vonlukasmeisner 17.01.2021

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Seit den Folgen der Finanzkrise 2008 justiert die Welt ihr Weltbild neu. Mit Covid schließlich sind manche Ideologien liquidiert, d.h. nicht abgeschafft, sondern verflüssigt worden – und auch das Feuilleton schwimmt. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Rezensionen zur BBC-Mini-Serie Years and Years, die der Immersion im Irrationalismus nichts mehr entgegenzusetzen haben.

Nihilistisches Nudging

Aus der Grundidee der Serie hätte etwas Interessantes gemacht werden können: die global heikle Situation von 2019 wird in sechs einstündigen Folgen in die nächsten 15 Jahre extrapoliert – mit dem Mikrokosmos der Familie Lyons aus Manchester als Locus der Story. Dargestellt werden kann so immerhin, wie Abnormalität zu Normalität wird, womit wir inzwischen hinreichend vertraut sein dürften. Auch darum wohl loben die meisten Rezensionen, dass Years and Years am ‚Nerv der Zeit‘ und ‚hochaktuell‘ sei: weil Mimikry mit dem Weltenlauf sich leicht als Kritik am selbigen geben kann. Statt dass die Serie aber ‚wehtue‘, vergleichgültigt sie vielmehr: ihre Bewegung ist kein ‚Wachrütteln‘, sondern ein libidinöser Tanz auf dem Vulkan voller Lust am Untergang. Sie ist ein Tanz vor guter Laune ausgerechnet ob der schwarzen Farben, die – als Action Painting – wie toll in die Augen der Zuschauer*innen geworfen werden. Nach den ersten beiden Folgen mag man noch glauben, das Ganze sei nur oberflächlich, oft platt und genau darin ‚realistisch‘, obzwar im schlechten Sinn: als Copy-Paste der Realität und ihres Sinnes. Bald indessen wird klar, dass Years and Years nicht nur intellektuell verarmt, sondern ideologisch anreichert, was ‚ohnehin geschehe‘: vor Passivität gebannt werden die Kontemplativen in einen freien Fall aus Defätismus gezwungen, der die Absorbierten wie betäubt zurücklässt. ‚Nihilistisches Nudging‘ könnte man es nennen: als die Apokalypse hereinbricht, indem Trump China mit einer Atombombe angreift, erscheint sie nicht mehr als Warnung und auch nicht als Katharsis – ja, nicht einmal als Berauschen am Erhabenen des Absoluten eines endgültigen Endes oder einer finalen Gerechtigkeit –, sondern als bloße Wiederholung, als Dopplung und Abklatsch des Vergehend-Bestehenden.

Neoliberaler Postmodernismus

Zwischenzeitlich wenigstens wird die gnadenlose Flüchtlingspolitik des globalen Nordens thematisiert, was die einzige Stärke der Serie markiert: in aller realistischen Drastik stellt sie die fürs Überleben schlechterdings unmögliche totale Ausgeliefertheit der ‚Illegalität‘ heraus, in die Millionen von Menschen seit Jahren und Jahrzehnten getrieben werden. Sogleich jedoch bettet Years and Years diese Kritik in ihre große nostalgische Erzählung ein, worin die Jahre des Pop-Reaganismus 1980-2010 als so etwas wie eine vor-populistische Ära in Großbritannien und damit als dreißig Jahre andauernde friedliche Ausnahme-Phase gelten – als hätte es Reagans Satelliten Thatcher nie gegeben. Zudem sind es ausgerechnet sozialistische und kommunistische Regimes, die dazu herhalten müssen, Homosexuelle und Queere zu verfolgen bzw. abzuschieben; und es sind die ukrainischen Geflüchteten, die – natürlich ‚vorm Russen‘ auf der Flucht – eine Art heidnischen Rave zum Ende der Welt veranstalten ohne jede narrative Nachvollziehbarkeit. Da haben wir also das alte Bond-Niveau der ethnischen Erzählkunst, allerdings weniger in Schwarz und Weiß verpackt – denn nunmehr ist alles eins, nämlich Rabenschwarz, aus Grau und Grau gemischt. Dieses Unheils-Dunkel des Suhlens im Abgrund, worin Licht nur mehr als synthetisches strömt, ergibt sich aus dem neoliberalen Postmodernismus, dem die Serie frönt wie kaum eine zweite. Darin trifft, zwischen Paranoia und Propaganda, Kulturpessimismus seine eigene Techno-Entzücktheit, bis die Apokalypse selbst kitschig und das Pathos paranoid wird. Nihilismus wird so verabsolutiert statt kritisiert, Diversität verkommt zum ‚anything goes‘ – alles vergeht –, und der einst liberale Individualismus kippt um in ein konkurrenz- und konkursvermitteltes Survival Kit, das seit Breaking Bad kanonisiert ist zum Grundbestand des Bildes von der menschlichen Psyche.

‚Böse ist die Politik, gut die Technologie‘

Für eine vollends desorientierte, verwirrte, affektiv zerstäubte Klientel mag Years and Years der direkteste Seelenabdruck sein: man wird durch die Show-Mühle gemahlen, nur um hautnah miterleben zu können, wie man sich darin auflöst, um so entleert und beweihräuchernd und abgedroschen-bombastisch wie das ritualisierte Spektakel selbst zu enden. Auf dem Weg dahin bekommt man eine Inflation differenzloser ‚Ereignisse‘ injiziert, die kein Innehalten zulässt, sodass niemandem mehr auffällt, dass die Serie nichts aussagt, ja, nichts sagen will und nicht einmal noch etwas sagen kann: Years and Years ist letztlich nicht intelligibel, sondern taumelnder ‚Schizo-Flow‘ der übelsten Sorte, worin Stringenz antiquiert wird zugunsten einer dumm-suggestiven Orgie des vermeintlich Naheliegenden, bis sich jede*r bestätigt fühlen kann; worin auch immer. Denn alles Mögliche lässt sich hier erspüren, um ja nichts ersinnen zu können: man wird übergossen mit einer Onanie der Angst-Plattitüden und muss – kann man sich überhaupt noch in eine urteilende Distanz retten – konstatieren, dass nicht jede Quantität in Qualität umschlägt (leider). Nicht eine Figur oder Beziehung wird in Years and Years entwickelt, nicht ein Katastrophenszenario in seinen Hintergründen transparent gemacht, ausnahmslos alles rast, und das hat Methode: die Totale des Misstrauens wird ausgebeutet bis auf den Grund und alle Vorurteile, die Menschen haben, sind bald verarbeitet und bestätigt, insofern es über sechs Stunden nicht einen intelligenten Dialog und nicht eine politisch stichhaltige Analyse gibt. Noch der sich als tiefe Einbettung garnierende Monolog der Granny als Vorsteherin der Familie Lyons will letztlich nur auf eine individualistische Konsumethik heraus, die es sich verbietet, irgendein Problem – und sei es die Finanzkrise selbst – ‚auf die Wirtschaft abzuschieben‘. Die Moral des Neoliberalen also bleibt: am Ende ist jede*r selbst schuld – nicht nur an der eigenen Misere, sondern am Zustand der Welt.

Darum ist Years and Years, von einem Doctor-Who-Produzenten verfasst, auch nicht technikkritisch wie etwa Black Mirror es – mitunter – von sich behaupten kann. Zwar werden die Kosten der kapitalistischen ‚Rationalisierungen‘ symptomartig angezeigt, doch gelten sie letztlich als Nebenwirkungen des bloßen Fortschreitens, das auch nicht mehr gen Fortschritt zu gehen braucht, sondern nur mehr voran, selbiges allerdings unvermeidlich; unausweichlich. In all der Kakophonie bleibt der Tenor der Serie: böse ist die Politik, gut die Technologie. Wer etwa dem transhumanistischen Allverfügbarkeits-Wahn nicht huldigt, müsse wohl reaktionär sein, denn ‚Transhumanismus‘ sei nur die nächste Toleranzprobe des gesellschaftlichen Ottonormalmenschen gleich nach dem Transsexuellen. Die weltanschauliche Triebfeder der Serie scheint somit die Zugehörigkeit zu einer akzelerationistischen Identitäts-‚Linken‘, die sich mit nichts so identifiziert wie mit dem Dystopischen selbst.

Hyper-Apologie als Dystopieverknalltheit

Nur logisch ist somit, dass Years and Years mit dem wissenschaftskritischen Bild einer gezündeten Atombombe beginnt, jedoch endet (Achtung Spoiler:) im affirmierten Alptraum szientistischer Unsterblichkeit. Darüber hinaus hat man nur die Wahl, ob die Populistin Viv, die sich inzwischen zur Premierministerin Englands gemausert hat, ihren eugenischen Malthusianismus allein ausgeheckt habe, oder ob sie dabei vom altbekannten ‚Russen‘ (durch Wahlmanipulation) in ihre Position geputscht wurde. Die vermeintlich einzig Widerständige Edith Lyons derweil, von der man sich bis zum Schluss den einen Funken politischer Urteilskraft erhofft hatte, wird final zum Superkräfte-Cyborg höchstselbst entschärft. In den letzten Minuten der Serie und ihres Lebens erzählt sie, die in Folge der Atombombe verstrahlt worden ist, davon, wie sie nun, hochgeladen in die Cloud, ‚Liebe‘ werde und ein digitaler ‚Kobold‘, dessen Omnipotenz sie zur Jagd auf die Drahtzieher des Bösen verwende. Peinlich sind solche Zeilen mit Sicherheit. Schlimmer aber als peinlich ist, ideologisch in vorauseilendem Gehorsam zu sein, und somit katastrophale Zukunftsszenarien vorwegnehmend in Schutz zu nehmen. Kurzum ist es nicht anders als hyper-apologetisch zu nennen, wie Years and Years von der Atombombe als Menetekel des technologischen Wahns (zu Beginn) zum big-data-vermittelten ewigen Leben (als Quasi-Happy-End) übergeht – von der entzauberten Technokratie zur transhuman entfalteten Theokratie. Doch wie anders als hyper-apologetisch sollte eine Serie enden, die Pop in seiner letzten Schwundstufe ist: Populismus geworden, Verschwörungstheorie im Deckmantel einer Kritik am Verschwörungstheoretischen? Gar nicht ‚anders‘ schließlich ist auch das ‚ganz Andere‘ der Postmoderne selbst, das zwischen Dystopieverknalltheit und fröhlichem Nihilismus hin- und herschwankt.

 

Years and Years ist verfügbar in der ZDF-Mediathek vom 15.1. bis 13.3.2021.

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