Seit Covid können wir nicht mehr verdrängen: dass der Mensch ein soziales Wesen ist, hat nichts mit metaphysischer Spekulation oder essentialisierender Konstruktion zu tun, sondern ist eine historische Wahrheit, von jedem Individuum empirisch erlebt und bestätigt. Was damit zu tun bleibt, ist, diese Wahrheit und was mit ihr zusammenhängt in all ihrer Schlichtheit und Tiefe auszubuchstabieren, statt sich weiter – in postmoderner Konditionierung – gegen Anthropologie und Ontologie zu wehren. Dazu gehört nicht zuletzt wieder der Mut zu etwas philosophischer Poesie gerade in der Wissenschaft und im Journalismus, statt die Borniertheit des Zynismus zu pflegen, als sei sie höchste Erkenntnis.
Zu fragen ist nun nicht nur: was ist der Mensch?, sondern: was braucht er, woraus besteht er, was durchwirkt ihn? Der Mensch ist das Tier, das nach Sinn sucht. Der Sinn aber sind unsere Sinne. Der Sinn ist begründet in unseren Leibern. Sein Grund ist nie nur Zweck, sondern immer schon Fundament: Begründung ist Fundierung. Unser Grund-Bedürfnis ist unser Bedürfnis nach Dürfen. Alles Wollen und Können ist fundiert im Dürfen. Aller Wille ist Sprache des Bedürfens. Aller Geist folgt seinem Leib – noch in totaler Entfremdung.
Gerade und erst als soziales und somatisches Wesen nun ist der Mensch auch vernünftig. Die Vernunft des Menschen ist somit eine sozial-somatische, eine intersubjektiv-inkarnierte. Sie ist jenseits von Männlichkeit schon, weil Männlichkeit als Toxizität ist, keinen Sinn zu haben für die Verletzlichkeit der anderen, da einem der Sinn für die eigene Fragilität verschlossen bleibt. Vernunft über Männlichkeit, Ermächtigung, Dualismus hinaus ist entsprechend mehr als bloße Logik: sie ist die Logik des guten Lebens. Solche Vernunft zu verteidigen ist die größte Aufgabe der heutigen Linken.