vonHildegard Willer 08.10.2014

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„Na, ist der Teleférico, die Seilbahn, schon fertig?“ fragte ich den Taxifahrer, der mich im Mai von El Alto hinunter nach La Paz fuhr.  Es war eine Verlegenheitsfrage, so wie man woanders nach dem Wetter fragt. In Lateinamerika dauert es oft Jahre, bis grosse Infrastrukturprojekte fertiggestellt werden:  Vielleicht war ich auch von Lima ausgegangen, wo alleine die Verhandlungen für den Aufkauf von Grundstücken jahrelang andauern, bevor überhaupt mit dem Bau einer neuen Metrolinie oder eines Flughafens begonnen werden kann. Und dann kommt es noch oft vor, dass das Projekt zwecks abgezweigter Zahlungen halb fertig in der Landschaft steht, wie dies 10 Jahre lang beim „Tren Eléctrico“ in Lima der Fall war.

Ich erwartete also auch in La Paz eine ausweichende Antwort des Taxifahrers, die in der üblichen Politikerschelte enden würde, aber ganz sicher nicht die Antwort: „Ja, gestern wurde die Seilbahn eingeweiht“. Genau so war es aber: Im Mai wurde die erste Linie der neuen öffentlichen Seilbahn eingeweiht, im September eine zweite Linie.  Um es vorwegzunehmen: Es ist fantastisch, damit in die Lüfte zu entschweben: Nicht nur, dass man damit in 12 Minuten von La Paz in El Alto ist, sondern für 3 Bolivianos  (ca. 30 Cent) erhält man eine Aussicht über La Paz und die Anden,  die alleine schon die Touristenzahlen in die Höhe schnellen lassen müsste.

Da nimmt man es auch in Kauf, dass das Konterfei des bolivianischen Präsidenten Evo Morales an der Talstation unübersehbar angebracht ist, damit ja niemand vergisst, wem diese neue Errungenschaft des öffentlichen Verkehrs zu verdanken ist, und wem die Bolivianer deswegen am 12. Oktober ihre Stimme geben sollen.

Nicht, dass es irgendeinen Zweifel gibt, wer auch nach dem 12. Oktober Bolivien regieren wird. Dass Evo Morales seine dritte Amtszeit beginnen wird, steht ausser Frage. Offen ist höchstens, ob seine Partei MAS die Zweidrittelmehrheit erringen wird, mit der Evo Morales seine Herrschaft auf Dauer in der Verfassung verankern kann. Wie in anderen Ländern Lateinamerikas auch, sieht die bolivianische Verfassung nur eine einmalige Wiederwahl des Präsidenten vor, um angehenden Diktatoren gar keine Gelegenheit zu geben, ihre Lust auf Dauerherrschaft auszuleben.  Mithilfe einer eigenwilligen Interpretation des Grundgesetzes schaffte Morales es, zur dritten Amtszeit zugelassen zu werden. Für eine vierte Amtszeit braucht es eine Verfassungsänderung.

Evo Morales ist so beliebt wie nie in Bolivien, und er hat nicht nur die neue Seilbahn vorzuweisen: Mit den ausländischen Investoren im Erdgasbereich verhandelte er bessere Konditionen für Bolivien; seine Sozialprogramme transferieren die höheren Staatseinnahmen an die arme Bevölkerung; sogar mit den langjährigen Rivalen im Ostteil des Landes konnte er ein Agreement aushandeln, das die Interessen der einheimischen Unternehmer weitestgehend unbehelligt lässt.  Dazu kommen die höheren Erträge für Erdgas, die Bolivien 2014 zum lateinamerikanischen Land mit dem höchsten Wirtschaftswachstum machen (vor Brasilien oder Chile!!!)

Vor allem aber hat Evo Morales eine ungeheure symbolische Kraft als erster indigener Präsident für die Mehrheit der Bolivianer, die sich selbst ebenfalls als Indígenas verstehen, und die jahrhundertelang im Staat die  dritte oder vierte Geige gespielt haben (wenn überhaupt) und deren Kultur nun endlich den Rang bekommt, der ihr in einer Demokratie gebühren sollte.  Es ist schwer vorstellbar, dass in Bolivien nach Morales jemals wieder ein Bolivianer aus der weissen Minderheit in die Macht gewählt werden wird.

Angesichts solcher Euphorie wird man fast schon zum Spielverderber, wenn man auf die Schwachpunkte der Regierung hinweist: Die Qualität der Demokratie in Bolivien hat abgenommen, die MAS gebiert sich mindestens so wie die CSU in Bayern zu ihren besten Zeiten. Der Umgang mit Pluralismus und Dissidenz ist dem neuen plurinationalistischen Staat weitestgehend abhold.  Schade, denn gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Bonanza könnte man demokratische Institutionen ausbauen. Wenn man denn will.

Umweltschutz und Alternativen zur Ausbeutung der Bodenschätze sind Evo Morales weitestgehend egal. Das „Buen Vivir“,  das in der bolivianischen Verfassung verankerte Konzept des „Guten Lebens“, hat in der Wirtschaftspolitik Boliviens keine Bedeutung.  (Ich vermute, dies entspricht der  Einstellung der Mehrheit der Bolivianer im Sinne von: Wir waren lange genug unfreiwillig umweltschützende Nicht-Konsumenten, jetzt sind wir erst mal dran beim Konsumieren) . Dazu passt, dass Bolivien nun auch die grossen internationalen Bergbaufirmen ins Land holen  will und dafür die Mitspracherechte der lokalen Indígenas aushebelt. Möglich, dass der linke Morales für den bolivianischen Staat bessere Konditionen aushandeln mag – für die betroffene lokale Bevölkerung oder die Minderheit der Umweltschützer dürfte es keinen Unterschied machen, ob sie von einem linken Evo Morales oder einem eher rechten Ollanta Humala regiert werden.

Dennoch: Den meisten Bolivianern ging es nie so gut wie heute.  Es ist zu wünschen, dass die politische Stabilität, die Politik der Umverteilung und die Erdgas-Bonanza anhält. Für die ersten beiden ist Evo Morales der Garant. Für letztere muss er seine Apus, die Schutzgötter der Anden, bemühen.

 

 

 

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