Meine Kinder sind Transmenschen, trans-feminin und trans-nonbinär. Selbstverständlich komplizieren solche Transitionen eine gewisse Zeit das Familienleben, eben die, die es braucht, bis die gesamte Familie sich an das Neue gewöhnt hat. Das ist nicht anders als bei Veränderungen im Speiseplan, die nötig werden, wenn ein Familienmitglied eine bestimmte, zuvor von allen geliebte, gern gegessene Zutat nicht mehr verträgt oder ablehnt. Wenn das Zweite nicht sogar manchmal schwieriger ist, Familien sind Essgemeinschaften, der Duft ihrer jeweiligen Lieblingsessen ist einer der heimeligsten, am stärksten verbindenden ihrer Stallgerüche, mithin gemeinsam gelebte Kultur. Während die Transeigenschaft der Kinder mit den erblichen Anlagen verwoben ist, die ihre Eltern an sie weitergegeben haben, ähnlich den Locken, die in einer Familie von Glatthaarigen nach Generationen auf irgendeinem Kopf doch wieder erscheinen. Kurz: Werden meine Kinder Veganer*innen, machen sie sich gefährlich unabhängig von meinen kulinarischen Bevaterungen, finden sie heraus, dass sie trans sind, war das, wenn auch in einem schwer genauer zu bestimmenden Maß, bereits in ihren Eltern, mithin auch in mir angelegt.
An einen trans-femininen Menschen gewöhnt sich die Zunge eingermaßen schnell. Aus er und ihn wird sie, aus ihm wird ihr. Bei einem trans-maskulinen genau so, bloß andersherum, aus ihr wird ihm, aus sie, je nach Fall, ihn oder er. Das sich verändernde oder bereits veränderte Aussehen der Transkinder hilft der Zunge, sich nicht zu verhaspeln. Die Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes dagegen verwirren die Personalpronomen oft wieder, so wie sie auch lange den abgelegten Namen immer wieder hervorbringen. In der Familie, falls sie nicht völlig dysfunktional ist, verbindet der sogenannte Deadname eines Transmenschen sich mit zärtlichen Gefühlen und weigert sich, davon gestärkt, recht hartnäckig zu sterben. Dennoch ist verblüffend zu bemerken, dass der angenommene Name, ebenso wie die neu entdeckte geschlechtliche Identität, tatsächlich tief in die erinnerte Geschichte des ursprünglich anders benannten und andersgeschlechtlich behandelten Kindes einzusickern beginnt und sich mit ihr verbindet. Es gibt zwar noch einen alten, geliebten Namen, aber er bekommt sein Recht, den Menschen zu bezeichnen, mehr und mehr von dem neuen: Ein Foto von Paula, als sie Paul war, der Paula ist, bzw. von Paul, als er Paula war, die Paul ist. Das alles erfordert Einfühlung und Geduld, ist insofern aber ohne unüberwindliche oder auch nur größere Hürden.
Komplizierter ist es, non-binäre Angehörige zu haben, genauer: über sie und mit ihnen zu sprechen. Zwar gibt es im Deutschen grammatisch ein drittes Geschlecht, das neutrale, mit seinem Artikel das und seinen Pronomen es und ihm, aber außer für ein noch recht kleines Kind oder einen, in einer Laune verniedlichten Menschen fällt es schwer, es oder das für Personen zu benutzen. Zumal es gleichzeitig ein grammatischer Platzhalter ist, zum Beispiel im vorangegangen Satz, in dem etwas, nämlich es schwerfällt, oder auch immer dann, wenn es mal regnet oder schneit.
Die Betroffen selbst sind daher dazu übergegangen, sich neue Pronomen auszudenken und von diesen scheinen sich allmählich die Neuwörter dey und demm durchzusetzen. Im Beispielsatz: Dey überzeugt mich leider nur halb, denn ich finde dey zwar nicht dumm, kann demm aber nicht in allem folgen. Wie es und sie hat dey keine besondere Akkusativform oder, wie der feministische Grammatiker (Pronomen: er, ihn, ihm) sagt: Auch mit dey bleibt es dabei, dass allein das männliche Geschlecht im Akkusativ Probleme macht. Weshalb kann ich demm nicht in allem folgen?
Personalpronomen sind entscheidende Elemente in Satz- und Textgefügen, aber sie füllen nicht alle Stellen aus, an denen non-binäre Personen in Sätzen und Texten auftauchen können und benannt werden müssen. Den Namen der Person zu Hilfe zu nehmen, mag manchmal Lücken schließen, manchmal aber auch nicht. Ein Beispiel dafür ist die Anrede. Ich schreibe meinem non-binären Kind und will nicht geschäftsmäßig Hi, Hallo plus Namen schreiben, sondern, meinen Gefühlen entsprechend, das Adjektiv lieb vor den Namen stellen. Nach allem, was ich darüber finden konnte und gelesen habe, führt kein Weg hinein. Genauso bei allen von Adjektiven abgeleiteten Koseformen – mein Süßer, meine Süße. Ich kann sie meinem süßen non-binären Kind nicht sagen.
Es ist in der deutschen Sprache unmöglich, Pronomen ohne Nomen (Hauptwörter), deren Artikel sowie die bei Bedarf dazugenommenen Adjektive zu denken. Dey und demm haben jedoch hörbar englische Vorbilder, stammen mithin aus einer Sprache, aus der die Adjektivdeklination und die vielen verschiedenen Artikelformen lange verschwunden sind. Sie bezeichnen im Übrigen einen Plural, was jedoch, seit das englische Ihr (you) das englische Du (thou) praktisch vollkommen verdrängt hat, eher wenig stört. Die mit they korrospondierenden Verbformen sind auch die von you und werden daher im täglichen Gebrauch ebensogut als Formen für eine einzelne Person wahrgenommen, auch wenn zum Beispiel „Oh, you are so smart!“ sich durchaus einmal auf eine ganze Gruppe beziehen kann. Ins Englische fügt sich also der neue, auf eine einzelne non-binäre Person bezogene Gebrauch von they und them relativ geschmeidig ein, ohne Hör- und Sprechgewohnheiten zu sehr zu irritieren.
Im Deutschen, vor allem in meinen Ohren, denen eines Lehrers für Deutsch als Zweitsprache, klingen dey und demm wie bestimme Artikel oder Relativpronomen der Sorte der, das, die, den, dem, des, denen, deren, dessen. Nun gibt es darüber hinaus meistens einen klanglichen Zusammenhang zwischen den Artikeln, Relativpronomen und den Personalpronomen: der – er; der – ihr; das – es; die – sie; den – ihn; dem – ihm; denen – ihnen; deren – ihre(n). Pronomen und Artikel bilden ein Gespann; sie beleuchten, ja, bedingen einander. Ein Nicht-Muttersprachler, eine Nicht-Muttersprachlerin würde beim Erlernen der Sprache dey und demm entsprechend zuerst als Artikel auffassen, könnte sie aber, weil sie sich ansonsten nicht wie Artikel verhalten, wahrscheinlich nur schlecht einordnen.
Immerhin erlaubt die Nicht-Muttersprachler-Perspektive einen kühnen Analogieschluss, der hier vielleicht weiterhilft. Wäre dey ein Artikel – dey Kim tritt meinem Text ab jetzt als non-binäre Beispielperson auf – dann hieße das Personalpronomen vermutlich nicht ebenfalls dey sondern: ey. Ey, also dey Kim, war ursprünglich eine Person in einem meiner Kindertheaterstücke. Ich brauchte ey, weil es bei emm gleichgültig war, ob ein Mädchen oder ein Junge die Rolle übernehmen würde. Damit wäre ein mögliches non-binäres Gespann von Artikel und Personalpronomen glücklich gefunden. Relativpronomen ergäben sich ebenfalls mühelos: dey Kim, demm ich etwas schenke, dey Kim, dey sich darüber freut.
Beim unbestimmten Artikel allerdings wäre eine Entscheidung zu fällen, ein, eine oder eine dritte Form. Wobei letztere kaum je gebraucht würde. Dass ein Name einer Person einmal mit dem unbestimmten Artikel verbunden wird, passiert selten, am ehesten über dem Kinderwagen, in dem ein kleiner Paul oder eine kleine Paula zu bestaunen sind. Aber die Possesivartikel mein, meine, dein, deine etc. haben sehr ähnliche Eigenschaften wie die unbestimmten Artikel ein und eine. Und non-binäre Personen sind Angehörige und haben, im weitesten Sinn des Wortes, Besitz. Ist es also meine oder mein Kim, seine oder ihre Entscheidung?
Aus praktischen Erwägungen würde ich, könnte ich allein bestimmen, aber auch, um niemandem das Lernen unnötig zu erschwerden, mich für ein, mein, dein, sein, ihr, unser, euer Kim entscheiden. Für Deutschlernende präsentieren sich diese Artikel schon jetzt als Artikel mit Doppelfunktion, sie können einem männlichen oder einem neutralen Hauptwort vorangehen. Es läge aus Sicht der Lernenden nah, diese Funktion auf eine an Personen gebundene geschlechtliche „Neutralität“ (hier für: „nicht festlegbar“) auszuweiten. Dazu kommt, dass die Wahl des Vorbilds them zu demm geführt hat. Und damit zu einem M, das als Dativsignal wiederum bei männlich-sächlich dem bzw. ihm vorkommt: Mein Kim, dey Kim, dey ich kenne, bleibt bei solchem Wetter im Bett, Schnee gibt emm nichts, seit ey sich beim Rodeln den Arm gebrochen hat. Weil aber das Kind Kim in seinem Bett bleibt wie der Mann Kim auch, sollte dey non-binäre Kim der Übersicht halber genauso verfahren und es der Frau Kim überlassen, in ihrem Bett zu bleiben, wenn ihr der Schnee nichts gibt.
Erst, wenn ich das hätte, ein System mit allen Artikeln und Pronomen in all ihren Formen und alle einigermaßen aufeinander abgestimmt, könnte ich das Problem lösen, wie ich mein non-binäres Kind anrede, wenn ich ihm schreibe, oder welchen Kosenamen ich ihm gebe. Denn es ist ein liebenswertes Kind, hat eine ebenso liebenswerte Schwester und ihr Papa ist ein zugewandter Mann. Unter solchen Verhältnissen ist es nicht gut möglich, immer mit Hi und Hallo durch die Mails und Messages zu rauschen, von Geburtstagskarten ganz zu schweigen, und sich jedes liebe Wort aus Unbeholfenheit zu verkneifen. Wenn aber, wie zwei Sätze weiter oben mit fetten Buchstaben demonstriert, im Deutschen Nomen, die das Pronomen es haben, für ihre Adjektive öfter die Endung -es verlangen, genau wie solche mit Pronomen er die Endung -er und solche mit sie, etwas weniger deutlich, -e, dann hätte ich bei ey wohl auch die Endung -ey: Liebey Kim, mein Süßey, wie geht es dir, was treibt dich um? (Nein, diesey Kim!)
Schön wäre natürlich, ich hätte das auch in einer formalen Variante: Sehr geehrtey … Mag nicht einey (auch dieses Wort ergäbe sich aus meinen Überlegungen!) eine non-binäre Ergänzung für die Anreden Herr und Frau erfinden? Mit Plural bitte, meine sehr geehrten Damen, Herren und … ! Der Artikel dieses Neuworts wäre dann dey.
Aber wer hat mich gefragt, was ich gern hätte? Ich mische mich in Angelegenheiten, bei denen ich vielleicht ein gewisses Mitsprache-, aber keinesfalls Stimmrecht habe. Ich höre lediglich meine Tochter über ihr Geschwister sprechen, sie sagt dey und demm. Etwas sperrt sich in mir. Spreche ich über einen Menschen und benutze dafür die bestimmten Artikel (oder Relativpronomen) als Personalpronnomen wirkt das öfter leicht abschätzig: Den musst du gar nicht erst fragen. Also, bis die mal in die Pötte kommt. Ich bin gern großzügig, aber denen gebe ich nichts. Demm kannst du so nicht kommen, da ist dey eigen. Mit der hätte ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Ich weiß, meine Tochter meint es nicht so, mir klingt dey und demm dennoch oft nicht liebevoll genug.
Und auch als Kursleiter in Deutschkursen hätte ich mit dey und demm, würden sie denn irgendwann tatsächlich als Ergänzung zu er, sie, es, ihn, ihm und ihr eingeführt, vermutlich lange zu hadern. Es ist ganz sicher notwendig, wenigstens aber sinnvoll, ein non-binäres Pronomen zu kreiieren. Doch ich glaube, im Umgang mit der Sprache wäre es außerdem sinnvoll, ihr dabei nichts aufzuzwingen, was sie sich nicht mit ihren eigenen morphologischen Verdauungsapparat geschmeidig machen und sich einverleiben kann, etwa so, wie sie sich das Verb to flirt mit einem flott angehängten -en als flirten einverleibt hat. Ein Personalpronomen, das mit D beginnt, ist im Deutschen in erster Linie ein bestimmter Artikel, dem ein lautlich-ähnliches Personalpronomen ohne D am Anfang entspricht. Ich wünschte, solche Dinge würden berücksichtigt, schon um neue Ausnahmen von den ohnehin reichlich komplexen und nicht immer logischen grammatischen Regeln tunlichst zu vermeiden. Non-binäre Deutschlernende und ihre Angehörigen verdienden Solidarität. Und alle anderen tapfer Deutsch Lernenden natürlich auch.
P.S.: Die deutsche Grammatik ist für Lernende ein ständiges Ärgernis, vor allem wegen ihrer vielen Redundanzen, also den gleichen Inhalt wiederholenden Formen, die der Sprecher, die Sprecherin beachten muss, ohne dass sie viel klären würden. Einem schlichten englischen the entsprechen im Deutschen wenigstens vier verschiedene Artikel und ein einziges unschuldiges Adjektiv wie rot kann sechs verschiedene Endungen annehmen: rot-, rot-e, rot-er, rot-es, rot-en, rot-em. Die strikte Trennung zwischen männlichen und weiblichen Formen bei gleichzeitiger Mannszentriertheit verschafft zudem dem unseligen Sternchenkrieg gegen das Gendern ständig neue Nahrung und Munition. Ich bin nicht der Erste, der die Artikel und ihr lästiges Drumherum am liebsten einfach abschaffen möchte. Aber ein intuitiv verständliches und leicht erlernbares non-binäres Pronomen wäre mit solch radikalen Vereinfachungen trotzdem noch nicht gefunden.