Rafael Correa bei der 13. Lateinamerika-Konferenz der Deutschen Wirtschaft / Foto: Hoyer „Erlauben Sie mir zunächst einmal, Ihnen mein Land ein wenig vorzustellen“, sagt ein gut gelaunter Rafael Correa auf der 13. Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft, als er mit den Begrüßungsfloskeln durch ist.
Ecuador, das Land mit der weltweit größten Artenvielfalt, mit einer 3.000 Kilometer langen Küste, mit großen ökologischen Schützgebieten. Auf einer Leinwand werden die Sinne umworben. Dschungel, Andenhochland, Galapagosinseln, Schnee bedeckte Berge. Und Zahlen: die größte Vielfalt bei Wirbeltieren, fünftgrößte Artenvielfalt bei Schmetterlingen, mehr als ein Fünftel der Landesfläche ist Naturschutzgebiet …
Gelungener Balztanz
„Ecuador ist wundervoll“, fasst Correa schließlich seine schwindelerregenden Zahlenreihen zusammen. „Wir Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen haben der Natur Rechte zugesprochen. Damit sind wir Vorreiter des Umweltschutzes und des Kampfes gegen die Erderwärmung. Diese Rechte sind in unserer Verfassung verankert. Bisher ist es die erste, die der Natur Rechte einräumt“, so Rafael Correa, der im vergangenen Februar mit 57,1 Prozent der Wählerstimmen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde.
Nach den schönen Bildern kommt Futter für die Ratio: Seine Regierung hat politische Stabilität in ein Land gebracht, in dem lange Zeit kein Präsident seine Amtszeit beenden konnte. Eine Grafik zeigt seine Zwei-Drittel-Mehrheit im kommenden Parlament: Niemand kann ihm reinreden, er sitzt fest im Sattel. Eine wichtige Botschaft für potentielle Investoren, wie auch die Verringerung der sozialen Ungleichheit, Armutsbekämpfung, Straßenbau, Investitionen in Wasserkraftwerke, in Bildung, etwa in den Bau der Wissenschafts- und Forschungsstadt Yachay, mit der Ecuador einen führenden Wissenschaftsstandort in Lateinamerika etablieren will. Ein Abkommen über Zusammenarbeit in der Bildung zwischen Ecuador und Deutschland wird am Dienstag unterzeichnet. Ein gelungener Balztanz bis dahin.
Gleichgewicht von Natur und Mensch
Als Rafael Correa 2007 sein Amt antrat, hatte die Bevölkerung eine Regierung an die Macht gewählt, die sich links verortet und Forderungen sozialer bzw. indigener Bewegungen aufgriff. Bei der Verfassunggebenden Versammlung 2008 wurde ein Paradigmenwechsel eingeführt: Die Natur wurde als Rechtssubjekt anerkannt und das „Buen Vivir“ als Verfassungsziel festgeschrieben.
Die Verfassung formuliert den Anspruch auf Gesundheit, Erziehung, ausreichende Ernährung und den Zugang zu sauberem Wasser. Statt stetigem Wachstum zum Zwecke individueller Reichtumsanhäufung soll es um das Gleichgewicht von Natur und menschlicher Gesellschaft gehen.
Der Inhalt des Konzepts vom „Buen Vivir“, das daher besser mit „Erfülltes Leben“ als mit „Gutes Leben“ zu übersetzen ist, sollte sich in Debatten konkretisieren, so der größte Verfechter dieser Idee, der Ökonom Alberto Acosta. Mit Correa hat sich der damalige Präsident der Verfassunggebenden Versammlung und ehemaliger Energieminister entzweit. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen trat Acosta dann selbst als Kandidat an – vor allem als „Hüter“ eben dieser Verfassung, die das „Buen Vivir“ beinhaltet.
Umverteilung sichert Wahlerfolg
Haushoch gewonnen hat die letzten Wahlen vom Februar 2013 jedoch Rafael Correa, der den schwierigen Paradigmenwechsel in punkto Werte und Entwicklung inzwischen hinten anstellt. Bergbau und Erdöl sollen Devisen ins Land spülen , damit die Regierung Bildung, Gesundheitssystem, Infrastruktur und Wissenschaft finanzieren kann. Kritiker werfen ihm vor, die Wahlen habe er mit dem „Bono“ gewonnen, mit Sozialleistungen: Geld für allein erziehende Mütter, Unterstützung beim Hausbau. Dass diese Mittel durchaus Chancen für die Einzelnen darstellen, aus bitterer Armut herauszukommen, bleibt dabei meist ungesagt. Kann man erwarten, dass mit der Armutsreduzierung auch gleich ein Wertewandel einhergeht, der sich im reichen Norden der Erdhalbkugel auch nicht durchsetzen will?
Die Krux ist, die Regierung Correa war 2008 mit der Ankündigung eines Paradigmenwechsels auf Stimmenfang gegangen. Die bekam sie auch. Jetzt sieht der Wechsel ganz anders aus. Was die Regierung gerade tut, ist stattdessen den Staat zu stärken und einen Teil des Reichtums umzuverteilen. Die Geldmenge, die der Regierung zur Verfügung steht, ist auch angesichts deutlich gestiegener Rohölpreise deutlich höher als bei früheren Präsidenten. Es kommt denn auch sichtbar etwas an bei der Bevölkerung. Das heißt „Bürgerrevolution“, weil allein dies in Ecuador schon eine Revolution ist. „Er erfüllt seine Versprechen“, „ich glaube an ihn“, „meine Tochter hat ein Stipendium, so etwas war früher undenkbar“, sagen die Ecuadorianer. Darum wählten sie Correa wieder.
Bergbau für das „Buen Vivir“
„Bergbau für ein erfülltes Leben“ ist der Slogan, mit dem das staatliche Bergbauunternehmen Enami auf seiner Webseite wirbt. Heißt das, erst Bergbau und in den Ruinen der Natur wird das „Buen Vivir“ verwirklicht?
„Es existieren so viele Falschinformationen über den Bergbau“, poltert Correa in der Fragerunde am Dienstagabend nach seinem Vortrag „Wege aus der Krise“ im vollbesetzten Audimax der TU Berlin.
„Bis zu 95 Prozent“ der Umweltschäden durch Bergbau könnten beseitigt werden, sagt er, adressiert an den solidarischen Protest des Vereins „Intag e.V.“ im Saal.
Der Verein hatte mit der Organisation „Rettet den Regenwald“ 61.431 Unterschriften gegen den geplanten Kupferbergbau in der nordecuadorianischen Intag-Region gesammelt. Vor der Veranstaltung wurde die Liste dem ecuadorianischen Minister für Strategische Sektoren, Rafael Poveda Bonilla, in Berlin überreicht. Die Teilnehmer an der Protestaktion erklärten nach der Veranstaltung, sie seien insgesamt zufrieden, „da Intag eine Stimme bekommen hat“.
In der Intag-Region wehren sich die Bewohner seit 18 Jahren gegen die Umsetzung von Bergbauprojekten und haben stattdessen regionale, nachhaltige Alternativen entwickelt: Aufforstung, Agroforstanbau, ökologischer Landbau, Ökotourismus sowie ein Projekt für die regionale Energieversorgung mit kleinen Wasserkraftwerken, dessen Umsetzung die Regierung jedoch auf Eis legte.
Für diese lokal gewachsenen Alternativen hätten sie gern mehr Unterstützung. Stattdessen wird es Kupferbergbau in unmittelbarer Nähe eines der 34 Hot-Spots mit dem weltweit höchsten Artenreichtum geben. Wie passt das zum Recht der Natur? Zum Werben mit der außerordentlichen Artenvielfalt?
Die Natur muss Federn lassen
„Mit Ökotourismus werden wir niemals die Armut überwinden“, antwortet Correa auf diese Frage, „Euch gefällt der Bergbau nicht? Mir auch nicht. Aber wie komme ich hierher? Mit dem Esel oder auf einem Pferd? Oder im Auto?“
Im Intag sei er mit über 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden, das ist mehr als der Landesdurchschnitt.
Eine Minderheit, die das Projekt der Ressourcennutzung seiner „linken Regierung“ in Frage stellt – da bleibt er polemisch –, das sei der „Infantilismus“ einiger weniger, den die Mehrheit womöglich mit Hunger zu bezahlen habe. Minuten zuvor hatte Correa noch großzügig verkündet: Die Rechte der Natur könne jeder einklagen.
Das „Buen Vivir“ als Alternative, die auch mit einem Wertewandel in punkto Entwicklung verbunden ist? Vielleicht kommt es noch, später. Vielleicht ist das aber auch zu viel verlangt von einem Land, in dem 2011 immer noch 28,6 Prozent der Menschen in Armut lebten.