vonPeter Strack 06.05.2024

Latin@rama

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Er wolle nicht China als einen bösen Widerpart anklagen, der sich an den bolivianischen Ressourcen bereichert, sagt der Politikwissenschaftler Juan Pablo Neri Pereyra. Er stelle in seiner Studie vielmehr strukturelle Probleme einer abhängigen Gesellschaft wie Bolivien in einem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem dar. Eine Rezension.*

Chinesisches Neujahrsfest in La Paz, Foto: P.Strack

Die Strategie der aufsteigenden Weltmacht China unterscheide sich von denen der auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten multinationaler Konzerne des Westens und der interventionistischen Praxis der USA durch Geduld. Das Handeln des asiatischen Giganten sei langfristig auf die Interessen des Reichs der Mitte orientiert. Und es beziehe seine Dynamik aus der engen Verflechtung von Staat und kapitalistischen Unternehmen. Dagegen habe der Neoliberalismus diese Verbindung und damit die westlichen Staaten geschwächt. Die bolivianische Regierung setze dem chinesischen Pragmatismus jedoch ein „idealistisches“ Lagerdenken entgegen. Dies sehe Bolivien weltpolitisch an der Seite Chinas und schade anderen erklärten Zielen der eigenen Politik wie der Industrialisierung sowie der eigenen Souveränität und Entwicklung.

Drachen in Wartestellung, Ausschnitt Buchtitel

Diese These entwickelt Neri nach einer Zusammenfassung der historischen Entwicklung von China und seinen Außenbeziehungen an drei Bereichen: Den Krediten, dem Außenhandel und den Aktivitäten chinesischer Konzerne in Bolivien. Obwohl Bolivien über 40% der Lithiumvorkommen weltweit verfügt, ist es schon aufgrund seiner Binnenlage und geringer Bevölkerungszahl kein potentiell wichtiger Partner. Weder als Absatzmarkt für chinesische Waren wie Brasilien, noch als Rohstofflieferant wie Venezuela mit seinem Erdöl. Oder wie Argentinien und Chile, das neben Lithium z.B. auch Kupfer fördert. Die geringe Bedeutung Boliviens für China ist laut Neri auch ein Grund, warum es erst zum Ende der ersten Amtszeit von Evo Morales zu einer stärkeren Annäherung der beiden Länder kam.

Bolivianischer Tinku-Tanz vor der Ehrentribüne beim chinesischen Neujahrsfest in La Paz, Foto: P.Strack

Kredite gehen vor allem in den Rohstoffsektor und Straßenbau

Venezuela erhielt von China allein zwischen 2008 und 2011 Kredite im Wert von etwa 20 Milliarden US-Dollar, die mit Erdöllieferungen zurückgezahlt werden sollten. Dagegen sind die Auslandsschulden gegenüber China mit einem akkumulierten Saldo von 1,4 Milliarden und einem Anteil von 12% der Gesamten Auslandsschulden im Jahr 2023 immer noch relativ gering. Bei den bilateralen Schulden ist der Anteil Chinas seit dem Jahr 2011, als China an die Stelle von Venezuela als Kreditgeber trat, jedoch von damals knapp 20% auf über 70% im Jahr 2022 angestiegen. Der Löwenanteil der Kredite ging in den Straßenbau, wobei die Aufträge zumeist wieder an chinesische Konzerne vergeben wurden. Die nahmen größtenteils wieder bolivianische Firmen für die Ausführung unter Vertrag.

Bolivianische Subunternehmen übernehmen häufig die Arbeiten, Foto: P.Strack

So wie bei der bautechnisch herausfordernden und 72 Millionen US-Dollar teuren 29 Kilometer langen Strecke am Berghang des Sillar zwischen Cochabamba und der Koka-Anbauregion Chapare. Zwei Wochen nach der feierlichen Einweihung der Straße im November letzten Jahres traten schon die ersten Schäden auf. Solche Probleme seien bei der Mehrzahl der Projekte der Fall, sagt Neri.

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Doch das liege nicht an China als Geldgeber, sondern sei ein generelles Problem. Ein anderer großer Kredit, dessen Gelder wieder in chinesischen Händen landeten, waren die 251 Millionen US-Dollar für die Anschaffung des Telekommunikations-Satelliten Tupak Katari. Der wird sich voraussichtlich durch den Verkauf von Übertragungsdiensten refinanzieren. Ob dies auch beim Bau der 396.000 US Dollar teuren Stahlfabrik in Mutún der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Sie ist noch nicht fertiggestellt und es ist unklar, ob künftig genügend Gas als Energieträger für einen Vollbetrieb zur Verfügung stehen wird.

Chinesische Firmen als Auftragnehmer des bolivianischen Staats

Von der Weltbank bezahlt, Bauhof der chinesischen CSCEC an der Überlandstrasse von San José nach San Ignacio, Foto: Jorge M. Ferrufino

Mehr als von eigenen Krediten haben chinesische Unternehmen jedoch von Aufträgen profitiert, die von multilateralen Gebern wie der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert wurden. Multilaterale Geber und der bolivianische Staat finanzieren zusammen 70% der Kosten der von chinesischen Firmen in Bolivien umgesetzten Maßnahmen. Auffällig ist für Neri, dass chinesische Unternehmen Vorzugskonditionen bekommen. Auch seien die gesetzlichen Regeln für öffentliche Auftragsvergabe durch ein Dekret im Jahr 2015 teilweise außer Kraft gesetzt worden. Bei Ausschreibungen beteiligten sich manchmal nur chinesische Staatsfirmen, die teilweise noch untereinander wirtschaftlich verflochten seien. Dass bei all dem nicht nur das Lagerdenken, sondern auch Korruption im Spiel ist, erwähnt Neri Pereyra, führt es aber nicht weiter aus. Es würde eine eigene Untersuchung erfordern, so der Politikwissenschaftler und Sozialanthropologe.

Vorstellung des Buches in der Stiftung Solón mit dem Herausgeber Pablo Solón, Alejandro Zárate von der Katholischen Universität La Paz, dem Autoren Juan Pablo Neri und Daniel Agramont Lechín von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Foto: Facebook Plural Editores

Erinnert jedoch sei an die Firma CAMC. Vor allem weil der chinesische Konzern trotz fehlender einschlägiger Erfahrung eine Ex-Freundin von Präsident Evo Morales als Vertreterin unter Vertrag genommen hatte. Vor ihrer Inhaftierung ging die junge Frau im Präsidialministerium ein und aus. Eine Reihe der von ihr vermittelten Projekte scheiterten, wie der geplante Bau einer Eisenbahn von der Düngemittelfabrik in Bulo Bulo nach Santa Cruz oder die Anschaffung nicht funktionsfähiger Bohreinrichtungen für die Erdgas-Erkundung.

Törichter Kondor?

Erst 2023 ist der Anteil Chinas an den bolivianischen Auslandsschulden wieder leicht gesunken. Neri vermutet, dass das mit der gesunkenen Kreditwürdigkeit Boliviens, aber auch einem Strategiewechsel Chinas hin zu mehr Direktinvestitionen zusammenhängen mag. Ob die angekündigten Investitionen in Höhe von über einer Milliarde US-Dollar vor allem beim Lithium jedoch Wirklichkeit werden, oder ob sich China hier eher die Option auf eine Rohstoffreserve offen hält, muss sich noch zeigen (Näheres hierzu in dem Beitrag “Lithium in Bolivien” in der Mai-Ausgabe der ila-Zeitschrift “Energiewende für wen?”). Die Verträge werden von der Regierung immer noch geheim gehalten. Ein Vorgehen, dass die regierende MAS bei den „neoliberalen“ Vorgängerregierungen immer kritisiert hatte.

Handelsbilanz in US-Dollar 2003 bis 2022. Obere Linie Importe aus China, Mittlere Linie Exporte Boliviens nach China, untere Linie Defizit, Quelle: Fundación Solón, El cóndor necio

Boliviens Handelsbilanzdefizit gegenüber China

Das Ideal komplementärer wirtschaftlicher Beziehungen, das China betone, werde auch in den Handelsbeziehungen nicht erfüllt, sagt Neri, der zur Erklärung auch auf die überholt geglaubte aber offensichtlich hochaktuelle Dependenztheorie zurückgreift. Nur die Abhängigkeiten haben sich geändert: Im Jahr 2017 exportierte Bolivien vor allem Rohstoffe im Wert von circa 400 Millionen US-Dollar an den asiatischen Giganten, während es gleichzeitig Waren im Wert von über 2 Milliarden US-Dollar aus China importiert hat. Dabei ist der bolivianische Staat selbst der wichtigste Kunde. In den letzten zehn Jahren hat sich das Handelsbilanzdefizit sogar noch weiter vergrößert.

Juan Pablo Neri Pereyra, Foto: Privat

Juan Pablo Neri belässt es aber nicht bei der Analyse makroökonomischer Daten. Er wertet auch die Berichterstattung über wichtige Kredite, sowie Projekte und Aktivitäten chinesischer Konzerne in Bolivien im Detail aus. 2018 nennt der chinesische Botschafter die Zahl von 60 chinesischen Firmen, die in Bolivien mit einem Auftragsvolumen von etwa sieben Milliarden US Dollar tätig seien. Doch auch jenseits der offiziell registrierten Kooperationen, sehen sich Einzelpersonen oder Betriebe nach neuen Betätigungsfeldern um. Das Volumen chinesischer Direktinvestitionen sei im Vergleich mit Ländern wie Spanien, Peru oder Schweden jedoch nicht signifikant, schreibt Neri.

Die Bergbaubehörde kommt ihrer Kontrollfunktion nicht ausreichend nach; jüngst wurden sogar noch unangemeldete Vor-Ort-Prüfungen aus dem Instrumentarium gestrichen, Foto: P.Strack

Das kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass nicht alle Aktivitäten legal sind. Dies ist vor allem in der Goldgewinnung der Fall, wo die bolivianische Regierung praktisch auf staatliche Regulierung und Einnahmen verzichtet, obwohl Gold das derzeit wichtigste Exportprodukt ist. Das führt zu Umweltschäden und der Gefährdung der Gesundheit der dort lebenden indigenen Gemeinden vor allem durch die Verwendung von Quecksilber. Besonders problematisch ist die verbotene Assoziierung von Privatfirmen mit sogenannten Kooperativen, die zwar wie andere kapitalistische Betriebe mit angestelltem Personal arbeiten, aber trotzdem steuerbefreit sind. (Siehe diese spanischsprachige Reportage über chinesische Unternehmen bei der Goldausbeutung in der Tageszeitung El Deber).

Aber auch bei den legalen Investitionen kam es immer wieder zu Beschwerden über Umweltschäden, obwohl auch die chinesischen Finanzinstitutionen über Umweltstandards und Mechanismen verfügen. Diese seien jedoch in den von ihm erwähnten Fällen nicht angewendet worden, sagt Neri.

Arbeitsrechte werden häufig verletzt

Immer wieder wird auch von Arbeitskonflikten berichtet, weil weder die chinesischen noch die bolivianischen Gesetze befolgt wurden, wie Neri aufführt: Unbezahlte Überstunden, verzögerte Lohnzahlungen, schlechte Wohnbedingungen in den Bauhütten, psychische oder gar physische Misshandlung, Arbeitsverhältnisse ohne Anstellungsvertrag oder Sozialversicherung, Entlassung bei Beschwerden…. Erschwerend kommt hinzu, dass wie erwähnt zumeist auch bolivianische Sub-Unternehmen beauftragt werden und sich letztlich niemand verantwortlich fühlt, bzw. niemand von den zuständigen Behörden verantwortlich gemacht wird. (Siehe hierzu den früheren Beitrag in Latinorama über ein Straßenbauprojekt in der Chiquitania)

“Wir fordern, dass die Chinesen 100% auszahlen”. Protestaktion von Beschäftigten eines Straßenbauprojekts in der Chiquitanía, Foto: Privat

 

Schlimmer noch: Im Oktober 2016 bezeichnete Präsident Evo Morales diejenigen Bolivianer, die gegen chinesische Firmen protestierten, als „Neoliberale“, die zum Kapitalismus zurückkehren wollten. Merkwürdig: Denn die Proteste richteten sich gegen typisch kapitalistische Phänomene, die von der Regierung entgegen der eigenen linken Ideologie unter den Tisch gekehrt wurden. Auch wenn das chinesische Unternehmen Sinohydro damals betonte, dass die Arbeitsbedingungen bei ihnen besser seien, als bei bolivianischen Firmen, zeigt sich in den meisten Fällen die fehlende Fähigkeit oder Bereitschaft der bolivianischen Behörden, den Gesetzen Geltung zu verschaffen. Neri weist wiederum zu Recht darauf hin, dass Verletzung von Arbeitsgesetzen oder Umweltzerstörung kein Privileg chinesischer Unternehmen sind. Und so wie der Rezensent von dem Ingenieur eines chinesischen Bauvorhabens erzählt bekam, dass dort auch illegal ins Land gebrachte Zwangsarbeiter tätig seien, so kennt er auch den bolivianischen Angestellten eines chinesischen Betriebes, der mit seinem Arbeitgeber und den Arbeitsbedingungen hochzufrieden ist. Das bekräftigt das Anliegen von Juan Pablo Neri Pereyra, die strukturellen Faktoren in den Blick zu nehmen.

Im Schlusskapitel empfiehlt Neri der bolivianischen Außenwirtschaftspolitik in der aufkommenden multipolaren Welt Abstand vom Block- oder Lagerdenken zu nehmen. Denn das habe aufgrund der unterschiedlichen Positionen der lateinamerikanischen Regierungen auch die regionale Integration und Interessenvertretung erschwert. Damit sei die Abhängigkeit von den Weltmächten noch vertieft worden.

* Die 292-seitige Studie „El cóndor necio y el dragón al acecho“ von Juan Pablo Neri Pereyra wurde 2023 von der Stiftung Fundación Solón im Verlag „Plural Editores“ in La Paz herausgegeben.

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