vonkirschskommode 16.12.2025

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

Der Name meines Wohnorts ist ähnlich klang- und bedeutungsvoll wie mein deutsches Lieblingswort Dampfdrucktopf, dieses Wunder sprachlicher Ökonomie, das in drei Silben zusammenpresst, was in anderen Sprachen mit der gleichen Genauigkeit nicht kürzer als etwa mit olla de presión de vapor  ausgedrückt werden könnte. Im Namen meines Wohnorts bedeutet die erste Silbe eine Grenze oder eine Randlage, die zweite niedrigen Pflanzenbewuchs auf einer Fläche und die dritte eine Erhebung im Gelände – ich übersetze: Rainkrautwall.

Es ist ein Kunstname; die überlieferten Ortsnamen der Gegend klingen mehr wie Krietzsch  oder Eutzsch, was in Zeiten nationaler Aufwallung und Selbstbesinnung – hier geschah es im glorreichen Jahr 1934 – nicht mehr markig und deutzsch, Verzeihung: deutsch genug war. Der in drei Silben herausblaffbare Name Rainkrautwall  erfüllte die Anforderungen der neuen Zeit auf vollendete Weise. Am Krautwallrain blüht seither das Rainwallkraut, nur mein Lokalpatriotismus gedeiht nicht sonderlich.

Vor etlichen Jahren lebte ich in einem anderen Dorf und mit im Dorf lebte die alte Marina in ihrem niedrig-kleinen Haus, dessen Küche, die auch das Wohnzimmer war, nichts als gestampften Lehm als Fußboden hatte. Marina erzählte, dass sie sich nach dem verlorenen spanischen Bürgerkrieg noch jahrzehntelang mit der Vorstellung getröstet habe, La Pasionaria  würde eines Tages auf einem Motorrad angefahren kommen, das Dorf befreien, das Land verteilen und überhaupt Gerechtigkeit schaffen, als reitende Botin des Weltkommunismus. Mir dergleichen Wachträume auszumalen, würde ich mir aus Angst vor Enttäuschung lieber nicht erlauben wollen, aber die Haltung, dass schließlich doch irgendetwas auftauchen müsse, das die Umwälzung aller Verhältnisse in erträglichere, erfreulichere einleite, ist mir alles andere als fremd. Aus dieser Haltung heraus mische ich mich dann, trotz meines mäßig entwickelten Lokalpatriotismus, doch immer wieder in die Lokalpolitik ein. Wer weiß, wer oder was morgen ins Dorf einreitet. Kommt der Moment, das Gemeinwesen neu ordnen zu können, soll man mich vorbereitet finden. Ich schließe mich also einer lokalen Gruppe von Aktiven an und mache mich nützlich. Inzwischen habe ich es soweit gebracht, dass ich im Namen der Gruppe Beiträge für den Stadtanzeiger verfassen darf, 1500 Zeichen alle vierzehn Tage, um wider den Stachel zu löcken, zum Beispiel so:

Mieten

Ich hoffe, niemand kommt im Ernst auf die Idee, aber auch Atemluft kann privatisiert und verkauft werden. Dazu böte sich das Prinzip der Luftsäule über privatem Grund an; mehrere Eigentümer eines Grundstücks teilen sie prozentual unter sich auf. Ebenfalls anbieten dürften sich Verwertungsgesellschaften, die das Abkassieren bündeln und die Gewinne anteilig ausschütten. In Wohneigentum ist das Atmen für Eigentümer frei, in Mietwohnungen Bestandteil der Miete. Der Verkauf von Atemluft aus städtischen Luftsäulen spült dringend benötigtes Geld in die Stadtkasse.
Alle Atemluftnutzer werden verpflichtet, eine App auf ihr Handy zu installieren, um ihre Bewegungen durch die Luftsäulen zu kontrollieren; sie erhalten monatlich eine Abrechnung. Der Aufenthalt in Luftsäulen mit inaktiver App gilt als Schwarzatmen und ist als Leistungserschleichung strafbar. Wer seine Atemluft dauerhaft nicht bezahlt, oder wer sie sich in betrügerischer Absicht wiederholt erschleicht, dem kann in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Atemluft eingeschränkt oder entzogen werden. Ein Zusammenhang zwischen einer solchen Sanktion und dem eventuellen Ableben eines Sanktionierten besteht, ähnlich wie beim Tod eines Obdachlosen einige Zeit nach einer Zwangsräumung, aus juristischer Sicht nicht.
Schwarzer Humor? Gewiss. Doch mal im Ernst: Fast ebenso dringend wie die Luft zum Atmen braucht jeder Mensch Wohnraum. Aber der wird privat gehalten und immer teurer abgegeben. Auch in Rainkrautwall.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/mein-wohnort/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert