vonkirschskommode 23.04.2024

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In meiner zehnbändigen Tucholsky-Ausgabe, die ich mir 1985, ich weiß nicht von welchem Geld zugelegt habe, befindet sich die berühmte Treppe „Sprechen-Schreiben-Schweigen“, ein Faksimile der Originalzeichnung, am Ende des zehnten Bandes, der Tucholskys Texte aus dem Jahr 1932 umfasst, und unmittelbar vor unveröffentlichten Texten aus den Vorjahren. Sie befindet sich dort einigermaßen willkürlich, dem Willen der Herausgeber geschuldet, bedeutungsvoll drei Punkte zu setzen, das Verstummen des Autors ab 1933 andeutend. Tatsächlich stammt die Zeichnung aus einem anderen Buch Tucholskys, seinem Sudelbuch, ein von 1928 bis 1935 geführtes Notizbuch, und ist dessen letzter Eintrag. In meinem Bücherschrank steht es nicht, obwohl es, herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky, seit 1973 zu kaufen gewesen wäre. Aber wie bei seinem Nachfolger, Die Q-Tagebücher, war mir nie danach, es zu lesen.

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Der von den Nazis „aufgehörte Autor“ Tucholsky beunruhigte mich; dem kämpferischen konnte ich mich als junger Mensch besser nähern. Ich habe mir deshalb sein „Sprechen-Schreiben-Schweigen“ lange verniedlicht, zu einer Art Stufenfolge der Weisheit, zu einem zum Kokettieren mit dem eigenen Mangel an Weisheit geeigneten Zitat, meine Wenigkeit dabei im Übergang von Stufe 1 zu Stufe 2 begriffen, also noch weit entfernt von höheren Weihen. „Schriftsteller“, so sagt in Peter Hacks’ Moritz Tassow  der Titelheld über seine ganz eigenen sowie über alle eventuellen Zukunftspläne der Menschheit – und es hat mich sehr beeindruckt, „ … ist der einzige Stand, / In dem ich nicht verpflichtet bin, kapiert / Zu werden oder Anhänger zu haben.“ Aber mit der dritten Stufe von Tucholskys Treppe hat das noch lange nichts zu tun. Die kommt erst mit der Niederlage ins Spiel. Und mit deren Endgültigkeit.

Ich habe nie angefangen, als Schriftsteller oder Dichter politisch zu wirken, und kann deshalb nicht aus politischen Gründen mit Gewalt „aufgehört“ werden. Und doch scheinen Umstände näher zu rücken, die mir das Schweigen immer stärker auferlegen könnten. Und das für lange ohne jeden Ausweg. Weil die Gewissheit wächst, nicht gegen das Kriegsgeschrei, die Verelendung und die Verrohung ankommen zu können. Weil es die nächsten Nachbarn, vertrauteste Kollegen und Kolleginnen, ja sogar älteste Freunde sind oder sein können, die in der allgemeinen Verrohung mit verrohen.

Noch kokettiere ich bloß mit der Möglichkeit der Niederlage. Ich habe mich zum Beispiel kürzlich zum Vorsitzenden eines Kleingartenvereins wählen lassen und begründe das vor mir selbst damit, dass ich irgendetwas zu tun bräuchte, falls ich mich aufs Schweigen verlegen müsse und nicht mehr dichten könne. Ich scherze, aber im Grunde geht es mir darum, mich an das Vorhandensein dieser Möglichkeit zu gewöhnen. Tucholskys Q-Tagebücher  stehen seit 1978 ungelesen in meinem Regal, weiß ich, weshalb man fand, das Buch sei ein gutes Geschenk für einen Jugendlichen. Nun werde ich es sicher bald lesen.

Der Dichter im Gärtchen

Es ist so weit. Ich hab
nichts mehr zu sagen.
Die zwanzig Jahre bis zum Grab
kann ich gut stumm ertragen.

Ich lächle. Mild. Und schweig.
Das reicht den Leuten!
Mein allerkleinster Fingerzeig
mag umso mehr bedeuten.

Von mir – nicht mäh, nicht muh.
Ich pflanz Kartoffeln.
Ich werd, in weiser Seelenruh,
mich schicken. Und verstoffeln.

 

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