Von Andreas Behn
Stefan Zweig war entschlossen: „Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: Diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben.“ Kurz darauf nahm sich der österreichische Schriftsteller zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Charlotte Altmann das Leben. Es war das Jahr 1942, in Europa tobte der Krieg.
Seine damaliges Haus in Petrópolis, rund 80 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, ist seit ein paar Wochen ein Kulturzentrum. „Das Stefan-Zweig-Haus ist zugleich ein Museum, ein Platz für Ausstellungen und ein Ort, an dem sich Künstler treffen und Kunst gelehrt wird,“ sagt Zweig-Biograf Alberto Dines. „Es ist ein ganz winziges Häuschen, aber mit großer gedeckter Terrasse und wunderbarem Blick“, schrieb Zweig in einem Brief.
Dines ergriff bereits vor acht Jahren die Initiative, dem Dichter auch in Brasilien, wo er seit 1940 lebte, ein Denkmal zu setzen. „Öffentliche Unterstützung gab es anfangs kaum. So ist es einer kleinen Gruppe Verrückter, allesamt Bewunderer von Stefan und seiner Frau Lotte, zu verdanken, dass diese Gedenkstätte entstehen konnte,“ erinnert sich Dines.
Eine Kopie des Abschiedsbriefes ist in dem Zimmer ausgestellt, in dem eine Hausangestellte das leblose Paar am 23. Februar 1942 vorfand. Gerade war gemeldet worden, dass die Deutsche Wehrmacht zwei brasilianische Kriegsschiffe versenkt hatte. Der überzeugte Pazifist verlor immer mehr seinen Lebensmut. Nicht einmal das lebensfrohe Brasilien konnte Zweig aus seiner Depression reißen.
„Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet“, schrieb Zweig vor seinem Tod. „Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft.“
Zweigs Nichte Eva Alberman (Fotos: Friederike Strack)
Schon 1939 war der Schriftsteller vor den Nationalsozialisten nach England geflohen, später über New York nach Südamerika. Als intellektueller Streiter für ein geeintes Europa und Sohn einer jüdischen Familie blieb ihm nicht anderes übrig, als sich unfreiwillig einem Neuanfang zu stellen. Auch Zweigs vielleicht bekanntestes Werk, die „Schachnovelle“, handelt von den Abgründen, die von totalitären Regimen Verfolgte durchmachen.
„Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus“, beendete Zweig seinen Abschiedsbrief. Freunde und Bekannte waren fassungslos, als sich die Nachricht von Zweigs Freitod in Windeseile verbreitete. Die stets offene Tür seine Hauses war von der Polizei versiegelt worden. Manche brachten der radikalen Entscheidung des Ehepaars wenig Verständnis entgegen, andere bewunderten ihre Konsequenz.
Schon damals versuchte ein Freundeskreis, in Petrópolis eine Gedenkstätte für Stefan Zweig einzurichten. Doch die politischen Verhältnisse in Brasilien – nur widerwillig erklärte die nationalistische Regierung dem Dritten Reich 1942 den Krieg – brachten die Initiative Mal ums Mal zum Scheitern.
Heute erinnern sich in Brasilien nicht viele an Stefan Zweig. Nur wenige Menschen wissen, dass der viel zitierte Satz „Brasilien, ein Land der Zukunft“ auf den Titel eines seiner Bücher zurückgeht. Und kaum ein Taxi-Fahrer kennt die Straße, die in einem edlen Viertel Rio de Janeiros nach ihm benannt ist.
Diese Erinnerungslücke will die Casa Stefan Zweig schließen. Zur Eröffnung am 28. Juli fanden sich neben Künstlern, Wissenschaftlern und Literaturfreunden auch Diplomaten aus Deutschland, Österreich und Slowenien sowie Vertreter brasilianischer Kulturbehörden ein. Im Oktober soll die erste große Ausstellung über das Werk des Schriftstellers gezeigt werden. Auch über weitere Exilanten, die in Brasilien eine Heimat fanden, informiert das Museum.
Schon bald werden in Stefan-Zweig-Haus Deutsch-Kurse angeboten, Literatur-Workshops und Veranstaltungen sind in Vorbereitung. Derzeit sind mehrsprachige Kurzfilme über Zweigs Exilzeit in Brasilien die wichtigsten Ausstellungsstücke. Von Zweigs Lieblingsplatz, der großzügigen Terrasse, blicken die Besucher über die Berglandschaft von Petrópolis, die auch heute noch an ein deutsches Mittelgebirge erinnert.