João Ubaldo Ribeiro ist gestern in Rio de Janeiro gestorben. Sein Tisch in der Stammkneipe Tio Sam blieb unbesetzt, darauf stand nur ein leeres Bierglas.
Der beliebte Autor wurde 1941 auf der Insel Itaparica im Bundesstaat Bahia geboren. Als Klassiker gelten seine jüngst auch auf deutsch wiederaufgelegten Romane Sargento Getúlio und Brasilien, Brasilien, ein Epos über die Entstehung der brasilianischen Identität.Diese Werke begründeten seinen Ruhm und wurden in den 1970ern und 80ern oft dem „magischen Realismus“ zugeordnet.
Doch schon in den 90ern trat er vor allem als bissiger Zeitungskolumnist in Erscheinung. In den letzten Jahren waren Ex-Präsident Lula da Silva und die Arbeiterpartei PT bevorzugte Zielscheiben seiner Kritik. Seine Beobachtungen als DAAD-Stipendiat erschienen in dem Sammelband Ein Brasilianer in Berlin (1994). Kostprobe:
Eins habe ich während meines Aufenthaltes hier in Berlin gelernt: Ich werde erst wieder in Deutschland antreten, nachdem ich einen Kurs über Amazonien belegt und mindestens eine grundlegende Biographie über die brasilianischen Indianer gelesen habe. Es kann hier nämlich ganz schön schwierig werden für Brasilianer wie mich, die nichts von Amazonien und den Indianern verstehen. Wenn sie von meiner Unwissenheit erfahren, sind einige Deutsche derart empört, dass sie sofort jedes weitere Gespräch mit mir aufgeben. Andere, vielleicht ist das die Mehrheit, wollen mir das schlichtweg nicht abnehmen, hören nicht auf meine abschlägigen Antworten und reden einfach weiter, so dass die Unterhaltung schizophrene Züge annimmt.
„Amazonien ist bestimmt faszinierend, nicht wahr?“
„Ja, bestimmt, aber sicher.“
„Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Für einen wie Sie, der direkt von dort kommt, ist es sicher schwer, so fasziniert davon zu sein wie ein Ausländer. Wer von außen kommt, der ist jedenfalls…“
„Ganz so ist es eigentlich nicht, ich habe Amazonien nämlich nie gesehen.“
„Leben Sie seit Ihrer Kindheit außerhalb Brasiliens?“
„Nein, ich lebe in Brasilien. Aber ich habe Amazonien nie gesehen.“
„Mein Gott, was sagen Sie denn da. Das ist ja schrecklich!“
„Ja, also…Ich…“
„Ich wusste ja gar nicht, dass die Zerstörung schon so weit fortgeschritten ist, wie furchtbar! Und Sie haben Amazonien gar nicht gekannt. Als Sie geboren wurden, war das Gebiet schon zum größten Teil zerstört, niedergebrannt, verwüstet! Finden Sie nicht, dass das ein schreckliches Verbrechen gegen die Natur, gegen unseren Planeten ist?“
„Natürlich. Aber das ist es gar nicht, denn ich…“
„Würden Sie nicht auch sagen, dass man auf jeden Fall die Zerstörung von Amazonien aufhalten muss?“
„Aber sicher“.
„Ich hatte auch keine andere Haltung von Ihnen erwartet. Helga, komm mal her hör dir an, was unser brasilianischer Freund mir über Amazonien erzählt, keiner kann uns besser als ein Brasilianer die Wahrheit über Amazonien zeigen, und was er gerade erzählt hat, ist wirklich grauenhaft, noch viel schlimmer, als wir gedacht haben! Stell dir vor, er ist in Brasilien aufgewachsen und hat Amazonien nie gesehen! Die Zerstörung war schon so weit fortgeschritten, dass er gar nicht mehr vorgefunden hat! Kommen Sie, mein treuer Freund, erzählen Sie der Helga hier, was Sie mir gerade erzählt haben, das ist wirklich schrecklich. Helga, er hat gesagt…“
Bei Lesungen, Vorträgen und ähnlichen Anlässen ist es noch schlimmer, weil da ein kollektiver Druck herrscht. Ich habe gerade ausgeredet, da erhebt sich ein Herr, gibt sich erstaunt und vorwurfsvoll und sagt:
„Ich habe hier in einer Zeitung gelesen, dass Sie noch nie einen Indianer gesehen haben. Stimmt das?“
Gemurmel im Publikum. Ist das weiße Ding da in der Hand des Jungen mit der Punkfrisur ein Ei, das gleich in meine Richtung fliegt, wenn ich die falsche Antwort gebe?
Solche Vergleiche sind kultürlich untauglich, aber ich hätte mir „mehr“ (Substanz) erwartet. Von einem Nachruf auf einen Menschen in einem „Fachblog“ (zumindest geographisch), der bei uns (Bahia, aber auch in Rio) einen kulturellen und sozialkritischen Human- und Literatenstellenwert (NICHT erst seit den Zeitungskommentar-90ern, siehe seine früheren „ur-bahianischen“ Werke wie „Vila Real“) eingenommen hatte, der in etwa dem Status Garcia Marquez‘ in Kolumbien (Böll bei Euch?) entsprochen hat.
Im Übrigen kann ich Euch (generell, den EuropäerInnen) nur empfehlen, mehr „Bissiges“ zu Lula und PT aus João’s Feder zu lesen. Denn DAS sind Wortfotografien, im Gegensatz zur Schablonendumm- und falschheit der „linken und armutsvernichtenden Lula- und Dilma-PT“ die so besonders eifrig in Euren Medien mantrabedient wird, die das wahre und triste Brasilien unter PT- und Koalitionskonsortenmafia wiederspiegeln.