wwg. Schreiben über Küche und Kochen: Um vom Tagtäglichen, vom Einkauf und dem beschränkten Angebot beim Einkauf wegzubekommen, muss ich die Fragestellung ändern. Nicht mehr: Was haben wir gegessen? Sondern: Was ist besonders gut gelungen und weshalb? Denn das würde mich dazu bringen, mich mit dem Unnachahmlichen zu beschäftigen und was sich davon, trotz seiner Unwiederholbarkeit, lernen ließe. Als Alltagskoch mache ich Erfahrungen bei der Behandlung von Lebensmitteln, die ich später kaum oder gar nicht in Rezepte oder Küchentipps übersetzen könnte. Dennoch erweitern sie mein Repertoire.
Es gibt in Blochs „Spuren“ einen Text mit dem Titel „Das genaue Olivenessen“, in dem von einer Olive die Rede ist, mit welcher eine Wachtel, mit welcher ein Huhn, mit welchem eine Gans, mit welcher ein Schwein, mit welchem ein Ochse gefüllt und zusammen gebraten wird. Die Köche dieses Riesenbratens kosten dann aber nur die Olive und einer von ihnen befindet, die Gans sei leider noch nicht an ihrem Punkt. So ähnlich jedenfalls. Bloch will auf die Genauigkeit hinaus und darauf, dass der Aufwand fürs Ganze für den, der seine Sinne beisammen hat, auch im Kleinsten Spuren hinterlässt – Spuren sind sein Thema.
In der Alltagsküche wäre die Reihe vom Ochsen bis zur Wachtel und die sie füllende Olive die Reihe der Reste und der aus ihnen gewonnenen Derivate und Neukombinationen. Die Spur einer Zutat, eines Geschmacks kann sich, mit Unterbrechungen oder nicht, durch die Gerichte einer ganzen Woche oder auch von vierzehn Tagen ziehen. So letztens, als ich vor dem Unverspeislichen eines verspeisten Huhns saß, aber aus der Woche zuvor noch Fischbrühe hatte, teils weil niemand Suppe essen wollte, teils weil die Zeit fürs Kochen knapp gewesen war. Kurzentschlossen setzte ich meine Hühnerhäute und Gerippe mit der Fischbrühe auf, denn doppelte Brühe ist bessere Brühe.
Merkwürdigerweise trat durch diese Behandlung der Fischgeschmack, der in der ersten Bereitung aus Gräten kaum als Hintergrund wahrnehmbar war, wieder stärker hervor. Weswegen ich entschied, die neu verfischte Brühe für gefüllte Kalmare zu verwenden. Ich ließ sie also, nach dem Anbraten der gestopften Tuben, mit Tomaten einkochen und gab vor dem Auftragen noch kleine Kapern dazu. Für die Füllung der Kalmare hatte ich Champignons, eine kleine, sehr gute Chorizo (fein gerieben, vom Duroc-Schwein und aus dem Rioja), viel Petersilie sowie kleinste Gaben von Brösel, Muskat, Baharat, Thymian, Oregano genommen. Und alles zusammen reicherte die Soße aus eingekochter Doppelbrühe und Tomate noch einmal aromatisch an. Wir aßen die Soße beim ersten Mal aber nicht auf. Und mit ein paar gehackten, eingelegten Meeresfrüchten und etwas Chili wurde sie zur Nudelsoße, köstlich, wie wir lange keine hatten.
Kein Wunder, wenn ich bedenke, wie viele Geschmäcker sich in ihr vereinten. Von der Forelle hatten wir zwei, vom Huhn drei verschiedene Gerichte gegessen, die Brühen aus den Resten beider Tiere enthielten zusätzlich, was Brühen lecker macht, Suppengrün, Wein und etliches, was an unzerstoßenem Gewürz im Haus war (z.B. Senfsaat, Piment, Zimtblüte, Lorbeer, Anis, Koriander, … ), alles in Maßen, sodass kein Geschmack sich vordrängeln konnte. Um sich zuletzt zusammen mit Tomaten und den mit Pilzen, Kräutern und Wurst gefüllten Kalmaren weiter zu konzentrieren und harmonisch zu vollenden. Große Küche entsteht manchmal nebenbei, ohne Vorsatz, nämlich in vielen kleinen Schritten aus häuslichen Notwendigkeiten heraus und durch das Vermeiden von Extremen. Die genauen Olivenesser, von mir mit den Nudeln bewirtet, hätten gesagt: „In der Forelle wäre Rosmarin vielleicht besser gewesen als Salbei.“ Oder: „Wenn man damit nicht übertreibt, macht die Zironenschale am Huhn auch hier noch Freude.“ Denn es war alles noch da, in Spuren, jede einzelne Zutat aus den vorangegangenen Zubereitungen. Wie um ein für alle Male zu erklären, aus welchem unerfindlichen Grund Spanischsprechende für „reich“ und für „lecker“ ein und dasselbe Wort benutzen: rico.