vonkirschskommode 05.11.2024

Kirschs Kommode

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Malen die Hagiograph*innen das Idealbild eines Dichters, einer Dichterin, dann dürfen seit der Romantik zwei Dinge nicht fehlen: die Armut und der frühe Tod des oder der ideal Gemalten. Da nun die Romantik im Wesentlichen eine Reaktion auf das Ende des Feudalismus und den Durchbruch der industriellen Revolution darstellt, liegt auf der Hand, dass ab diesem Zeitpunkt, unter den neu geschaffenen Verhältnissen, die Schaffenskraft der Dichter und Dichterinnen zunehmend als Wegwerfartikel gesehen worden ist: billig zu haben und schnell durch. Einer der ganz großen Heiligen des bürgerlichen Zeitalters und seines romantisch geprägten Publikums ist deshalb der Dichter Rimbaud, der sich für die Poesie in nur drei, vier Jahren völlig verausgabt, ihr schon im zarten Alter von 19 für immer entsagt, sich fortan als Geschäftsmann in Abenteuer stürzt, um mit 37 das Zeitliche zu segnen – wenige haben ihre dichterische Schaffenskraft entschiedener, glänzender zum Wegwerfartikel gemacht als er, sein Leben ist wenigstens so exemplarisch wie sein Werk. So taugt er am Ende noch den Lohnarbeitenden zum Vorbild, die ebenfalls möglichst ohne jede Rücksicht auf sich selbst in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu leisten haben, aber eben weder vor noch nach Ende ihres aktiven Erwerbslebens größere Kosten verursachen sollen. Meins ist das alles nicht.

Der Dichter erreicht das Renteneintrittsalter

Ich war schon öfter mal Rimbaud,
ein Andrer, Engel, Zauberer,
ein Seher, sinnlich Dichtender:
Ich lebte als Rimbaud.

Wie ihn zogs dann zur Erde mich.
Zur harten Pflicht. Und fort vom Rausch.
Doch nur Rimbaud gelang der Tausch.
Die Pflicht war nichts für mich.

Zwar rannt ich vieler Arbeit nach,
verwarf, verfluchte mein Genie,
robotete mit Energie –
schnell ließ das wieder nach.

Schnell fing mich wieder Dichtung ein.
Sie floh ich bald, sie fing mich bald,
werd sechsundsechzig Jahre alt.
Mehr brachte es nicht ein.

Mehr als Rimbaud war ich Rimbaud,
schwor zwanzigmal den Versen ab!
Doch hielt kein Job mich je auf Trab:
Ich sterb nicht als Rimbaud.

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