vonkirschskommode 19.09.2023

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

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Meine Erfolgsaussichten als Lyriker sind sicherlich davon beeinträchtigt, dass ich, bis auf etwa acht Gedichte, die ich zwischen zwanzig und fünfzig schrieb, überhaupt erst in den letzten Jahren ernsthafter angefangen habe, Verse zu machen. Ich bin Berufsanfänger, blicke aber auf ein ganzes gelebtes Leben zurück. Das ist keine ganz unproblematische Lage. Denn ich weiß zu genau, was ich kann und will, um unbefangen und experimentierfreudig im Kreis anderer Anfänger und Anfängerinnen mitzumischen und dort vielversprechende Kontakte zu knüpfen. Das Mittun im Klüngel ist aber Grundvoraussetzung für Anerkennung und Erfolg in jedweder Kunst.

Bei dem untenstehenden Gedicht habe ich eine Weile gegrübelt, in welche meiner Kommodenfächer es gehört. Es ließe sich als eine Art Liebesgedicht lesen, eben eins über missbräuchliche Liebe. Es enthält indirekt die Armut, somit die sozial-ökonomische Lage, die mein Leben prägte, und könnte unter „Klasse“ verschubfacht sein. Es ist gleichzeitig in keinem dieser beiden Aspekte deutlich genug und tendiert so zur Allerweltskategorie „Kurzwaren“, für die es wiederum zu ernst ist. Da es aber etwas über die Bedingungen sagt, unter denen ich zum Dichter geworden bin, steht es jetzt hier.

Es ist recht persönlich. Aber meiner Erfahrung nach geht es mit dem Persönlichen so wie mit den Mäusen. Die Maus, die man mit Grausen unter dem Küchentisch wegflitzen sieht, ist immer nur scheinbar allein, sieht man eine, hat man zwanzig. Genauso kann ich mich mit meinem persönlichen Schicksal einzigartig und einsam fühlen, muss mir aber im Grunde um das Vorhandensein weiterer Schicksalsgenossen und Genossinnen keine Gedanken machen.

Später Vogel

Mit geborgter Fröhlichkeit
lief ich mit im Kinderreigen,
aufgekratzt (und blitzgescheit),
mich ja liebenswert zu zeigen.

So, der Mutter zum Genuss,
tanzt‘ ich und erhielt (für Waren)
Glück auf Pump, Gefühlsvorschuss,
abzutragen mit den Jahren,

mit Verzagtheit, Unstetheit
und, am bittersten, mit Leere …
Meine beste Lebenszeit
fand ich nicht aus der Misere.

Nach Jahrzehnten (werd nur alt!)
fühl ich endlich meine Schwingen.
Doch betrachte ich es kalt:
Viel Zeit bleibt mir nicht zum Singen.

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