Heute wird Kathrin Buhl, langjährige Aktivistin der Berliner Nord-Süd-Szene und zuletzt Büroleiterin der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Brasilien und den Cono Sur, in Berlin beigesetzt. Völlig überraschend war sie kurz vor Weihnachten in São Paulo gestorben.
Besser als ihre PartnerInnen aus Südamerika kann man den Abschied kaum formulieren:
Wir kommen von weit her, um uns von Kathrin zu verabschieden. Wir fragen uns: Was ist aus ihr geworden? Wo war sie? Wo ist sie? In Brasilien? In Deutschland? Irgendwo in Lateinamerika?
Heute wollen wir sie wieder herholen, in dieses grenzenlose Land unseres kollektiven Gedächtnisses. Wir wollen unsere Worte aufschreiben, um sie mit ihren Töchtern Kati und Lisa zu teilen, damit sie eines Tages ihre Enkelin Sarita lesen kann, damit Ihr, Compañeros und Compañeras, Freundinnen und Freunde aus anderen Teilen der Welt wisst, was wir fühlen, die wir in den letzten Jahren mit ihr zusammengearbeitet haben, in einem Kontinent, der weit weg ist von dem Ort, an dem sie geboren wurde. Ein Kontinent, den sie verstanden und geliebt hat und auf dessen Befreiungskämpfe sie sich eingelassen hat.
Mit Kathrin haben wir die Leidenschaft geteilt, grenzenlos zu diskutieren, unsere Träume aus einer internationalistischen Perspektive zu denken. Sie forderte uns dazu heraus, unsere Partikularinteressen zu überwinden – das war ihre Art, zu unseren Projekten einen Beitrag zu leisten.
Kathrin war immer ein bisschen ein Wesen wie von einem anderen Planeten. Nicht nur, weil sie aus einer schon verschwundenen Welt kam, dem „sozialistischen Deutschland“, sondern weil sie ihr eigenes Leben mit einer nachlässigen Art des „ich war´s nicht“ durchquerte, die sie manchmal naiv erscheinen ließ, obwohl sie das gerade nicht war.
Kathrin war einer dieser Menschen, die sich sehr darum bemühen, selbst nicht aufzufallen oder sich in den Vordergrund zu spielen. Gerade durch diese respektvolle Haltung hat sie bei uns besonders tiefe Spuren hinterlassen.
Sie sorgte sich immer um die Frauen und Männer auf der Schattenseite des Lebens, um die unterdrückten und ausgebeuteten Völker. Immer wollte sie die spezielle Wirklichkeit unseres Amerikas kennenlernen.
Kathrin war ein ernsthafter Mensch, zugleich hatte sie einen ganz eigenen Humor. Sie war engagiert in den Klassenkämpfen, den revolutionären Prozessen, immer den Menschen zugewandt, liebenswürdig, feinfühlig und respektvoll. Deshalb war sie uns so nah, deshalb war sie unsere Freundin.
Ihr Engagement bleibt und wird von uns fortgeführt. Es war bestimmt durch ihre Nähe zu den sozialen Bewegungen und kleinen Organisationen und durch die Herausforderung, Räume für politische Bildung von unten zu schaffen.
Kathrin hatte etwas von Janis Joplin, sie war eine einzigartige Mischung aus Hippie und Funktionärin einer Stiftung namens Rosa Luxemburg. Auch wenn sie in Brasilien lebte, sah sie durch ihre uruguayische Denkweise den Kontinent aus der Perspektive der Kleinsten. Sie war Feministin und Sozialistin ohne jeglichen Fanatismus. Immer wieder streute sie Salz in die Wunden aus Überzeugung, dass man die Routine stören müsse, auch und gerade bei Linken.
Nie haben wir mit Kathrin über Finanzpläne gefeilscht oder uns gefühlt, als müssten wir einer Funktionärin Rechenschaft ablegen. Kathrin war unsere Compañera, die Weggefährtin unserer Kämpfe. Wir sind mit ihr durch unsere Länder gereist, haben mit ihr unsere Hoffnungen auf eine gerechtere Welt geteilt.
Sie kannte die Grenzen der Einmischung genau, hörte immer zu und setzte sich auch mit unseren härtesten Positionen gegen den eurozentrischen Kolonialismus auseinander. Wir haben ihren Respekt geschätzt, ihre Bereitschaft zur Auseinandersetzung ihre revolutionäre Art, dogmatischen Gewissheiten zu misstrauen. Immer war sie bereit, zuzuhören und aktiv mitzuwirken.
Wir haben vor allen Dingen ihre radikale Kritik am Kapitalismus und am Patriarchat geschätzt, ihren Abscheu vor Bürokratie und Hierarchien, wie sie in manchen sozialistischen Politikmodellen durchgesetzt wurden. Ebenso teilten wir ihre Suche nach der Humanisierung der sozialen Prozesse und nach einem solidarischen Dialog mit der Natur, deren Teil wir sind.
Sie spielte sehr gerne. Sie mochte Bücher, die etwas Kindliches haben. Gerne hörte sie die Musik unseres Kontinents: Daniel Viglietti, Silvio Rodríguez, Alejandro Filio, Víctor Jara, Mercedes Sosa. Sie liebte Mate, die Yerba aus Paraguay, den Tereré, guten Wein, egal woher. Die Buchläden in Buenos Aires durchstreifte sie mit Leidenschaft. Sie liebte die Wärme Paraguays.
Gerne betrachtete sie die Welt von Uruguay aus, mit Galeano unter dem Arm. Sie genoss den kollektiven Wahnsinn der Seminare im nationalen Bildungszentrum der brasilianischen Landlosenbewegung. Dort regte sie viele Treffen an, auf dass wir alle diesen besonderen Ort der Macht von unten kennenlernen.
Ein paar Wochen, bevor sie uns verließ, war Kathrin in Mexiko. Dort beschloss sie ihren Vortrag mit folgenden Worten: „Ich möchte euch vorschlagen, dass ihr die Gruppenarbeit nutzt, um euch eure Geschichten zu erzählen, ganz gleich, ob es Liebesgeschichten sind oder solche voller Spannung oder Schrecken… Letztendlich liegt es an uns, ob die Geschichte ein glückliches Ende hat“.
So war sie immer, eine Kämpferin für ein glückliches Ende für alle. Und heute sagen wir ihr von hier aus, dass es – trotz Hindernissen, Frustrationen, Missverständnissen – unsere Verpflichtung gegenüber dem Leben ist, gegenüber den Menschen und Kathrin, weiterhin zu versuchen, eine bessere Welt zu finden, in der das Glück endlich globalisiert wird.
Wir haben Kathrin bei ihrem jüngsten Besuch in Chile gesehen. Sie fühlte sich nicht ganz wohl, aber ihr Sinn für Humor und Liebe funktionierte perfekt. Sie dolmetschte spielerisch und geduldig, sehr genau, aber ohne die Leichtigkeit zu verlieren.
Bevor wir uns trafen, kam eine Blumenverkäuferin am Büro vorbei. Wir kauften zwei davon, Investitionen, die nur gemacht werden, um das Haus hübscher zu machen, wenn geliebte Menschen erwartet werden. Jetzt haben wir einen neuen und triftigen Grund, sie zu pflegen, ihnen Leben und schlichte Schönheit zu geben.
Liebe Freunde und Freundinnen, Menschen wie Kathrin sterben nicht. Sie ziehen nur an einen anderen Ort und eine andere Zeit, wo sie auf uns warten, um glücklich zu sein und gemeinsam endlich die Welt zu errichten, die wir uns erträumen. Der Beweis dafür, dass diese Welt möglich ist, sind Menschen wie Kathrin.
Danke, Kathrin. Das Herz ist traurig und der Kopf wird es noch einige Zeit nicht verschmerzen, aber wir wissen, dass wir Dich wiederfinden und lustvoll unsere Existenz genießen können: in jedem Sieg wie im chilenischen Totoral, in jeder neuen Blüte, die rebellisch in der Wüste erwacht.
Hasta siempre, liebe Compañera… immer.
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Und hier das ungekürzte spanische Original.
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