Was bisher geschah: DKPVDA – der nach einer Bombenexplosion auf dem Grab von Ludwig Erhard tot aufgefundene Polizist Dellmann hatte ihn gegründet: den Deutschen Kampfbund für die Planmäßige und Vollständige Durchrassung des Abendlandes! Das erfährt Kriminalkommissar Wengath von Dellmanns mit einer Problemschwangerschaft im Krankenhaus liegenden Tochter Monika. Zuvor hatte er wochenlang nichts von ihr gehört. Doch nach einem gewaltsam unterbrochenen Anruf des Pathologen, Dr. Siecher, schießt ihm sein ganzer Fall von Anfang bis Ende durch den Kopf: Irgendetwas stimmte nicht. Und nachdem er sich von dem im Mordfall an Monikas Mann ermittelnden Inspektor anhören durfte, dass seine, Wengaths, Ermittlungsansätze nichts als gaga seien, entschließt er sich, Monika Dellmann-Nwgabe auf eigene Faust ein zweites Mal zu vernehmen. DKPVDA! Ihr Vater, so erzählt jetzt Monika, wollte Deutschland genetisch verjüngen und durch gezielte Rassenvermischung zur unangefochtenen Nummer 1 in der Welt machen.
Ich verstehe, die Kategorie Rasse spielte eine zentrale Rolle im Denken Ihres Vaters. Er konnte seine Rassentheorien seinen Gefühlen anpassen, aber nicht aufgeben. Das wäre zu viel verlangt gewesen.
Sie strich die Bettdecke über ihren Beinen glatt, stumm, lange und ausführlich.
Rasse und Deutschland, um genau zu sein. Einen französischen Kampfbund für die Durchrassung des Abendlandes hätte Ihr Vater abgelehnt.
Sie drehte ihm ihr Gesicht zu; große Augen, kindlich-wichtige Frage:
Ist es sehr verrückt, was er sich da ausgedacht hatte? Ich meine, das ist es natürlich, aber …
Es ist nicht verrückter als jede andere Rassentheorie. Es ist wahrscheinlich harmloser. Bei Ihrem Vater muss niemand umgebracht oder vertrieben werden, um Deutschland groß zu machen. Gerade das könnte allerdings andere Rassisten stören. Wie hat denn seine Umwelt reagiert?
Sie knüllte das Bettzeug wieder, rang es mit den Händen durch. Und er hatte es jetzt heraus: Knüllen und Knautschen war Nein, Glattstreichen Ja. (Und die Pause abwarten, die jedem Knüllen folgte):
Er hat alle genervt. Vor allem konnte er nicht aufhören mit dem Thema. Erst ganz zum Schluss hat er nichts mehr gesagt. Ich weiß nicht, was mit ihm los war. Dabei hat er sich kurz vorher noch so gefreut.
Und Ihre Mutter?
Sie hielt ihre Hände still, krallte die Finger in den Knoten aus Stoff: Es gab also auch ein Unentschieden.
Ich weiß es nicht. Mein Vater hat ja alles heimlich gemacht, jeden Besuch, jeden Anruf.
Aber jetzt hilft sie Ihnen?
Sie entließ die zusammengewrungenen Stofflagen aus ihren Händen, zog sie über ihre Beine. Eine Träne fiel darauf, sie strich hastig darüber hinweg.
Ich verstehe. Sie ist der Meinung, Sie seien zu schwach für das Kind, ein schwarzes Kind hab es ohnehin viel zu schwer, für Schwarze sei kein Platz in Deutschland, eine Frau mit einem schwarzen Kind finde keinen Mann. Sie sollten besser einen Schnitt machen mit der Vergangenheit und sie würde Ihnen helfen.
Sie verschluckte sich, hustete, weinte schrecklich, das Krankenbett hüpfte, bockte und bäumte sich auf, geschüttelt von den Schluchzern. Wo doch Reiten, Hüpfen, Hopsen als sicheres Abtreibungsmittel während der ersten drei Monate galt: Sie sollte aufhören damit! Das überlebte Joãos Kind nicht. Das er doch notfalls sogar adoptieren würde als Enkel. Denn seinetwegen hatten Kolbe und Breker João hingerichtet, wenn er es nicht selbst gewesen war im Suff. Er würde doch alles wieder gut machen, gut, gut, gut, wenn sie nur aufhörte zu weinen. Aber da schwang sich auf die Zimmertür, neun Monate watschelten hinein, wuchteten sich unbeholfen aufs Bett: Ach, meine Kleine. Und kommkomm. Und den Säugling an die Brust, das wussten die neun Monate im Voraus wie das ging, eia wiwi, Monika Dellmann beruhigte sich langsam. Die neun Monate, das immer wieder aufschluchzende Kind im Arm, schauten Wengath gerade ins Gesicht:
Nicht wahr, sie soll es nicht machen!
Ganz großväterlich wurde ihm durch ihren Blick, bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben, jetzt war es um ihn geschehen, Weihnachtsoratorium, den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehen. Seine Wangen (sollten noch viel schöner prangen:) glühten, krebsrot war er bestimmt schon, ein in Rührung gekochtes Schalentier:
Nein, bloß nicht. Sie soll ihre Mutter rausschmeißen, wenn die noch mal kommt und davon anfängt.
Er las sein handgeschriebenes Protokoll durch, das von Biminski dagegen. Eins zu eins unentschieden stand es danach. Nach dem allerdings, was Monika Dellmann-Nwgabe ihm für Aussagen unterschrieben hatte, stand es zwölf zu null für ihn. Hunger spürte er. Er sollte irgendwo unterwegs anhalten, noch etwas essen, regelmäßiges Mahlzeiten waren die beste Vorbeugung gegen Magengeschwüre. Dann: Mit Bertsch musste er reden. Gleich als Erstes. Vielleicht gab es einen Weg, Staatsanwalt Nebelung zu umgehen, der formal das Ermittlungsverfahren leitete. Er legte die Papiere auf den Beifahrersitz, startete seinen Fiesta und fuhr den Pfeilen nach zur Ausfahrt aus dem Parkhaus des Krankenhauses. Nebelung würde, wie die Dinge lagen, immer und unbedingt das Protokoll von DroOrg stützen. Schon aus Selbstschutz. Denn er war nicht nur Freund der Familie Dellmann, er gehörte auch dem Club an – früher am Stölpchensee, jetzt im Osten -: Am Dienstag schoss der Staatsanwalt. Wie der Tote. Wie vielleicht Kolbe und Breker. Der Schießclub war reich und exklusiv, hatte fast ausschließlich studierte Mitglieder. Von Kolbe und Breker konnte man sich gut vorstellen, dass sie vor ihrem Kampftraining ein Jurastudium durchlaufen hatten. Aber Dellmann als einfacher Polizeiobermeister hatte bestimmt nur mitmachen dürfen im Club, weil er Nebelung als Hausfreund geduldet hatte. Und gründete dann diesen DKPVDA, es war unfassbar. Politischer Selbstmord. Deutscher Kampfbund zur planmäßigen und vollständigen Durchrassung des Abendlandes. Zum Schießen. Die Herren vom Club dürften sich bedankt haben.
Seit wann läuft denn wieder was mit Dellmann?
Er hatte sich kaum gesetzt, zwei Minuten vielleicht, die Papiere auf seinem Schreibtisch durchgeblättert, da kam die Frage: Schwittmann, Kontrolletti (aber woher wusste er?). Er saß zurückgelehnt in seinem Drehstuhl, die kurzen Arme über Bauch gekreuzt, Kopf leicht schief, Unterlippe vorgeschoben, mitm Gras zwischen den Zähnen: Bauer auffer Mauer auffer Lauer. Hatte bloß grad keinen Halm: Ahzeema, Wengath, wat jibbsn da?
Wieso?
Ja, das frage ich mich. Wir haben das Ermittlungsverfahren abgeschlossen, der Staatsanwalt sagt, es reicht fürs Gericht.
Und kaute langsam seinen nicht vorhandenem Grashalm von links nach rechts und zurück, die Schweinsäuglein drüber auf Durchdringend gestellt. Wengath schob seinen Papierkram beiseite:
Komm, Micha, was ist passiert?
Naja, wieso ruft die hier an?
Wer ruft hier an?!
Na, die Kleine von Dellmann. Was läuft denn da noch?
Was hat sie gesagt?!
Er war aufgesprungen, musste sich zusammennehmen, nicht auf Schwittmann loszugehen, ihm den Grashalm aus dem Maul zu reißen, ihm am Kragen zu packen. Der Dicke duckte ein, die vor der Brust gekreuzten Arme gingen ihm auseinander, zwei abwehrende Hände stellten sich auf, kleine hautrosa Puffer vor einer Schwabbellokomotive:
Ja, nüscht hatse gesagt. Nur dasse dir für deinen Besuch dankt und dasse jetz losfährt, sich mit ihrer Mutter auszusprechen. Soll ich dir ausrichten.
Oh, Himmel, was bedeutete denn das wieder?! Er stand vor Schwittmann: Hatte sie sich in ein Taxi gesetzt, einmal Lichtenrade und? Während Schwittmann gerade die verschränkten Arme wieder gewichtig oben auf die Brust setzte:
Aber kannst du mir mal erklären, was das soll?
Micha, wann war das?!
Schwittmann blies Luft ab, Verwandlung von Bauer zu Dampflok erfolgreich, sah von seinem Sessel zu ihm hoch, selbst erstaunt, wie schnell das ging mit den Metamorphosen. Oder hatte Wengath doch geschrieen in seiner Panik?
Ja, so vor zwei, anderthalb Stunden.
Wengath grabschte seinen Mantel vom Haken, rannte, kackekackekacke, los zur Tür, Lichtenrade und zurück.
Wassnloos, Dänni?!
Die Tür knallte: Schwittmann weg. Wengath rannte die Gänge entlang, der Luftzug riss alle Köpfe zu ihm herum, gelangte unfallfrei zum Parkhaus. Lichtenrade und zurück – zurück, wenn er mal nur nicht zu spät kam.
Er presste seinen Finger in das Messingrund der Klingel, Knopf versenkt bis Anschlag, die Schulter gegen das Gartentor gestemmt. Das Tor sprang auf, schmiss ihn auf den Weg, grasumwachsene Steinplatten, auf die er zuschoss, er fing sich, trat nach hinten gegen die Latten des Tors: Mit dem Krachen des Tors ins Schloss verstummte der Summer. Er zog die Pistole, lief die kleine Treppe hinauf zur blau gestrichenen Tür, ein schwarzer Spalt schob sich auf, als er sie berührte. Er warf das Türblatt mit Gewalt nach innen, machte einen Satz in das Halbdunkel des Flurs. Die Tür knallte an die Wand und flog zurück in den Rahmen, es stand niemand hinter ihr. Am Ende des Flurs schimmerte Licht, das schattenschwarz getrübte Gelb einiger Kerzen. Er ging langsam darauf zu, immer dem Pistolenlauf nach, zielte in die Türöffnung an der er vorbeikam, ein Badezimmer, leer, ging Schritt für Schritt weiter.
Lassen Sie die Waffe fallen, Herr Wengath, und nehmen Sie die Hände hoch.
Er sah aus dem Augenwinkel die auf ihn gerichtete Waffe und gehorchte. Aber seine Pistole fiel ihm auf den Fuß: War das denn die Möglichkeit?! In keinem Fernsehfilm fiel jemals eine Pistole, ein hammerschweres Teil aus Eisen, demjenigen, der sie fahren ließ, auf den Fuß. Er stöhnte auf, hob den Fuß an, durfte doch aber die Hände nicht herunternehmen, um die schmerzenden Zehen packen, hüpfte also einbeinig mit erhobenen Händen, schwankte gegen die Wand.
Lassen Sie den Tanz, gehen Sie ins Wohnzimmer.
Wo ist Ihre Tochter, Frau Dellmann? Wo ist Monika?
Gehen Sie ins Wohnzimmer.
Er ging langsam voran, zog den Fuß nach, hörte, wie sie hinter ihm seine Pistole aufhob. Heimspiel für sie. Vermutlich hatte sie lediglich mit geschlossenen Augen in einem Schatten gestanden. Wer nicht gesehen werden wollte, stellte sich lediglich mit geschlossenen Augen in eine dunkle Ecke. Ein alter Trick war das und er auf ihn hinein gefallen.
Setzen Sie sich neben sie. Ans Fußende.