von 07.01.2011

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… und in der Mitte liegt die Nachhaltigkeit? (Grafik: Dennis Hingst)

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung ist ein offizielles Gremium, das die Bundesregierung berät. Sein eigenes Kompetenzfeld definiert er so: „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen.“ Das klingt zunächst plausibel. Ein wichtiges Wort aber, das in diesem Satz wie selbstverständlich verwendet wird, ist nicht ganz unstrittig: „gleichberechtigt“.

Was der Nachhaltigkeitsrat da beschreibt, ist das sogenannte Drei-Säulen-Modell. Es fasst unter dem Begriff der Nachhaltigkeit drei Gebiete zusammen: den ökologischen, den ökonomischen und den sozialen Teil, auf denen der Mensch jeweils so handeln soll, dass Folgegenerationen die gleichen Voraussetzungen haben wie man selbst. „Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben“, heißt es dann auch in der Definition weiter. Doch genau hier liegt der Fehler.

Denn das Modell setzt Ökologie mit Ökonomie und Sozialem gleich. Dabei ist die Wirtschaft ein Werk des Menschen, ein System, das aus unserer Gesellschaftsbildung hervorgegangen ist. Und unsere Gesellschaft ist wiederum ein System, das ohne seinen Rahmen, die Umwelt, nicht existieren könnte. Anstatt Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichzusetzen, sind die Begriffe vielmehr als Teile einer Hierarchie anzusehen; das Ökologische ist die Grundlage des Sozialen, das Soziale wiederum die Grundlage des Ökonomischen.

Diese Tatsache liegt offen auf der Hand und wird doch vom Menschen konsequent missachtet, zuweilen gar völlig auf den Kopf gedreht. Anstatt die Umwelt als Grundlage unseres Lebens anzuerkennen, wird sie eher wie ein lästiges Anhängsel behandelt. „Wenn in Deutschland die Sozialhilfe verschlankt oder der Wirtschaftsstandort ausgestattet wird, verlangt niemand, dass ein ökologischer Bereich integriert sein soll. Aber wenn es um diesen geht, soll er als Gesamtkunstwerk auftreten und die Ökonomie mitrepräsentieren“, schrieb der Freitag schon vor sechs Jahren.

Dass vielen Menschen eine funktionierende Wirtschaft wichtiger ist als ein funktionierendes Ökosystem, zeigt sich auch in der Monetarisierung der Natur, zum Beispiel durch den Emissionsrechtehandel. Das Konzept mag nicht grundsätzlich verkehrt sein, aber es offenbart, dass der Umweltschutz nur eine Ware mit einem bestimmten Marktwert ist, ein Teil des ökonomischen Systems. Die Hierarchie steht auf dem Kopf. Der Rahmen, ohne den es kein menschliches Leben geben kann, wird zum Subsystem degradiert und als Variable in ökonomischen Gleichungen missbraucht.

So ist der Nachhaltigkeitsbegriff nun wenige Jahrzehnte nach seinem Auftauchen in der breiten Gesellschaft auch schon wieder zu einer leeren Worthülle verkommen, mit der man höchstens noch schön werben kann. Wer will, der schreibt sich „Nachhaltigkeit“ auf die Fahne und lehnt sich zurück, denn überprüfbar ist diese Aussage sowieso nicht. Wenn ein Autohersteller sich „nachhaltig“ nennen darf, nur weil das aktuelle Modell etwas weniger Dreck verursacht, als das vorige, dann hat dieser Begriff rein gar keine Bedeutung mehr. Er wird der unbedingten Notwendigkeit, unsere Umwelt als höchstes Gut zu schützen, nicht gerecht.

Text: Dennis Hingst

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