vonChristian Russau 19.11.2013

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

Mehr über diesen Blog

In Brüssel fand am 14. November 2013 im Brüsseler Europaparlament die von EuropaparlamentarierInnen organisierte Konferenz „Belo Monte Mega-Dam: The Amazon up for grabs?” statt. Dort sprachen vom Staudamm Betroffene und VertreterInnen der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft, die seit Jahren mit Klagen und juristischen Eingaben gegen den Staudammbau für auch internationale Furore sorgen, ebenso wie auch ExpertInnen und AktivistInnen zu Worte kamen. Die von den OrganisatorInnen der Konferenz geladenen europäischen Konzerne erteilten einer Teilnahme an der Konferenz – aus verschiedensten Gründen – eine Absage. Auch VertreterInnen des brasilianischen Staudammkonsortiums sowie der brasilianischen Regierung waren Wochen zuvor eingeladen worden, doch lange gab es kaum eine Rückmeldung. Doch dann kam alles anders und es ging auf einmal sehr schnell, wie Latin@rama-Autorin Gaby Küppers berichtet. Wir veröffentlichen hier vorab ihren Text aus der kommenden ila 371 zum Thema Umweltkonflikte.


Sie seien nach ihrer Reise noch besorgter gewesen als vorher, schrieben drei grüne Europaabgeordnete in der zweiten Hälfte Juli in einem Brief, den sie der  brasilianischen Botschafterin Vera Machado in Brüssel überreichten. Zurück von ihrem Besuch des Belo-Monte-Staudammbaus am Amazonaszufluss Xingu (s. ila 369) listeten Catherine Grèze und Eva Joly aus Frankreich, sowie Ulrike Lunacek aus Österreich listeten auf, was sie inakzeptabel fänden: Der künftig weltweit drittgrößte Stromerzeuger aus Wasserkraft verletze die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerung, Lebensraum und Kultur der Indigenen – und letztlich sie selbst – würden zerstört; eine einzigartige Biodiversität verschwände.

Belo Monte erreiche allein technisch nie die angegebenen Jahreskapazitäten, wenn nicht weitere Staudämme gebaut würden, reiße vom Steuerzahler zu begleichende Schuldenlöcher und stelle somit einen Selbstbedienungsladen mit Garantie auf künftige Verträge für die beteiligten Bau- und Betreiberfirmen dar. Gravierend sei für die Abgeordneten auch die Verantwortung(slosigkeit) der europäischen Zulieferer und Versicherer. Eine Konferenz im November im Europaparlament, schlossen die Abgeordneten, solle die unterschiedlichen Beteiligten zusammenbringen und Alternativen diskutieren. Nicht unerwähnt ließen die Abgeordneten ihr Befremden angesichts mehrerer Personen und einem Auto, das bei ihren Besuchen im Staudammgebiet ausgespäht hatte und übergaben Fotos der Spione mit der Bitte um Aufklärung.

Die Botschafterin versprach eine Antwort auf Brief und Ausspionierung sowie die Anwesenheit von Regierungsvertretern bei der Konferenz.

Dann war Sendepause. Selbst eine Woche vor der Konferenz hatte die Regierung keine Antwort auf die Kritikpunkte der Abgeordneten und bedeutete den Organisatorinnen, die brasilianische Regierung habe weder Zeit noch größeres Interesse an der Konferenz.

Auch die angeschriebenen europäischen Firmen sagten eine nach der anderen ab. Iberdrola sei nur indirekt über 4 Prozent Kapital beteiligt, Suez baue lediglich einen Nebenstaudamm, Münchner Re und Allianz seien terminlich am Konferenztag ausgebucht, Andritz habe sich nichts vorzuwerfen, aber man könne sich demnächst treffen. So schrieb’s auch der Alstom-Vertreter, der leider, leider (ach, die Hauspost) die Einladung erst einen Tag vor der Konferenz erhalten hätte. Nur Voith Hydro bekundete Interesse, doch auch diese Firma wollte nur ein späteres Gespräch mit den Abgeordneten.

Dann war plötzlich alles anders. Zwei Tage vor der Konferenz meldete sich die brasilianische Botschaft. Neben der Botschafterin selbst kämen vier Topexperten, handverlesen von der Präsidentin Dilma Rousseff, die die Konferenzteilnahme zur Chefsache erklärt habe. Selbstverständlich müsse das EP als demokratische Institution das Recht gewähren, dass diese Spitzenleute bei der Konferenz am nächsten Tag (!) auf jedem Panel säßen und ihre Sicht der Dinge erklärten.

Was war geschehen? Eine Woche zuvor hatten alle nennenswerten Menschenrechtswebsites und sogar die Staatsanwaltschaft in Belém die Nachricht von der Konferenz verbreitet, einschließlich Webadresse zum Live-Mitschauen (hier der Mitschnitt). Flächenbrand drohte, den die Regierung Dilma Rousseff panisch austreten wollte. Zu Hause seit Juni reichlich in die Enge gedrängt von Massendemonstrationen, fürchtet sie eine neue Front im Ausland.

2014 werden die Fußballweltmeisterschaften in brasilianischen Superstadien ausgetragen. 2014 werden auch die ersten Großturbinen nach Belo Monte geliefert. Ein weiteres leuchtendes Beispiel für pharaonische Projekte, wo Schulen und Krankenhäuser fehlen, könnte Dilma die Wiederwahl ganz schön verhageln.

Die übrigen Konferenzteilnehmerinnen freuten sich überaus über diese Kehrtwendung. „Das Energieministerium, das halbstaatliche Energiekonsortium Norte Energia und das Energieforschungsinstitut haben erst mit uns geredet, als die Lizenz erteilt und nichts mehr zu machen war“, sagte Francisco del Moral Fernández, Leiter eines akademischen Expertenpanels, das den Bau kritisiert hatte.

Antonia Melo, emblematische Figur des Widerstands und Vorsitzende der AktivistInnengruppe „Xingu Vivo“ zeigte Bilder von Konsultationsversammlungen mit AnwohnerInnen – mit leeren Stühlen für die Regierungsvertreter. „Mit den Betroffenen reden sie nie!“

„Auf der Kommunikationsebene haben wir inzwischen gewonnen“, meinte Felicio Pontes, Staatsanwalt in Belo Monte. „Alle BrasilianerInnen wissen heute dank Internetkommunikation, dass der Staudammbau illegal ist, unnötig und im Hinblick auf die Umwelt katastrophal. Aber dann resignieren sie: die Interessen dahinter seien einfach zu mächtig“. Pontes sieht das Projekt als Einfallstor für 153 weitere Staudämme in der gesamten Amazonasregion.

Auf der Konferenz wurden alle Argumente nochmals ausgebreitet und diskutiert. Aber die Fronten blieben verhärtet. Der Leiter des Energieforschungsinstituts des Energieministeriums Maurício Tolmasquim behauptete, er habe noch nie so viele Falschinformationen in so kurzer Zeit gehört. Antonia Melo beschimpfte er direkt als vom Ausland finanzierte Verbreiterin der Mär, in Altamira seien die Leute gegen den Staudamm. Da könne er ganz anders redende EinwohnerInnen einfliegen!

João Pimentel, Leiter der Abteilung Umwelt und Soziales von Norte Energia, nannte die Rede des chilenischen Soziologen Alfredo Pena-Vega arrogant und eurozentrisch. Belo Monte dagegen sei „100 Prozent national“. Am Ende meinte die brasilianische Botschafterin, sie sei nicht sicher, ob es richtig war und sie froh sein solle, hergekommen und gewisse Beträge angehört zu haben.

Das ist das Problem. Die Regierung hat auch im Monat fünf nach den ersten Massendemonstrationen für mehr demokratische Beteiligung und Umverteilung von Bahia bis Porto Alegre die Taktik des „Augen zu und durch“ nicht wirklich revidiert. Für Belo Monte heißt das momentan, vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor die Legalität des Projekts endgültig geklärt ist. Für das Wahljahr 2014 könnte die Vogel-Strauß-Attitüde allerdings auch noch andere Tatsachen vollenden.

Gaby Küppers

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/das-einfallstor/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • @Udo,

    deine Kommentare legen den Schluss zwingend nahe, dass du ein bezahlter Kommentator bist. Das liegt für mich klar auf der Hand.
    Eine Verwarnung, für diejenigen, die das merken ist lächerlich.

  • @Udo
    Verwarnung hiermit ausgesprochen, löschen tun wir in diesem Fall nicht, denn sonst versteht das ja keiner. Gruß GD

  • Lieber Reinhold,
    ich kommentiere hier, weil es meine persoenliche Ueberzeugung ist. Die Redaktion bitte ich, den unverschaemten und beleidigenden Beitrag von Reinhold zu loeschen und den Autor zu verwarnen. Frechheit sowas.

  • @Udo
    was du da von Dir gibst ist mehr als zynisch und schlichtweg eine Lüge. Einzigartige Naturräume werden zerstört, indigene Völker verlieren für immer ihr Land, es wird manipuliert und bestochen, es werden Gesetze aller Art gebrochen – es zeigt sich ein entfesselter Kapitalismus der nur an den Rohstoffen und an der Maximierung des Gewinns interessiert ist und eine Spur der Verwüstung nach sich zieht … wie kannst du einen solchen Kommentar hier reinstellen? Von wem wirst du dafür bezahlt?

  • Lieber Markus,
    Kultur und Lebensraum der Bewohner im Bereich des Belo-Monto-Projektes sind in keiner Weise bedroht, und Wasser wird es mehr geben als vorher. Es gibt auch keinen Grund, auf Indigene zu schiessen, denn diese sind zu 99% zufrieden mit den getroffenen Vereinbarungen. Und eine moegliche Umweltgefaehrdung durch Goldminen hat mit diesem Projekt gar nichts zu tun. Es handelt sich hier um eine Bereicherung der Oekosysteme in der Region durch den entstehenden Stausee, von Zerstoerung kann gar keine Rede sein.

  • @Udo was du da von dir gibst ist leider wenig recherchiert. Dort kämpfen Völker um das Weiterbestehen von deren Kultur und Lebensraum, und um deren Wasser. Du kannst dich gerne über das thema ökozid – zerstörung unserer heimat informieren. Belo monte ist ein verbrechen gegen die menschlichkeit – ende der diskussion. Google einmal alberta tarsande, ölverschmutzung im niger delta, rosia montana, wo sie ein komplettes tal mit hochgiftigen chemikalien füllen wollen, um berge abzugraben und gold zu gewin e . Diese zerstörungen sind nichtmejr menschlich bzw vernichten auf lange sicht wichtige lebensräume und ökosysteme. Und glaube mir: belo monte wird auf indigene scheissen, denn die schiessen jetzt schon auf alle, die ihnen im weg stehen. Belo monte industriestrom für weitere schlimmere vorhaben im amazonas. http://www.endecocide.eu

  • Liebe Lisa,
    es entsteht dort ein riesiger Stausee, der mehr Fisch liefern wird als die Bewohner jemals konsumieren koennen. Aber sie koennen den Ueberschuss an die sicherlich zahlreich erscheinenden Touristen verkaufen. Also eine win-win-Situation fuer die dortigen Ureinwohner.
    Und ueber den Lebensraum fuer Mensch und Tier braucht man sich auch keine Gedanken zu machen, es gibt in der Región mehr Platz als genug fuer alle.

  • Udo du versteht wohl nicht ganz um was es geht oder?
    die Indos verlieren ihren lebensraum und die möglichkeit sich zu ernähren, da sie großteils fisch essen, und dieser durch den staudamm ausgerottet wird.
    dies ist eine große verletzung der menschenrechte und dann denk mal drüber nach wie du dich an der stelle der Indos fühlen würdest..
    und dann überleg doch mal ob man sich doch wirklich gegen die “randalierer” durchsetzten sollte!
    weiters werden riesige flächen des regenwaldes abgeholtst und tausende tiere verlieren ihren lebensraum.. Viele dort lebende menschen verlieren ihren grund um ihr essen anzubauen..
    sie sollen entschädigung erhalten.. doch was haben denn indos von geld?
    das ist ein urstamm.. sie wollen doch nur in ruhe gelassen werden..

  • M.E. ist Wasserkraft eine der zuverlässigsten und saubersten erneuerbaren Energien, die es gibt. Wer die Möglichkeit dazu hat, so wie Brasilien, sollte dies nutzen. Die Schweiz hat Glück, kann sie doch über 50% der heimischen Energieerzeugung aus Staudämmen gewinnen. Brasilien hatte schon mit Itaipu das lange Zeit grösste Kraftwerk der Welt, sonst hätte es den enormem Wirtschaftswachstum gar nicht realisieren kônnen.
    Man kann berechtigte Zweifel daran haben, ob soviel Wirtschaftswachstum überhaupt wünschenswert ist oder gebraucht wird, aber wenn schon, dann auf jeden Fall lieber mit Wasserkraft als mit Kernkraft.

  • Das Dumme ist nur, dass Krankenhäuser und Schulen genau den Strom, der mit der Belo Monte-Anlage erzeugt werden soll, überhaupt nicht bekommen würden. Der hier gewonnene Strom soll energieintensiver Industrie (in der Hauptsache Aluminiumverhüttung – hierzulande bei uns unter den von der EEG-Umlage befreiten Industrien) zugute kommen. Natürlich setzt die brasilianische Regierung auf das “grüne” Image dieses Mammutprojekts, wobei aber das wahre Grün (riesige Regenwaldflächen) dabei hops geht… und damit (weil Lebensgrundlage) ein großer Teil der indigenen Bevölkerung gleich mit. Öközid und Genozid als Fundament eines “großartigen Projekts”… wenn der Protest dagegen “fortschrittsfeindlich” sein soll, dann bin ich gern auf der Seite der sogenannten “Randalierer”.

  • Ich finde die Argumente gegen dieses grossartige Projekt nicht plausibel und nicht stichhaltig. Und Krankenhaeuser und Schulen koennen ohne Strom nicht funktionieren. Die Regierung sollte sich gegen die fortschrittsfeindlichen Randalierer mit Entschiedenheit durchsetzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert