vonKnut Henkel 25.09.2009

Latin@rama

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Kinder, nichts als Kinder braucht die kubanische Revolution, denn Kubas Bevölkerung ist am dem besten Weg zur ältesten der Region zu werden. Mit Förderprogrammen wollen Raúl und seine Tochter nun gegensteuern. Doch das wird nicht einfach.

Mariela Castro Espín legte bei ihrem derzeitigen Besuch in der Dominikanischen Republik den Finger in eine schwärende Wunde: die Fruchtbarkeit der Frauen in Kuba lasse zu wünschen übrig, so die kubanische Sexualexpertin. Die Tatsache, dass zu wenig Kinder in Kuba geboren würde, führe dazu, dass die Gesellschaft der größten der Antilleninsel älter und älter werde. Für die Tochter von Staatschef Raúl Castro durchaus besorgniserregend. Ohnehin ist es ein offenes Geheimnis in Havanna, dass sich auch auf höchsten politischen Ebenen darüber Gedanken gemacht wird wie man die Frauen animieren kann, wieder mehr Kinder in die revolutionäre Welt zu setzen. Kinderwagen sind überaus rar im Stadtbild von Havanna. Das liegt nicht nur daran, dass die Kaleschen für die Kleinen nicht gerade ganz oben auf der Einkaufsliste der kubanischen Importagenturen stehen, sondern in erster Linie daran, dass sich Kubas Paare Zeit lassen dem Kinderwunsch nachzugeben.

Kuba steckt mitten in der „demographischen Krise“. Als einziges Land Lateinamerikas schrumpft die Bevölkerung, während die Bevölkerung im Rest der Region stetig zunimmt, so meldet die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal). Um 7737 Menschen nahm die Bevölkerung Kubas in den letzten Jahren laut kubanischen Statistiken ab. Tod, Abwanderung und die niedrige Geburtenrate sind die drei Elemente, die dazu führen, dass die Regierung in Havanna über weniger und zugleich immer ältere Inselbewohner gebietet.

Die Jungen gehen, die alten bleiben?

Ein Element, das dabei die Geburtenquote drückt, ist die Auswanderung. „Zwischen 1999 und 2006 haben mehr als 250.000 Kubaner die Insel verlassen. Kuba verliert im Schnitt über 33.000 Bürger jährlich“, erklärt Omar Everleny Pérez vom Forschungsinstitut der kubanischen Wirtschaft. 2008 waren es laut offiziellen Zahlen aus Havanna 37.000 Menschen, die die Insel verließen. Ein Aderlass, den sich Kuba nicht leisten kann, denn es sind anders als in den Flüchtlingswellen der achtziger und neunziger Jahre zumeist die jungen gut ausgebildeten Kubaner, die gehen. Diese Tatsache hat auch zur sinkenden Geburtenrate in Kuba beigetragen. Die hat ein Ausmaß erreicht, das auch auf höchster politischer Ebene registriert wird. Die Aussage Mariela Castros in der Dominikanischen Republik zeugt davon genauso wie das im Mai in Kuba aufgelegte Programm zur Geburtensteigerung.

Ein weiteres Indiz sind Interviews mit Demographen wie Juan Carlos Alfonso Fraga vom Forschungsinstitut für Bevölkerung und Entwicklung nicht zu erklären. Der äußerte sich erstmals 2006 in der „Bohemia“, dem einzigen Magazin der Insel, und wies – wenn auch äußerst vorsichtig – nicht nur auf die schwierigen Lebensbedingungen als eine der Ursachen hin, sondern auch auf die Risiken einer alternden Gesellschaft, die man in Europa studieren könne. Ein zaghafter Verweis auf die Pensionskassen, die mit faktisch sinkender Bevölkerung immer schwieriger zu füllen sind, so der kubanische Sozialwissenschaftler Oscar Espinosa Chepe. Der kritische Sozialwissenschaftler, der in Kuba zur Opposition zählt, hat in mehreren Artikeln auf die „demographische Krise“ hingewiesen, die nunmehr nicht nur fühlbar sondern auch fassbar ist. Kubas Geburtenquote liegt in etwa auf dem Niveau von Spanien und Deutschland, so Espinosa Chepe. Der steht die hohe Lebenserwartung in Kuba gegenüber und gähnend leere Pensionskassen. In Kuba beläuft sich die durchschnittliche Rente laut Berechungen Espinosa Chepes auf läppische 164 kubanische Pesos, umgerechnet sieben US-Dollar. Ein Grund, weshalb viele Rentner in Kuba an Straßenecken sitzen und Zigaretten, Kaffee oder die Parteizeitung verkaufen, um sich etwas dazuzuverdienen. „Ein würdevolles Leben sieht anders aus“, kritisiert Espinosa Chepe, der selbst im Rentenalter ist. Er macht die extrem bescheidenen Lebensbedingungen auf der Insel für die bewusste Entscheidung vieler Frauen gegen Kinder verantwortlich.

Ein anderes Problem ist das Fehlen von Perspektiven, denn niemand weiß letztlich, in welche Richtung die Insel steuern wird. Der Parteitag, der die Weichen zumindest in wirtschaftlicher Sicht stellen sollte, wurde abgesagt, und das Warten geht in die nächste Runde. Derweil altert die Bevölkerung munter vor sich hin, denn nach Uruguay hat die kubanische Gesellschaft im Schnitt die älteste Bevölkerung und könnte, so die Prognosen, bereits 2015 die Urus an der Spitze der Alterscharts ablösen. Um diese Position nicht einzunehmen, müsste sich einiges an der Geburtenrate in Kuba ändern. Derzeit bekommt jede kubanische Frau 1,59 Kinder, 2,1 müssten es laut der Parteizeitung Granma hingegen sein, um die Bevölkerungszahl langfristig zu halten. Für 2025, so die Prognosen, werden statt derzeit 1,9 Millionen Rentner 2,9 Millionen auf der Insel leben. Immerhin 26 Prozent der Bevölkerung, die dann mindestens so alt sein werden wie die kubanische Revolution.

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kommentare

  • Weniger Kinder haben zu wollen ist ein Zeichen von Wohlstand. Kuba ist ein Land,mit Menschen, die außer Familiengründung noch andere Lebensziele haben können, da sie gut ausgebildet sind. Das Ausland lockt mit hohen Gehältern für studierte Menschen.
    @Garsvik: ich finde es in Ordnung, wenn die Kubaner, wenn sie ins Ausland gegen ein Jahresgehalt an den Staat zahlen sollen, ich musste auch mein Bafög zurückzahlen, das war auch ein Jahresgehalt. Außerdem, für wieviel Millarde importiert Deutschland eigentlich Agraprodukte aus Entwicklungsländern? Komisch wie einseitig vieles betrachtet wird.

  • – völlig normal ist, daß bei äußerst knapper Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs die Geburtenrate sinkt
    – ebenso normal ist, daß junge Menschen dorthin ziehen, wo sie eine Zukunft sehen und eine Familie gründen können (deutlich zu sehen auch in den 5 neuen Bundesländern, wo besonders die Frauen wegziehen)
    – nicht normal ist, daß 2 Millionen Kubaner in den USA leben bei 11 Millionen Kubanern in Kuba und so viel US-Dollar auf die Insel transferieren, daß die kubanische Regierung eine extra Steuer auf diese freiwilligen privaten Spenden erhebt. Wer also kann, verläßt die Insel. Auf unerlaubtes Verlassen der Insel steht eine Strafe von 8 Jahren Haft. Eine Erlaubnis kostet mehr als ein Jahreseinkommen.
    – Die USA ist der 6. größte Handelspartner Kubas und liefert jährlich für eine 1/3 Milliarde US-Dollars Lebensmittel an Kuba. Also nur ein sehr eingeschränktes Embargo

  • Auch die “Deutschen” sorgen sich ueber ungenuegend Nachwuchs -und auch manche hochqualifizierte deutsche Wissenschaftler und Aerzte “ziehen” in anderen Laender in welchen sie mehr verdienen koennen oder bessere Entwicklungsbedingungen locken – oder wo die allgemeine Lebensqualitaet hoeher ist als in Deutschland. China und Indien verlieren hunderte von tausenden von erstklassig Gebildeten welche nach USA oder Kanada “ziehen”. Jetzt “ziehen” aber auch U.S. Americans nach China: Akademisch Ausgebildete welche arbeitslos in USA sind und in deren Spezialitaet eine Nachfrage in China besteht. In Singapore – der hochentwickelte Wunderstaat mit eine Bevoelkerung von Chinesen, Inder und Malayen – also auch in Asien – sorgt man sich ebenfalls ueber ungenuegend Nachwuchs der Gebildeten. Die “Befreiung” der Frau spielt eine grosse Rolle in allen Laendern – reiche genau so wie aufstrebende Laender in welchen die “Tradition” und der “Glaube” ueberwaeltigt wird. Wir brauchen nicht mehr Menschen auf unseren Planeten – und der wird auch funktionieren mit weniger von dieser oder jeden Nationalitaet . Im Allgemeinen sinkt der Bevoelkerungszuwachs in Lateinamerika und auch dort denkt man ueber kommende “Ueberalterung”! Re: Kuba – wahrscheinlich ist die Nachwuchsrate der Kubaner in USA und Spanien – heute – die Gleiche wie auf der Insel…

  • Herr Henkel, Sie stellen eine mir ziemlich reaktionär vorkommende Fragestellung in den Blickpunkt. Es ist richtig: Kubaner wandern aus Kuba ab, weil sie aufgrund ihrer vergleichsweise hoch qualifizierten Ausbildung in anderen Ländern mehr verdienen können. Gerade im Bereich der Bildung und der Gesundheit steht Kuba in Lateinamerika zu Recht als großes Vorbild da. Und man sollte sich einmal fragen, woran das – trotz US-Embargo – liegt. Warum Venezuela nun erfolgreich ähnliche Wege geht, Bildung, Grundversorgung bei der Ernährung und Gesundheitsvorsorge fördert, während wir in Honduras den Versuch sehen, durch Putschisten des vermögenden Bürgertums, der Oligarchie und der Armee eine Rückkehr zum kruden System der Ausbeutung, der Unterdrückung und Verarmung der Bevölkerung anzustreben, mit dem Ziel der ‘Elite’, Millionen, Milliarden auf Kosten der Armen auf Schweizer Bankonten anzuhäufen, während die Armen im Straßenrand krepieren. Niedrige Geburtenraten sind Zeichen von Staaten, in dem es nicht mehr derartig nötig ist, mit Hilfe vieler Kinder Altersvorsorge zu betreiben, wie bei den traurigen Staaten der Ausbeutung durch Korruption, Militär, Mord, Unterdrückung. Ja, auf Kuba ist eine bewußte Entscheidung der Frauen für oder gegen Kinder möglich. Ich verstehe nicht, warum Sie damit ein Problem haben? Und auf Kuba gibt es eine hohe Lebenserwartung, die seit 1959 sehr gewachsen ist. Hey, ist daran etwas verkehrt? Trotz gähnender Kassen verhungert dort niemand, im Gegensatz zu den Elendsvierteln in vielen anderen dortigen Ländern.

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