vonkirschskommode 15.07.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

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Die unten stehenden vierzehn gereimten Zeilen sind ein Abfallprodukt, insofern wie gemacht, um in einem Blog zu erscheinen, um eben dort, ein Schaumfleck im Wellenschlag des Datenmeers, weitgehend unbemerkt vor sich hin zu wesen. Eine Zeitschrift hatte aufgerufen, Lyrik zum Thema Auto einzusenden, und ich dachte, es sollte mir nur wenig Mühe machen, hierzu zu liefern. Dem war nicht so. Ich habe meine Meinungen zum Auto, leide unter seinem Lärm und seinen Gerüchen, fühle mich bedroht von der Aggressivität seines Designs, verzweifle an der Zurichtung meiner Umgebung um seinetwillen, finde, dass Autofahren einen Bewusstseinszustand hervorbringt, in dem alles Film wird oder Videospiel – kurzum, für mich ist die Autogesellschaft eine Art Faschismus light der Egoshooter, deren tödliche Geschosse die von ihnen so bequem gesteuerten Vehikel sind. Alles, was Mitmenschen wunderbar unangenehm machen kann, wie Konkurrenzgehacke, Imponiergekrähe, sozialer Tunnelblick oder Fanatismus, wird durch das Auto mit einigen zig PS, etlichen Dezibel sowie ein paar Halbtonnen Material aufs Feinste aufgemuskelt. Und dass dieser aufgemuskelt-glänzenden Kriegerkaste niemand, der es wollte, aus dem Weg gehen kann, dafür sorgen seit Jahrzehnten die Stadt- und Landschaftsplaner. Aber, großes Aber: Ein Gedicht wird daraus nicht. Wenigstens keins, das mir gefiele. Zu pessimistisch.

Nun sagt mir ein zweiter und gründlicherer Blick, dass es mit dem Auto zu Ende geht. Gehen muss. Sein Platzverbrauch ist zu groß, an immer mehr Orten steht es sich vor allem im Weg. Die Industrie reagiert darauf und baut Geländewagen: Für den, der sich die eigenheimteueren Kutschen leisten kann, wird abseits der verstopften Straßen jeder verbliebene Landschaftsrest zur Piste. Entlang der Piste jedoch sehe ich die Birken entblättert, die Nadelbäume braun und die Buchen mit halbkahlen Kronen. Wenigstens jeder zehnte Baum, der vorm Zugfenster zwischen Leipzig und Berlin an mir vorbeihuscht, ist krank oder bereits tot. Der Landschaftsrest versteppt rapide – wozu ihn noch lange befahren? Aber vielleicht verspricht erst die Steppe wahre Abenteuer und Genuss: Über die verbrannte Erde rauschen, unberührt und kühl, die siegreichen Krieger.

Es ist ein ziemliches Männerding. Aber darüber hinaus ist es ein Klassending. Keins der oberen, eins der besser gestellten mittleren Klassen. Derer, die sich für ihren Erfolg krumm machen mussten, die es geschafft haben. Plötzlich habe ich alte Bekannte, die gehässig über Gretas kommende Ökodiktatur witzeln oder sogar, ernsthaft besorgt, diskutieren möchten. Mit einem gewissen rebellischen Auftrumpfen legen sie ihr Angus-Rindersteak auf den Hightech-Grill, steigen sie in den Flieger, wuchten ihr Essjuwie in die Parklücke. Einige tausend Euro netto, monatlich und schuldenfrei: Will die ins Prekariat verwiesene junge Generation ihnen folgen, muss sie tricksen und dümmliche Grimassen dazu ziehen wie Herr Philipp Amthor. Sie behaupten die Straßen, dick und protzig. Doch sind sie die letzten ihrer Art und mit der Autozeit geht auch ihre Zeit zu Ende.

Über sie habe ich also nachgedacht. Ein Gedicht über Autos ist, wie gesagt, dabei nicht herausgekommen, jedenfalls keins, das mir ganz gar gefällt. Aber immerhin ein neuer Name für eine notorisch präsente Spezies:

Die tollen Typen mit den dicken Schlitten,
ob BMW, VW, ob Benz,
die flotten Leistungsträger, Superfitten,
die Grillgourmets und Wirtschaftfans,
die Hellauflacher, Glattfrisierten,
die lässig sind, erfolgreich cool,
die Weltbeflieger, Ungenierten,
die schlanken Götter auf dem Liegestuhl,
Befehlegeber, Weiterdränger, Starken,
die besser wissen, besser haben, besser sind,
die kennerischen Konsumenten großer Marken,
die mit der Nase stets im neusten Wind,
man soll sie überall mit einem Namen kennen
und sie, die tollen Typen, „Totys“ nennen!

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