Stig Sæterbakkens letzter Roman Durch die Nacht ist im Taschenbuch bei DuMont erschienen. Er erzählt von einem Vater, der seinen Sohn und mit diesem auch seine restliche Familie verliert – und der, seither aus dem Bett der Normalität entgleist, auf der Suche nach einem Weiter ist, das ihm noch erträglich wäre. Wer einen schonungslosen Blick auf die Bedrohtheit des Lebens (nicht erst der Lebendigkeit, sondern schon des Alltäglichsten) werfen will, um genau in dieser Bedrohtheit dessen Wert aufzuspüren, dem sei Sæterbakkens Roman ans Herz gelegt wie kaum ein zweiter.
Das Buch ist sprachlich präzise und gerade in seinem Pathos ungekünstelt. Jeder Satz legt ein Ineinander von intuitivem Denken und intelligentem Herzen frei, die sich gemeinsam vor keiner Blöße scheuen. Nachdem Durch die Nacht überzeugend erst als Trauer-, dann als Beziehungsroman eingeführt wird, bedient er sich zwischenzeitlich aus der Phantastik des Horrorgenres. Dessen Kulissen der Psyche wirken schnell konstruiert und als zu sehr nach außen geklatscht, doch bannen sie gerade damit den dissoziierten Zustand des Protagonisten adäquat in ein Bild, das – wie dieser – seine Rahmen verloren hat. Mit dem fesselnden Einstieg versöhnt spätestens das Ende des Romans. Es ist Sæterbakkens Sensibilität für die Dynamiken des Allzumenschlichen, Unmenschlichen und Zwischenmenschlichen, die den Bogen vom Anfang durch den Text zum Finale spannt: eine nervliche Brücke, die sich auch zum Ausgang des Buches nicht entspannt. Emotionaler Klugheit so durch den Roman zu folgen beschert bei allem Niederschmetternden – ja, vermittelt durch es – das fast erhebende Lesevergnügen von Durch die Nacht.
Schwankend zwischen dem spezifisch Monadischen eines ins skandinavische Extrem entzauberten Atheismus und seiner vehementen Abwehr in den Momenten der Begegnung zwischen Menschen verhandelt das Buch letztlich die Frage, was von beidem wahrer sein mag. Ist wahrer und wahrhaftiger die ontologische Verlassenheit des Menschen, die von allen rings abgeschnittene Existenz, das einsame Streben bis zum vereinsamten Sterben – oder doch die Bezogenheit jenseits aller Selbstbezüglichkeit, das sich aufeinander verlassende Zusammensein, das Vertrauen ins Miteinander? Der Protagonist Karl Christian Andreas Meyer schwankt zwischen diesen beiden Extremen, die ihm gleichsam nicht nur Optionen, sondern Sehnsuchtsmomente sind – und in deren Rücken doch je auch eine Schattenseite lauert.
Falls man, etwas antiquiert, dem Buch eine Lehre entnehmen will, dann, dass Weniges so leer und selbstzerstörerisch ist wie die virile Autonomievorstellung absoluter Unabhängigkeit. Dazu gehören auch die Fantasien von ‚Tabula Rasa‘ und ewig wiederholbarem ‚unbeschwertem Neuanfang‘. Am Ende steckt in solcher Freiheit von allen und allem der Todestrieb, denn wie anders sollte sich negative Freiheit realisieren lassen, wenn nicht durchs Lösen jedweder Bande des Lebens? Den Beweis dieser These führt Durch die Nacht gerade in der so männlichen wie selbstverurteilenden Stimme seines Protagonisten. Das letzte Kapitel setzt dem Oszillieren zwischen Autarkiewahn und Schuldkomplex schließlich sein ganz Anderes entgegen. Im Roman vermag jenes Andere – dem gesellschaftlichen Zustand gemäß – nur als durchkreuzte Unwirklichkeit aufzuscheinen. Im ‚falschen‘ zu Hause erhält noch das Utopische die Note des Unheimlichen. Und doch klingt diese Note, mit der man zurückgelassen wird, nicht bloß nach Grabesstille, sondern mitunter fast wie Zukunftsmusik.