Auf den Demonstrationen in Lateinamerika war neben den indignad@s , den „Empörten“ aus Spanien, der chilenische Frühling der wichtigste Bezugspunkt.
Fotos: Der 15.10.11 in Porto Alegre
Chile ist auf dem Subkontinent derzeit die Hochburg systemkritischer Proteste.
Gestern gingen wieder Zehntausende auf die Straße. In Santiago zogen über 30.000 vom Hauptgebäude der staatlichen Universität von Chile, das seit vier Monaten besetzt ist, in einem bunten Festzug über die Prachtallee Alameda zum O’Higgins-Park.
„Echte Demokratie jetzt!“
Neben SchülerInnen und Studierenden waren viele Familien und auch RentnerInnen unterwegs. „Wir sind Opfer eines gewalttätigen und unmenschlichen Wirtsschaftssystems“, sagte die Lehrerin Edelmira Pacheco.
„Wir wollen 10 Prozent des BIP für öffentliche Bildung“
Thematische Schwerpunkte setzten die Demonstranten an mehreren „Stationen“: Dort inszenierten sie ihre Forderungen nach einem guten und kostenlosen Bildungs- und Gesundheitssystem, nach neuen Umweltgesetzen oder nach der Abschaffung der Verfassung aus der Pinochet-Diktatur.
Auch dem Finanzsystem, den Banken und großen Supermarktketten widmeten sie eine kurze Kundgebung.
Schwerpunkt der Protestierer war, wie schon seit fünf Monaten, die Bildungsfrage. Immer lauter werden die Rufe nach einer verbindlichen Volksabstimmung über das Bildungswesen – an der jüngsten, von der Bewegung organisierten Abstimmung beteiligten sich 1,4 Millionen, 91 Prozent votierten für strukturelle Reformen.
„Ein gebildetes Volk wird nie getäuscht“
Giorgio Jackson von der Katholischen Universität und Camila Vallejo, Chiles prominenteste Studentensprecher, traten auf der Kundgebung in Paris auf. „Wir sind empört darüber, wie uns Präsident Piñera und das System den Rücken zukehren“, sagte Jackson. „Sie leben in ihrem Elfenbeinturm, doch so sehr es sie schmerzt: Das Volk sind wir“.
„Wir wachen gerade auf“
„Jahrelang waren wir ein Versuchslabor des wilden Neoliberalismus, dabei wurden allermindesten sozialen Rechte beiseitegelassen“, berichtete Jackson, „heute ist Chile ein Land, in dem die Ungleichheit vorherrscht“.
„Die Trauer ist vorbei, das Volk ist endlich aufgewacht“
Für Dienstag und Mittwoch hat die Bildungsbewegung zusammen mit den Gewerkschaften zu einem Generalstreik aufgerufen.
Vieles hat in Chile über die letzten 30 Jahre funktioniert. Man darf angesichts der aktuellen Proteste nicht vergessen, dass 80% der Chilenen heute 12 Jahre die Schule besuchen, dass Chile das Land mit den besten Verbesserungsraten in den PISA Tests ist und dass es dank großzügiger Hausbau-Subventionen eigentlich kaum noch Slums gibt. Sicher MUSS DRINGEND sozial nachgebessert werden. Das Land könnte sich das auch leisten. Leider wirken die Traditionen der extrem senioralen Gesellschaft nach. Auch gehören problematische Erbschaften aus der Diktatur wie die binomalidad abgeschafft, die niedrigen Strafen für Unternehmen wegen den gewohnheitsmässigen Verstössen gegen Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte dramatisch erhöht.
Aber eigentlich sind das Proteste einer Gesellschaft die spürt, dass sich ein stärkerer Ausbau des Sozialsystems locker finanzier ließe, wenn man nur die Reichen so besteuert wie es zu einem Land, das vermutlich in 6 Jahren ein BIP/Einwohner von 20.000 Dollar Kaufkraftparität erwirtschaftet.