Einst hat man für die Reduktion der Arbeitsstunden gestritten. Heute ist Home Office: das zu Hause zum Arbeitsplatz verwertet. Dessen Ergebnis die Unfähigkeit, noch unterscheiden zu können zwischen Frei-Zeit und Lohn-Sklaverei: beide ähnlich schlecht bezahlt. Arbeit wieder rund um die Uhr also auch im Zentrum. Warum nicht noch zu Mittag essen mit den Kolleg*innen? Weshalb nicht zusammen schlafen vor laufender Kamera, dann ist man nachts nicht so allein?
Mauertote der offenen Gesellschaft
Die einzigen Grenzen, die mehr gewahrt werden, sind die gegen Menschen: um Europa, nach Mexiko, um die eigene Quarantänefestung. ‚Demokratisierung‘ der gated communities, könnte man es nennen. Oder: Mauertote der offenen Gesellschaft – wohin das Auge blickt. Jene Mauertoten widersprechen nicht, sondern sind Resultat der Entgrenzung des Kapitals. Seine Verwertung war immer die Entwertung derer, deren Wert erpresst wird, indem sie nur die eigene Arbeit verkaufen können – also ihre Kraft, ihre Zeit, ihre Leben. Wer nicht zur Wertsteigerung beiträgt, wird für wertlos erachtet. So einfach ist die Rechnung. Ob in der eigenen Gesellschaft oder auswärts.
Kein Kriterium
Die Grenze zwischen Kapital und uns – unseren Körpern inklusive Köpfen, unseren Beziehungen, unseren Leben – ist zunehmend aufgehoben. Kapital nistet noch oder gerade in den Refugien: sind sie doch zu seinen Nischen verkommen. Der Prozess war lange schon im Gang, aber mit Corona ist kein Kriterium mehr geblieben, um sich noch zu unterscheiden von der eigenen Verwurstung. Denn Kriterium, das hieße gerade: sonderndes, scheidendes, distanzierendes Richtmaß. Folglich: in totaler Entgrenzung gibt es keine Kriterien. Wenn die Kriterien aber schwinden, weil sich die Zustände selbst in ihrer eigenen Immanenz auflösen, dann schwindet auch die Möglichkeit zur Kritik. Und je mehr Schwund, desto mehr Schwindel, bis nur mehr Taumel bleibt. Das ist, was die Normalisierung des Home Office auf einer tieferen Ebene bedeutet: sich das Kapital nicht mehr vom Leibe, nicht mehr aus der Psyche halten zu können wenigstens vom Idealismus der eigenen Differenzierungsfähigkeit her – wenigstens auf dieser Denkebene noch. Passé die Urteilskraft, das Kapital nicht ineins fallen zu lassen mit allem, was einem, wie entzaubert immer, noch heilig war. Des Kapitals neueste Technologie ist kein Mittel mehr, sondern genau dieser Zweck: einzudringen in alles Außen, es nach innen zu stülpen, den Horizont einzureißen, Perspektive einzukassieren.
Angriff als Eingriff – Besessensein forever
Die Philosoph*innen verkünden seit Jahren aufgeregt abgeklärt, dass Natur der Vergangenheit angehöre. Nachdem Gott, der Autor, das Subjekt alle tot sind, kommt langsam bei deren Mörder*innen und Leichenfledderern an, dass sie das Andere, in dessen Namen sie ihren ‚Kreuzzug von unten‘ vollzogen, als Brennmaterial für ihre graswurzelnden Scheiterhaufen verwandt hatten. Kein Außerhalb, keine Alternative, kein Darüberhinaus ist davon verschont worden: wir bleiben gefangen in unserer eigenen Abwesenheit, oder eher: Ununterscheidbarkeit von der Welt, wie sie eingerichtet ist und wie sie richtet. Entgrenzte Arbeit nämlich bedeutet weit mehr als das Ende der Freizeit, des Privaten, des Eigenen – die alle weniger Besitz sind als Pause des Besessenseins. Auch bedeutet sie mehr als den Angriff als Eingriff auf und in soziale Errungenschaften wie Arbeitszeitverkürzung und soziales Selbstbewusstsein. Entgrenzte Arbeit bedeutet, und vielleicht am fatalsten, die Kolonisierung des Möglichen, Imaginären, Utopischen durchs Kapital. Das, wo Kapital noch nicht war, schrumpft, und somit schrumpft das Noch-Nicht einer besseren Welt. Denn es bedurfte immer der Devianz des ganz Anderen auf den Abwegen des Intimsten, von keinem öffentlichen Licht berührbar, um sich zu politisieren. Wohin soll wer sich nun noch verschanzen? Die Zeit wird knapp, die keine Arbeit wäre.
Trojanische Pferde als apokalyptische Reiter?
„Arbeit“ ist eine so entscheidende Kategorie also nicht, weil sie ontologische Weihe verkörperte – sondern weil sie das trojanische Pferd des Kapitals ist (dem noch die nachholende Industrialisierung des sogenannten Marxismus-Leninismus seinerzeit auf den Leim ging). Das ist mehr als deutlich mit dem Schicksal Chinas heute – dem externalisierten Arbeitslager der Welt. In Zeiten Coronas ist gerade darum mehr denn je vorm sinnlich-übersinnlichen Transhumanismus-Versprechen der selbstenthemmenden Produktivkräfte zu warnen. Deren Transzendenz ist streng religiös, bindet vollends in ihr Schisma, das uns Menschen nur brechen kann. Denn wir sind bei weitem zu sehr Körper, Festigkeit, Widerstand, um mit totaler Liquidierung mitfließen, in ihr aufschwemmen, eingehen zu können. Spätestens seit Corona muss klar sein: Technologie als trojanisches Pferd des Kapitals ist die größte Gefahr für die erhoffte Zukunft einer emanzipierten Gesellschaft. Kassandra hat heute auch gegen Prometheus zu stehen – der aufklärerische Antikapitalismus an dieser einen Stelle entschieden gegen Marxens Szientismus. Kassandra, will sie den Einmarsch der apokalyptischen Reiter verhindern, muss warnen vor den trojanischen Pferden entgrenzter Arbeit und ihrem Produktivkräfte-Korrelat: Technologie außer Rand und Band – dem Tsunami der Digitalisierung.