzüge aus der DDR. Nicht nur die Zierfische aus der Frankfurter Allee sind Bestandteil der Sammlung. Im vierten Bogen lehnen etwa an einer Wand fett und futuristisch die Buchstaben von robotron, dem größten Computerhersteller des untergegangenen Landes. Die Lettern des „Apple der DDR“, sind durch einen großen Zufall Teil der Sammlung geworden. Abmontiert lagen sie schon in einem Dresdner Container zur Verschrottung bereit, als ein Mann beim Buchstabenmuseum anfragte, ob sie Interesse an dem Schriftzug hätten. Binnen weniger Stunden wurden rechtliche Hürden aus dem Weg geräumt, aus der Ferne ein Transporter gemietet und die acht Objekte nach Berlin gebracht.
Überraschend ist auch die Geschichte des Schriftzugs der Deutschlandhalle aus den 1950er Jahren. Vor dem Abriss der Konzerthalle hatten sich Barbara Dechant und ihr Team bereits den Schriftzug gesichert. Doch dann verschwanden die Buchstaben auf sonderbare Weise. Nachdem sie kurz bei ebay angeboten worden waren, verlor sich jede Spur. Vor einem Jahr tauchte der Schriftzug bei einer Firma auf und wurde dem Museum übergeben. Nicht immer gelingt es den Museumsmachern, die alten Leuchtreklamen zu retten. Die größte Konkurrenz sind Händler, die die Schriftzüge weiterverkaufen und den Laden- oder Hausbesitzern entsprechende Summen bieten können. Dann sind die Buchstaben häufig für die Öffentlichkeit verloren und hängen an den Wänden privater Wohnungen.
Die typografischen Objekte und die vielen Geschichten machen das Buchstabenmuseum zu einem besonderen Ort. Gebaute Schriftzüge, sagt Barbara Dechant, als wir vor den Lederwaren stehen, waren schon immer das Bessere. Mit ihnen verschwindet auch eine ästhetische Qualität im öffentlichen Raum. Heute prägen die immer gleichen Markennamen die Innenstädte. Und seit jeder ein Grafikprogramm auf seinem Computer hat, werden viele Ladenbeschriftungen von Laien angefertigt. Die zweifelhaften Ergebnisse kleben dann auf Leuchtkästen oder an Fenstern. Nach einem Besuch im Buchstabenmuseum blickt man anders auf die Stadt und freut sich, wenn man in einer Nebenstraße den Neonschriftzug „Blumen Kögler“ entdeckt oder an einem Gebäude neben der Autobahn türkis die Lettern „Krug Möbelladenbau“ leuchten.
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Warum ein Filmrequisiten-E in die Sammlung aufgenommen wurde und was die Buchstaben HAUP mit dem Ostbahnhof zu tun haben, können Sie immer donnerstags bis sonntags von 13 bis 17 Uhr im Buchstabenmuseum in Erfahrung bringen.
Buchstabenmuseum
Stadtbahnbogen 424
Hansaviertel
www.buchstabenmuseum.de