Photo: fensterzumhof.eu
Ein Schriftsteller ist jemand, der Probleme mit dem Schreiben hat. Das kann man leider von den meisten Autoren nicht sagen, zumal wenn sie auch noch „fürs Fernsehn“ arbeiten und erst recht, wenn sie professionell journalistisch arbeiten.
Aus den USA kommen neuerdings immer mehr Lehrangebote für „Kreatives Schreiben“ über uns. Das Problem liegt dabei schon im Begriff, denn Künstler und also auch Schriftsteller sind das Gegenteil von „Kreativen“. Mit „Kreative“ bezeichnet der ehemalige US-Arbeitsminister Reich die sogenannten intellektuellen „Problemlöser und -finder“, die zu den 1/5 der Weltbevölkerung gehören, die, so meint er, von der neuen Wirtschaftsordnung wirklich profitieren. Gemeint sind mit dieser neuen „kreativen Klasse“ Werber, Programmierer, Designer, Unternehmer, Webseiten- und TV-Programmgestalter z.B.. Daneben ist „Creative“ auch der Name eines „weltweit führenden Anbieters von Digital-Entertainment-Produkten für den PC und das Internet“. Als Index für den Aufstieg der „kreativen Klasse“ gilt dem US-Soziologen Florida zufolge der Anteil von Schwulen in leitenden Funktionen bestimmter Branchen. Demnach hätten die schwulenfeindlichen Länder keine Chance in diesen „Branchen“. Und wie ist es mit den ganzen kommunistischen Rädelsführern, die laufend „Probleme“ finden und auch zu lösen versuchen – jedoch nicht im Sinne des Kapitals: gehören sie auch zur neuen „kreativen Klasse“? Nein, aber die US-Soziologen Reich und Florida wollten auch keine neue Klassenanalyse vorlegen. Daran arbeiten eher linke europäische Intellektuelle. Und dass die „Kreativen“ auf dem Vormarsch sind, bezweifelt keiner.
Derzeit wird in Berlin der proletarisch-migrantische „Problembezirk“ Neukölln Kiez für Kiez gentrifiziert. Gerade ist der „Schillerkiez“ an dem nun öffentlich zugänglichen Tempelhofer Flugfeld dran. „Die jungen Leute zahlen jeden Preis – selbst für unrenovierte Wohnungen,“ meint ein Immobilienmakler. In einer Motorradrocker-Kneipe an der „Schillerpromenade fand ich dazu bereits in den „RandNotizen“, der „Stadtteilzeitung aus dem Schillerkiez“, eine Analyse: „Die ‚Kreative Klasse‘ und das Ende der Versprechungen für die Proletarisierten“. Darin heißt es, dass die Kommunalpolitiker aus steuerlichen Gründen daran interessiert sind, „junges Humankapital“ in die Stadt zu bekommen. Die Innenstadtbereiche werden dadurch aufgewertet „und mehr und mehr zum Wohn- und Arbeitsort der ‚Kreativen Klasse‘.
„Talente, Technologie und Toleranz – wo Deutschland Zukunft hat,“ so preist eine wissenschaftliche Studie den Standort an. Mit solch einer Imagebildung soll laut der Schillerkiez-Zeitung „die ‚Kreative Klasse‘ an Berlin gebunden werden“. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch, dass die 4 As -Arme, Ausländer, Arbeitslose und Alte – aus ihren angestammten Bezirken vertrieben werden. Für den „RandNotizen“-Autor zeigt sich darin die „Krise des Kapitalismus, der immer weniger in der Lage ist, die materiellen Bedürfnisse der Mehrheit zu befriedigen.“ Da die neoliberale Verdrängung der Verlierer durch „Aufwertungsmaßnahmen“ individuell geschieht, d.h. einem beinahe atomisierten Bevölkerungsteil angetan wird, kann eine „erfolgreiche Gegenwehr“ verhindert werden, „denn anstatt gemeinsam gegen die Vertreibung und die Unterwerfung unter den Standort Berlin zu kämpfen, wird versucht, mit den Problemen allein fertig zu werden, da ja die vorherschende Ideologie einem einredet, der Mensch wäre für seine Situation ausschließlich selbst verantwortlich.“
Als erstes steht deswegen an, dass darüber gemeinsam diskutiert wird, „wie aus dieser Isolation herauszukommen ist“, meint man in der Redaktion der „Stadtteilzeitung für den Schillerkiez“ – und zitiert sogleich einige prominente Stimmen, die sich dagegen aussprechen, weil sie der Gentrifizierung vorderhand nur Positives abgewinnen können: Also wenn die Zuzügler aus der „Kreativen Klasse“ die Arbeitslosen und Wenigverdiener aus dem Kiez verdrängen. Das will man durch „Aufwertungsmaßnahmen“ erreichen – hofft jedenfalls der Neuköllner SPD-Baustadtrat, das Quartiersmanagement Schillerpromenade und ein FDPler aus dem Schillerkiez, die die Zeitung als eine Auswahl von Reaktiven, die mit den Kreativen gemeinsame Sache machen, vorstellt.
Nordneukölln. Photo: diwan-berlin.de
Die Gentrifizierung von Teilen Neuköllns begann bereits vor einigen Jahren – in Nordneukölln. Dort gibt es inzwischen ebenfalls eine Bürgerinitiative, die diesen Prozeß nun thematisiert – und zwar auf einer Veranstaltung:
Unabhängiges Straßenfest Weisestraße zwischen Selchower- und Herrfurthstr. Am Samstag, den 21. August. WIR BLEIBEN HIER!!! Live: Berlin Boom Orchestra (Ska Reggae), YOK (Pocketpunk mit Quetsche), TFS (Rap), Müllsch (Punk) + Special Guests UND Essen und Trinken, jede Menge Infos, politische Filme und Diskussionsveranstaltungen in der Lunte, After Show Party im Syndikat.
Es gibt ein Vorbeitungstreffen alle 2 Wochen in der Lunte. Flyertext:
Liebe AnwohnerInnen, Liebe RestberlinerInnen, Wir alle wissen, dass sich die Lebens- und Wohnsituation, nicht nur hier in Neukölln, in den letzten Jahren keinesfalls verbessert hat:
– Einkommenseinbußen (explodierende Lebenshaltungskosten)
– steigende Mieten
– Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,
– der Umgang mit dem Tempelhofer Feld
– Gängelung durch Arbeitsamt,
– 1-Euro-Jobs
– usw.
Mit dem Straßenfest wollen wir informieren über das, was derzeit im Kiez passiert und wogegen sich die Menschen wehren. Wir vertrauen nicht auf Bezirksamt oder Quartiersmanagement, deren Interessen nur bei der restlosen Verwertung unseres Kiezes liegen. Verschiedene politische Gruppen und Initiativen werden über ihre Arbeit informieren. Hier ist Raum und Zeit für ALLE Leute von hier und anderswoher, um sich näher kennenlernen und austauschen zu können. Laßt uns also miteinander reden und feiern – und denkt daran: Allein machen „sie“ Dich ein!
„Junge Neuköllner Rapper setzen Täterposen gegen alltägliche Ausgrenzung,“ schrieb die taz unter dieses Pilonen-Photo.
P.S.: Dass die Bürgerinitiative in Nordneukölln die „RestberlinerInnen“ und „AnwohnerInnen“ ausgerechnet mit Punk, Reggae und Rap traktieren will, um sie für die gemeinsame Sache zu gewinnen, scheint mir nicht richtig durchdacht zu sein, zumal es ja hierbei gerade mit zum Problemkomplex gehört, dass der Amüsierpöbel aus halb Europa regelmäßig in Berlin zum Partypupen einfällt – und alle und alles sich auf sie – dienstleistungsmäßig (Becks, Caipirinha, Latte Macchiato) – einstellen muß, weil sonst bald nichts mehr an Erwerbsmöglichkeiten bleibt, wenn man sich nicht stattdessen in die verlorenen Haufen der „Kreativen“ einreihen will.