Hässlich, grau, schmutzig, chaotisch. São Paulo hat mit vielen Klischees zu kämpfen. Doch die Stadt hat viele Facetten. Genau diese will der junge Fotograf Rodrigo Ramos zeigen. Mit seinem Projekt Analogic Eye porträtiert Ramos seine Heimatstadt und liefert eine Liebeserklärung an die Metropole.
Wie kamst du auf die Idee für dein Projekt?
In unserer Gesellschaft spielen Fotos eine immer wichtigere Rolle. Zur gleichen Zeit wird die Fotografie durch die Digitalisierung zunehmend banalisiert. Es werden Effekte und Filter verwendet und Bearbeitungen aller Art durchgeführt. Die digitale Fotografie scheint endlose Möglichkeiten bereitzuhalten. Ich will das Gegenteil tun und zeigen, dass die analoge Fotografie eine andere, konkretere Realität erschafft. Sie ist was sie ist. Es gibt wenige Möglichkeiten Bilder zu verändern und man hat oft nur eine Chance einen Moment festzuhalten. São Paulo ist eine riesige Stadt. 20 Millionen Menschen leben hier, fast jeder hat heutzutage ein Smartphone. Täglich werden Millionen von Fotos gemacht. Ich will einen Beitrag dazu leisten die analoge Fotografie in die Stadt zurückzubringen und die Stadt zeigen wie sie ist – ohne Veränderungen und Manipulationen.
Was ist für dich das Besondere an São Paulo?
Die Stadt ist so besonders, weil sie von Gegensätzen geprägt ist. Die meisten Bewohner lieben und hassen São Paulo zur gleichen Zeit. Diese Hassliebe ist auch einer der Ausgangspunkte meiner Arbeit. Ich will Kontraste aufzeigen. São Paulo ist keine klassische Schönheit: viele Teile der Stadt sind heruntergekommen, es gibt zahllose leere Gebäude, verschmutzte Straßen. Jedoch gibt es hier auch viel Liebe, Leidenschaft und Kunst. Die Stadt bewegt sich zwischen zwei Welten – auch gesellschaftlich. Die sozialen Unterschiede sind riesig. Ich will diese Realität keinesfalls glorifizieren, aber Extreme machen die Stadt auch gerade so dynamisch und interessant.
Du hast einige Klischees angesprochen. Viele betrachten São Paulo lediglich als grauen Moloch. Glaubst du, dass Städte wie São Paulo eigene Formen von Schönheit hervorbringen können?
Auf jeden Fall. Die meisten Menschen haben ein klar definiertes Bild von Schönheit. In Bezug auf Städte wird sich vor allem auf Europa bezogen. Viele wünschen sich daher, dass sich São Paulo an Städte wie Paris, London oder Berlin anpasst. Dabei wird die spezielle Schönheit der Stadt total ausgeblendet. São Paulo ist bezaubernd und einzigartig auf ihre ganz eigene Art.
In deinen Fotos finden sich viele Bezüge zu Subkulturen. Welche Rolle spielen diese in São Paulo?
Die verschiedenen Subkulturen sind schon lange ein wichtiger Teil der Stadtlandschaft. Sie nehmen sich ihrer an, entwickeln sie weiter und lassen sie pulsieren. Meiner Meinung sind es Graffitikünstler, Straßenmusiker, Besetzungen, illegale Partys, die Leben in die Stadt bringen.
Hast du Lieblingsorte in der Stadt?
Nein, nicht wirklich. Die gesamte Stadt fasziniert mich. Was mich jedoch momentan am meisten begeistert sind ruhigere und scheinbar vergessene Orte. In dieser chaotischen und hektischen Stadt tragen Zeit und Geschwindigkeit eine große Bedeutung. Oft wird jedoch vergessen, dass es Orte abseits der Hektik gibt. Ich betrachte meine Fotografie daher oft als eine Pause. Man kann sich auf meinen Bilder São Paulo anschauen, wie man vielleicht noch nie Notiz von ihr genommen hat. Ich habe Fotos von bestimmten Orten auf der Avenida Paulista veröffentlicht, die normalerweise voll ist mit Menschen, und erstaunte Reaktionen erhalten: „Wow, so habe ich die Paulista noch nie gesehen“, hieß es dann. Meine Idee ist es Momente der Ruhe innerhalb des Chaos festzuhalten.
Stehen deshalb bei deinen Fotos auch eher Orte im Vordergrund und nicht etwa Menschen?
Ja genau. Wenn ich Menschen fotografiere betrachte ich sie eher als Bestandteile der Stadt und nicht als Hauptakteure. Sie sind als ein Teil der Stadt und ihrer Architektur zu verstehen. Ich glaube, dass sich Menschen in Metropolen wie São Paulo und die Städte an sich sehr ähneln. Daher sind die Menschen auf meinen Fotos als Element des städtischen Alltags zu verstehen.