vonPeter Strack 22.05.2025

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Die politischen Fronten in Bolivien haben sich nach Ablauf der Einschreibefristen für die Kandidatinnen und Kandidaten der für August geplanten nationalen Wahlen etwas geklärt. Doch die Androhung von eskalierenden Protesten, eine Reihe von Gerichtsverfahren sowie die nun anstehende Prüfung der Unterlagen durch die Wahlbehörde können noch für Überraschungen sorgen. Klar scheint allein, dass weder auf Seiten der Regierungspartei noch in der Opposition trotz gebetsmühlenartiger anderslautender Bekenntnisse Einheit erzielt werden konnte.

Nachdem die Bewegung zum Sozialismus MAS zunächst den aktuellen Präsidenten Luis Arce Catacora für eine neue Amtsperiode proklamiert hatte, wurde am Ende der Innenminister Eduardo del Castillo bei der Wahlbehörde als Kandidat eingeschrieben. Ob es nur ein zeitlicher Zufall ist, dass die US-Behörden ausgerechnet jetzt 2 Millionen US-Dollar Prämien für Hinweise auf den uruguayischen Drogenhändler Sebastián Marset anbieten? Der hatte jahrelang unter dem Schutz bolivianischer Stellen in Santa Cruz gelebt und in einem TV-Interview den Decknamen „Sonia“ für den seit der Kandidatur zurückgetretenen Innenminister ins Spiel gebracht. Del Castillo entgegnete seinerzeit, Marsét sei ein Krimineller, dem man keinen Glauben schenken brauche. Noch-Präsident Arce, der Universitätsdozent, der seit Jahren dringende wirtschaftspolitische Entscheidungen aufschiebt, kandidiert nun als Senator für das Departement La Paz. Mit der parlamentarischen Immunität wolle er sich einem drohenden Korruptionsverfahren entziehen, unken selbst Mitglieder der eigenen Partei. Doch die Chancen, gewählt zu werden, sind gering. Zu häufig erscheinen in der Presse Nachrichten von fragwürdigen millionenschweren Geschäften seiner Söhne. Zu sehr hat das Ansehen der Regierung gerade in Wirtschaftsfragen gelitten und zu schwer wiegen die Versäumnisse wie bei dem historisch höchsten Ausmass der Zerstörung der Tropenwälder im abgelaufenen Jahr.

Kilometerlange Schlangen von Lastwagen an den Randstreifen der Straßen vor den Tankstellen behindern nicht nur den Verkehr, sondern bedeuten auch wirtschaftliche Verluste, Foto: Peter Strack
Lange ist es her: Präsident Luis Arce als Pilot Boliviens mit der „niedrigsten Inflationsrate der Region“; inzwischen liegt Bolivien im unteren Mittelfeld. Die Werbeplakate stehen aber immer noch, Foto: P. Strack

Entgegen der seit über einem Jahr wiederholten Versprechen, die Versorgung mit Treibstoff sicher zu stellen, gibt es immer wieder kilometerlange Schlangen vor den Tankstellen. Das manchmal tagelange Warten ist auch eine Vergeudung von Arbeitszeit in einem Land, das einen Aufschwung wirtschaftlicher Aktivitäten dringend benötigen würde. Für viele ist es inzwischen Alltag und der Protest ist Resignation gewichen. In den Schlangen entstehen neue Bekanntschaften. Whatsappgruppen informieren sich untereinander, wo es gerade Benzin gibt und man feiert es als Erfolg, wenn man nur zwei oder drei Stunden Schlange stehen musste.

Der Direktor einer privaten sozialen Organisation muss sich sogar Urlaub nehmen, um sein Fahrzeug mit der genehmigten Höchstmenge an Benzin zumindest fast voll tanken zu können. In Santa Cruz und El Alto arbeiten wegen fehlendem Treibstoff nur etwa die Hälfte der Fahrzeuge des öffentlichen Personennahverkehrs. Das führt zu Gedränge in den Bussen, die im Betrieb sind, und zu verlängerten Wartezeiten, um einen Platz zu bekommen. Um einfaches Speiseöl im Wohnviertel zu bekommen, muss man bisweilen mehrere Läden abklappern, bis man einen Liter ergattert. Der kostet dann aber 70% mehr als der staatlich festgelegten Preis.

Die Regierung spricht von Spekulation. Und die Forderung nach der Bewilligung neuer Kredite scheint die wichtigste Maßnahme, die Präsident Arce zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme einfällt, während die bolivianische Währung sich im Sinkflug befindet. Statt der offiziell knapp 7 Bolivianos für einen Dollar müssen zum Beispiel Importeure derzeit bis zu 20 Bolivianos auf dem Schwarzmarkt für einen der grünen Scheine hergeben. Bei den Kryptowährungen, die inzwischen selbst von staatlichen Stellen genutzt werden, sieht es nicht viel besser aus.

Während viele ehemalige Minister sich im Amt bereichert haben, lebt die erste Justizministerin unter Evo Morales, Casimira Rodriguez, mit einer bescheidenen Rente, die ihr die Begleichung der Strom- und Wasserrechnungen ermöglicht, vom eigenen und gemeinschaftlichen Kräuter-, Obst- und Gemüseanbau und den Einnahmen ihres kleinen Ladens. Aus der Politik hat sie sich zurückgezogen, Foto: P. Strack

Wirtschaftlicher Pragmatismus an der Basis

Sie werde im August Evo Morales wählen, sagt eine Hausangestellte aus Cochabamba ganz pragmatisch. Der werde nämlich dafür Sorgen, dass die Drogen-Dollar wieder in die Wirtschaft gepumpt würden. Auch andere Gesprächspartner gehen davon aus, dass Morales und sein Umfeld derzeit dafür sorgen, dass die Devisen aus dem Drogenhandel gehortet werden. So solle Druck auf die Regierung ausgeübt werden. Hinzu kommt die Androhung der Eskalation von Protestaktionen. Ein Marsch nach La Paz vor wenigen Tagen mit dem Ziel, die Einschreibung von Evo Morales als Präsidentschaftskandidaten zu erzwingen (siehe Titelfoto), lief allerdings vorläufig ins Leere. Der Registrierung steht nicht nur das rechtlich fragwürdige Verfassungsgerichtsurteil im Wege, das eine erneute Kandidatur von Morales untersagt.

Am Rande einer Demonstration in Cochabamba werden Utensilien mit dem Konterfei von Evo Morales und den neuen Parteifarben verkauft, Foto: P. Strack

Derzeit ist er zwar Anführer der Bewegung „Evo Pueblo“, doch dies ist noch keine eingeschriebene Partei. Und die FPV (Front für den Sieg), unter deren Namen er antreten wollte, wurde bislang nicht zugelassen, weil sie bei den letzten Wahlen zu wenig Stimmen bekommen hatte. „Evo Pueblo“ soll die Abkürzung für „Wir beginnen erneut, dem Volk zu gehorchen“ sein. Der Name klingt aber doch sehr nach dem Titel seiner wöchentlichen Radiosendung „Evo es Pueblo“ („Evo ist das Volk“). Dem Volk zu gehorchen hieße in diesem Fall, Evo Morales zu gehorchen. Selbst in seiner Hochburg, in den Tropen von Cochabamba, sind viele inzwischen aber unzufrieden mit dem autoritären Personenkult, wie eine Kokabäuerin jüngst berichtete. Nur die angedrohten Geldstrafen für diejenigen, die sich etwa weigern, für Morales zu demonstrieren, oder die Drohung ihr Koka-Feld zu verlieren, würden Widerspruch auf den Versammlungen noch verhindern. Umgerechnet etwa 300 US Dollar für vier bis fünf Tage Arbeit im Monat beim Kokaanbau zu verlieren, ist ein ebenfalls pragmatisches und auch gewichtiges Motiv. Selbst wenn es in ihrem Ortsverband bislang nie zu einer solchen Enteignung gekommen sei.

Dorf in der Kokaanbauregion: Umgerechnet 300 US Dollar für 4 bis 5 Tage Arbeit im Monat sind ein starkes Motiv, Foto: P. Strack

Evo Morales verliert an Einfluss

Einige Kilometer weiter in Bulo Bulo hat sich jüngst ein Teil der dortigen Kokabauernvereinigung jedoch für die Kandidatur von Andrónico Rodríguez Ledesma ausgesprochen. Der junge Politikwissenschaftler ist einer der ihren. Er wurde in der Gewerkschaftsbewegung groß, indem er den kaum lese- und schreibkundigen Vater bei der Wahrnehmung seiner Ämter unterstützte. Bei den Auseinandersetzungen nach den gescheiterten Wahlen 2019, als Evo Morales ins Exil und die meisten anderen Sprecher*innen in den Untergrund gegangen waren, trat Rodríguez dann als Organisator selbst in den Mittelpunkt. Dank seines Verhandlungsgeschicks hielt er sich später nach den Wahlen 2020 über die gesamte Legislaturperiode im Amt des Senatspräsidenten. Vor wenigen Wochen noch hatte er für sich eine Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen. Er gehorche den Basisorganisationen. Doch diese sind vielfach gespalten. Und so gibt es genug, die ihn nun gemeinsam mit der früheren engen Mitarbeiterin von Alvaro García Linera und Planungsministerin unter Evo Morales, Mariana Prado, als Vizepräsidentin aufs Schild heben wollen. Prado ist eine Betriebs- und Staatswissenschaftlerin, die u.a. in Paris (Sorbonne) und Madrid (Complutense) studiert hat. Kaum war sie als Kandidatin ernannt, hagelte es Proteste. Etwa von der feministischen Aktivistin Maria Galindo. Prado hatte bei einem Prozess einen früheren Freund, der wegen Feminizids angeklagt war, mit Aussagen entlastet. Aber auch aus der Partei kommt Kritik. Sie würde eher Stimmen kosten als bringen. Auch wolle man neue Gesichter sehen. Ihre Kandidatur versuchen del Castillo und Prado jedenfalls unter dem Namen „Volksallianz“ (Alianza Popular) auf dem Ticket der indigen geprägten MTS („Bewegung drittes System“) von Felix Patzi durchzusetzen. Patzi ist ein ehemaliger Erziehungsminister unter Evo Morales. Doch Patzi hat sich nicht nur privat mit seiner Frau zerstritten. Und so ist derzeit juristisch ungeklärt, wer von den beiden die MTS rechtlich vertritt und ob Patzi Andrónico Rodríguez überhaupt als Präsidentschaftskandidaten einschreiben durfte.

Wurde Rodriguez bislang als politisches, aber jüngeres Ebenbild von Morales angesehen, war Eva Copa für den Caudillo schon bei den Regionalwahlen 2021 ein Verräterin. Zunächst hatte sie in den gewaltsamen Nachwahlkonflikten 2019 als Parlamentspräsidentin vermittelt und so ein größeres Blutbad verhindert. Bei den Regionalwahlen war sie dann erfolgreich gegen den von Evo Morales ausgewählten MAS-Kandidaten für das Bürgermeisteramt der Millionenstadt El Alto angetreten (siehe diesen früheren Beitrag).

El Alto ist eine schwer zu regierende Millionenstadt, in der die informelle Wirtschaft vorherrscht und sich eine neue wirtchaftliche Elite etabliert hat. Politisch wird sie immer wichtiger, Foto: P. Strack

Ihre Parteineugründung nennt sich ähnlich dem mexikanischen Vorbild MORENA, „Bewegung zur nationalen Erneuerung“. Nachdem zunächst der Gouverneur von Chuquisaca, Damián Condorí, ein weiterer MAS-Dissident, als Vizepräsidentschaftskandidat gehandelt wurde, schrieb Copa nun den Politologen Jorge Richter ein. Der hatte zuletzt als Regierungssprecher von Präsident Arce, aber früher auch bei dem derzeitigen Bürgermeister von Cochabamba und Exmilitär Manfred Reyes Villa politische Karriere gemacht.

Rechtspopulisten zwischen eigenem Profil und Nähe zur Macht

Der Rechtspopulist Reyes Villa hatte zeitweise mit der Regierung Arce kooperiert, sich zuletzt aber wieder stärker abgegrenzt, um seine Wahlchancen zu verbessern. Doch ungelöste Probleme vor der eigenen Haustür kratzen derzeit am Image als Macher. Die gewaltsamen Proteste gegen eine provisorische Müllkippe im Nachbarmunizip, verbunden mit stinkenden Müllbergen in der Innenstadt, sind dabei vermutlich nicht nur Ausdruck gebrochener Versprechen im Amt. Sie werden von den politischen Gegner*innen auch genutzt, um den Kandidaten zu demontieren. Noch weniger Chancen auf das Präsidentschaftsamt dürfte Jhonny Fernández haben. Die Amtszeit des Bierfabrik-Erben und Bürgermeisters der größten Stadt Boliviens, Santa Cruz, ist von Skandalen gespickt und von erratischem Vorgehen geprägt. Auf Druck der Taxi-Lobby hatte er zum Beispiel ein zukunftsweisendes Bussystem in der Innenstadt wieder abschaffen lassen. Die Schulden für die geschaffene Infrastruktur jedoch bleiben. So hofft er nun – wie alle im Namen der Einheit – auf Nachwahlbündnisse mit Eva Copa und Andrónico Rodriguez. Mit ihnen sehe er Übereinstimmungen.

Zerstrittene Opposition

Dass es auch in der Opposition mit der geforderten „möglichen Einheit“ schlecht aussieht, hatten wir bereits in einem früheren Beitrag ausgeführt. So haben sich nun allein drei wirtschaftsliberale Bündnisse eingeschrieben, von denen zwei auf den Milei-Effekt hoffen. Dafür ist die Verzweiflung in der Bevölkerung, die sich vor allem im informellen Sektor wirtschaftlich über Wasser hält, aber noch nicht groß genug. Auch wenn die informellen Händler*innen, Handwerker*innen oder auch Schmuggler*innen gewisse Sympathien für einen schlanken Staat hegen, wollen sie auf die bisherigen staatlichen Transferleistungen, so gering sie auch sind, dennoch nicht verzichten. So hat Ex-Präsident Jorge „Tuto“ Quiroga von den drei liberalen Bündnissen vermutlich die besseren Chancen. Dies wegen seiner gemässigteren wirtschaftlichen Position, seinem weiteren Fokus auch auf politische, staatsrechtliche und Menschenrechtsthemen, aber vor allem aufgrund seiner Erfahrung und seines Bekanntheitsgrades. Zuvor war er aus dem Versuch der Schaffung eines breiten Oppositionsbündnisses ausgestiegen. Das wollte per Meinungsumfragen den gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin küren. Die Umfragen wurden am Ende nur vom sozialdemokratischen Unternehmer und Mitkonkurrenten Samuel Doria Medina durchgeführt. Und nach dessen Aussagen ging er selbst daraus als die erfolgversprechendste Figur hervor. So kandidiert Doria Medina nach den zahlreichen Abgängen dennoch unter dem Namen „Unidad“ (Einheit). Und der weicht nur wenig vom eigenen Parteinahmen des Unternehmers „Unidad Nacional“ ab. Doria Medina verspricht, die drängendsten wirtschaftlichen Probleme Boliviens, Devisen- und Treibstoffmangel, im Zeitraum von hundert Tagen zu lösen.

„Hundert Tage“ im Amt, um wieder Dollar zu haben, verspricht Samuel Doria Medina auf einem Plakat in Santa Cruz, Foto: Jonathan Krämer

Taktische Überlegungen statt programmatischer Debatten

Einigkeit gibt es in den Oppositionsbündnissen anscheinend darin, dass anders als bei der MAS und deren Dissident*innen keine Frauen als Präsidentschafts- oder Vizepräsidentschaftskandidaten auftauchen. Etwa Luisa Nayar aus Santa Cruz, die sich im Parlament in den letzten Jahren in der Opposition mit vielen Eingaben und Aktionen einen Namen gemacht hat. Zeitweise wurde sie als mögliche Vizepräsidentschaftskandidatin für das Bündnis „Unidad“ gehandelt. Am Ende steht sie nicht einmal auf der Liste der möglichen Abgeordneten. Wie es hieß sei das ähnlich wie beim früheren Präsidentschaftskandidaten und Rektor der staatlichen Universität Vicente Cuellar aufgrund des Vetos von Fernando Camacho geschehen. Die rechts-regionalistische Partei CREEMOS des seit Dezember 2022 inhaftierten Gouverneurs von Santa Cruz war anders als Tuto Quirogas Allianz „Libre“ im Bündnis „Unidad“ geblieben. Die Abgeordnete Nayar von Carlos Mesas Bündnis Comunidad Ciudadana, das sich aus dem Wahlprozess zurückgezogen hat, habe sich mit einer parlamentarischen Anfrage zu fragwürdigen Regierungsgeschäften Camachos bei ihm unbeliebt gemacht, vermutet sie selbst.

Cecilia Requena Zárate, Foto: Privat

Andere prominente Abgeordnete der Comunidad Ciudadana finden sich dennoch auf der Liste von Doria Medina.

Erneut Kandidatin: Toribia Lero aus dem Quechua-Volk der Sura, Foto: P. Strack

Etwa die Umweltaktivistin Cecilia Requena (siehe dieses Interview auf Latinorama) oder die indigene Toribia Lero (siehe dieses frühere Interview zu ihren parlamentarischen Aktivitäten). Die hatte sich zunächst an dem Aufbau eines Netzwerks indigener Politiker*innen beteiligt, sich dann aber auf eigene Kappe Doria Medinas „Unidad“ angeschlossen. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass die Verfassung zwar die direkte Beteiligung indigener Organisationen in den Wahlprozessen vorsieht; doch die Regierung unter Evo Morales hatte dieses Recht wegen möglicher Konkurrenz für die MAS mit einem Parteiengesetz ausgehebelt. Nur für die indigenen Sonderwahlbezirke ist eine direkte Beteiligung noch möglich.

Ebenfalls auf der Liste von Doria Medina befinden sich die frühere Bürgermeisterin von El Alto, Soledad Chapetón, sowie der frühere Bürgermeister von La Paz Juan del Granado. Der kommt wie Doria Medina aus der inzwischen sozialdemokratischen „Linksrevolutionären Bewegung“ MIR. Mit dabei auch der 31 jährige Sebastían Careaga. Der mit seinen vollen, langen, dunklen Haaren visuell aus dem Rahmen fallende Jungunternehmer aus Potosí hatte sich nur eine Woche zuvor noch als Vizepräsidentschaftskandidat der christdemokratischen Partei an der Seite von Rodrigo Paz proklamieren lassen, dem Sohn des früheren bolivianischen Präsidenten Jaime Paz Zamora (ebenfalls MIR).

Bürohochhaus in Santa Cruz: Samuel Doria Medina bewirbt sich vor allem mit dem Argument seines privaten wirtschaftlichen Erfolgs für das Präsidentenamt, Foto: P. Strack

Nun hat Careaga die Seiten gewechselt. Vermutlich aufgrund der besseren Chancen, zumindest zum Abgeordneten gewählt zu werden. Es ist auch ein Ausdruck für das schwach ausgeprägte und auf Personen ausgerichtete Parteienwesen. Statt programmatischer Debatten zur Lösung der Probleme des Landes überwiegen zumindest derzeit taktische Überlegungen oder juristische Finten, mit denen die Konkurrenz ausgeschaltet werden soll. So beantragen zwei Kläger, Samuel Doria Medinas „Unidad“ die Registrierung zu entziehen, weil der Zementunternehmer im Jahr 2016 über die Quechua und damalige Informationsministerin in einem Twitt gesagt hatte, sie sei nicht einmal die schlechteste Ministerin von Morales, erwerbe sich aber Verdienste. Das sei frauenfeindlich und rassistisch gewesen und sei deshalb laut Antidiskriminierungsgesetz strafbar. Ein anderer Kläger fordert ähnliches für Eva Copas MORENA und Manfred Reyes Villas Bündnis „Autonomie für Bolivien – Mach mit!“ (APB – Súmate), weil bei beiden die gesetzlichen Fristen zur Registrierung nicht eingehalten worden seien. Und der wirtschaftsliberale Kandidat Jaime Dunn, der sich als Outsider des Politikbetriebs Hoffnungen macht, beklagt, dass die Regierung versucht habe, ihn in den angeblichen Putschversuch vom vergangenen Juni zu verwickeln, obwohl er den verantwortlichen General Zúniga gar nicht kenne. Auch hätten die Behörden bislang versäumt, ihm für die Kandidatur erforderliche Dokumente auszustellen. Einer der zahlreichen Kläger begründete das juristische Vorgehen damit, dass es einfach zu viele Kandidaturen gebe und niemand mehr den Überblick behalten könne. Ein Kläger wurde jedoch wenigstens von der Kandidat*innenliste „Unidad“ wieder heruntergenommen. Nicht Gerichte, sondern die Wähler*innen sollten die nächste Präsidentschaft entscheiden, argumentierte der Parteichef Samuel Doria Medina. Eine Gerichtsentscheidung gab es wie erwähnt bislang nur bei Evo Morales.

Nicht alle sind freiwillig gekommen: Die Vereinigung der Kokabäuerinnen und -bauern von Carrasco auf einer Demonstration für die Kandidatur von Evo Morales in Cochabamba, Foto: P. Strack

Und so drohen Evo Morales Unterstützer*innen nun gleich den gesamten Wahlprozess zum Scheitern zu bringen, wenn der „Vertreter der Mehrheit des Volkes“ – wie Stand jetzt – nicht kandidieren und „sein demokratisches Recht nicht in Anspruch nehmen“ dürfe. Doch die Zahl der Demonstrierenden etwa am 22. Mai in Cochabamba war überschaubar. Am Montag soll das Leben in La Paz stillgelegt werden, bis die Regierung zurücktrete. Dann stünde jedoch Andrónico Rodriguez als Senatspräsident als Präsident Boliviens in der Nachfolgerangordnung an erster Stelle, den Morales gerade noch als Verräter gebrandmarkt hatte. Die Unterstützung der Mehrheit hat Morales trotz markiger Sprüche selbst längst verloren, während sie für die anderen Bewerber*innen in weiter Ferne zu liegen scheint. So wird nach den Wahlen wenn schon keine Einheit, so doch zumindest die Bereitschaft zu politischen Koalitionen gefragt sein.

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