Polarisierung, soweit das Auge blickt: Spaltung, Feindseligkeit, Aberkennung. Zu reden ist daher – nicht von einem anderen Glauben, sondern – von einem Wissen des Anderen. Dieses Wissen ist praktisches, ist Erfahrung. Es weiß: Dominanzwille, Machtsucht, Überbietungsdrang sind Synonyme der Selbstvergessenheit, Selbstflucht; sind Wille zur Unfreiheit; Angst vor Utopie. Sie sind strukturellem Zwang geschuldet, nicht Menschennatur. Wir Menschen vielmehr sind Verletzlichkeit, Nacktheit, Bedürftigkeit, weil wir Tiere und nicht Götter und nicht Steine sind, weil wir fragil sind und sterblich.
Aber wir wissen noch mehr als das. Wir wissen, dass Selbstverwirklichung ohne andere notwendig schal, Asche, selbstwidersprüchlich wird. Denn Selbstverwirklichung ist das Gegenteil von Herrschaft: und Herrschaft kann, noch für das entfremdete Selbst, nie als solche, nie für sich genossen werden, sondern wenn, dann immer nur im Prozess, als Unterwerfung. Wer alle beherrschte auf der Welt hingegen, den würde nur mehr seine Herrschaft über andere beherrschen: er hätte nichts mehr zu teilen, keine Welt länger, keinen Horizont; er wäre sich verstorben; er existierte nicht. Nur in der Verleugnung dessen, dass wir Erdlinge sind: Fleisch, Leben, Leib – können Herrschaft, Gewalt, Unterdrückung überhaupt sein. Unser Menschsein derweil – unsere Sozialität als anthropologische Fakultät – erlaubt es uns, dass wir eine Welt des Dürfens und Bedeutens zwischen- und miteinander organisieren können: das heißt auch, dass wir selbstbestimmt, also zusammen leben können statt gegeneinander, dass wir Verantwortung tragen können, weil wir frei sind: weil wir Zwecke haben und Zweck sind, also Sorgen und zu Umsorgende.
Was tief in uns schlummert, das ist das Bedürfnis nach Dürfen – das Bedürfnis danach, ‚ohne Angst verschieden zu sein‘ –, die Sehnsucht, den Willen zur Macht hinter uns lassen zu können, um endlich miteinander aufzuatmen, den Blick geöffnet zum Leben, das nur als geteiltes sinnlich und sinnhaft zu werden vermag.