Offiziell hat Barack Obama den Wandel in den Beziehungen zu Kuba eingeläutet. Noch existieren jedoch Maßnahmen, die Havanna das Leben schwer machen sollen. Eine ist das Abwerbeprogramm für kubanische Ärzte. Das kennt der US-amerikanische Politikwissenschaftler Henry Michael Erisman en detail.
H. Michael Erisman ist emeritierter Professor der Politikwissenschaft von der Indiana State University. Sein Spezialgebiet ist die politisch gesellschaftliche Entwicklung in Lateinamerika und Kuba, wobei er sich dort immer wieder mit dem Gesundheitssystem beschäftigt hat.
Die „New York Times“ hat in den letzten Wochen mehrfach die US-amerikanische Kubapolitik unter die Lupe genommen und kritisiert. Ist die Kritik berechtigt?
Ja, denn es macht keinen Sinn, auf der einen Seite nach besseren Beziehungen zu rufen und auf der anderen alles beim Alten zu lassen. Allerdings ist es auch nicht einfach, Schlüsselelemente der US-Politik wie die ökonomischen Sanktionen mal so eben zu ändern. Die werden vom Kongress kontrolliert, und diese Sanktionspolitik kann nur mit satter Mehrheit geändert werden. Allerdings bildet das „Cuban Medical Professional Parole Program“ da eine Ausnahme.
Das Programm, mit dem kubanische Ärzte seit 2006 abgeworben werden, wurde in der „New York Times“ im November in einem Leitartikel thematisiert. Warum setzt man auf Abwerbung – ist der Ärztemangel in den USA so gravierend?
Es gibt einen Ärztemangel in den USA, aber der hat mit dem Abwerbeprogramm wenig zu tun. Kubanische Ärzte in den USA haben es meinen Informationen zufolge schwer die Tests zu absolvieren, um in den USA praktizieren zu können. Zwei Motive stehen hinter dem Programm: Einerseits geht es darum, Havanna durch die Republikflucht von Ärzten, die zu den Kronjuwelen der kubanischen Revolution gehören, zu düpieren. Andererseits ist den USA daran gelegen, Kubas Bemühungen, sich weltweit als alternativer Anbieter von Hilfsleistungen, Ärzten, Medikamenten und medizintechnischen Materialien zu etablieren, zu unterlaufen.
Präsident Barack Obama könnte das Abwerbeprogramm stornieren. Nach der Rede vom letzten Mittwoch erscheint das nur konsequent. Warum macht er es nicht?
Nach der Rede weiß ich es nicht. Vor der Rede hätte ich folgendes gesagt: das könnte Probleme mit exilkubanischen Lobby-Organisationen wie der Cuban American National Foundation (CANF) nach sich ziehen und für demokratische Kandidaten in Florida negative Folgen haben.
Laut US-amerikanischen Quellen steigen die Zahlen der abwandernden Ärzte….
Die absoluten Zahlen steigen, aber die Prozentzahl ist sehr gering. Derzeit sind um die 50.000 Kubaner in medizinischen Missionen im Einsatz, abgewandert sind 1278 im letzten Fiskaljahr laut dem Abwerbeprogramm. Zudem kalkuliert das Gesundheitsministerium in Havanna mit einer gewissen Abwanderungsquote. Ferner glaube ich, dass steigende Abwanderungszahlen auch auf die politische Situation in Venezuela zurückzuführen sind und auf die Tatsache, dass es von dort relativ einfach ist, nach Miami zu kommen, wo die Kubaner mit offenen Armen empfangen werden. Zudem wirken sich die veränderten Reisebestimmungen in Kuba auch aus: Kubaner können nun ihre Angehörigen nachholen.
Ist die Abwerbung von Ärzten auch ein ökonomisches Risiko für die Insel?
Auf rund acht bis zehn Milliarden US-Dollar werden die Einnahmen für die Regierung in Havanna durch die medizinische Missionen taxiert. Das ist höchstwahrscheinlich die wichtigste Devisenquelle der Insel. Abwanderung von Medizinern wird sicherlich nicht gern gesehen, aber die Zahlen sind zu niedrig, um die ökonomische Stabilität oder die Gesundheitsversorgung auf der Insel zu gefährden.