vonKnut Henkel 02.10.2009

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Das Mittagessen für lau gehört genauso wie die Libreta, die Rationierungskarte, zu den revolutionären Standards in Kuba. Von der warmen Mahlzeit auf Kosten der Revolution müssen sich die kubanischen Arbeitnehmer nun trennen. Das Ende der Libreta ist hingegen nur eine Frage der Zeit.Comedor heißen die rund 25.000 staatlichen Kantinen in Kuba. Hier treffen sich die Arbeitnehmer zum Mittag auf Staatskosten. Die warme Mahlzeit auf Kosten der Revolution war über Jahrzehnte ein unentgeltlicher Service der Revolution. Nun sind deren Tage gezählt. Die Revolution hat den Rechenschieber angelegt und festgestellt, dass der Service für rund drei Millionen Staatsbedienstete zu teuer ist. 350 Millionen US-Dollar kostet der revolutionäre Service und den will man sich nicht mehr leisten. Die ersten vier Kantinen wurden auf experimenteller Basis in vier Ministerien geschlossen, weitere könnten folgen. Als Ausgleich erhalten die Beschäftigten einige Pesos, um sich selbst zu versorgen.

Die Gründe sind vielfältig. So meldet das Parteiblatt „Granma“ die Zustände in den Comedores seien skandalös und viele der Kubaner seien mit der Qualität von Essen und Service alles andere als zufrieden. Das bestätigt auch die Sprecherin der kommunistischen Partei Leticia Martínez. Und Marino Murillo, Planungs- und Wirtschaftminister, monierte die Desorganisation des gesamten Sektors, der ohnehin von Schwund und Misswirtschaft geprägt sei. So habe man in 2008 eine Überfluss an Produkten im Wert von rund 35 Millionen US-Dollar vorgefunden. Ein Überhang der in aller Regel in den Schwarzmarkt abfließt, denn Köche, Kellner und Co. müssen sehen, dass sie noch ein Zubrot zum lausigen Lohn von Vater Staat erwirtschaften.

Der liegt oftmals unterhalb der 20 US-Dollar-Marge, auch wenn der Vergleich hinkt, weil die Kubaner oft keine Mieten zahlen, das Gesundheits- und Bildungssystem unentgeltlich sind und die Lebensmittel auf Rationierungskarte stark subventioniert sind. Doch unstrittig ist, dass die Löhne hinten und vorne nicht reichen, um die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten in Kuba zu decken. Mindestens 1600 kubanische Peso braucht eine vierköpfige Familie laut den Berechnungen des Forschungsinstituts der kubanischen Wirtschaft (CEEC). Doch bestenfalls achthundert Peso hat eine kubanisches Ehepaar in der Lohntüte- „der Rest muss auf anderen Wegen erwirtschaftet werden“, erklärt Omar Everleny Pérez, Wirtschaftswissenschaftler am CEEC. Er begrüßt das Ende der revolutionären Kantinenversorgung. „Unsere Wirtschaft muss produktiver werden und die Maßnahmen der Regierung Ausgaben zu reduzieren und die Beschäftigten in die Pflicht zu nehmen, sind ein Zeichen in diese Richtung“, so der Sozialwissenschaftler. Der ist ähnlich wie vieler seiner Kollegen auch dafür sich von der Rationierungskarte, der Libreta, zu verabschieden und andere Formen der Nahrungsmittelhilfe für ärmere Familien einzuführen. „Viele Kubaner sind doch kaum mehr auf die Libreta angewiesen, weil sie Devisen aus dem Ausland erhalten, im Devisensektor des Landes arbeiten oder über andere Einnahmequellen verfügen“, so der 46-jährige Ökonom. Politisch ist die Abkehr von dem Rationierungsbüchlein ohnehin längst beschlossene Sache, nur die alternativen Sicherungssysteme sind noch nicht entwickelt und beschlossen. Die hätten an und für sich auf dem Parteitag dieser Tage debattiert und beschlossen worden sollen. Doch der Parteitag wurde abgesagt und so wird die libreta den Kubanern noch ein Weilchen erhalten bleiben. Die Tage des unentgeltlichen Mittagsmahl scheinen hingegen gezählt, denn die Revolution muss sparen.

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kommentare

  • Zur Effizienz der Landwirtschaft: Die Industrieländer sind weniger effizient wie vor 100 Jahren, es wird mehr Energie verbraucht in der Landwirtschaft, als produziert wird. Innerhalb eines Jahrhunderts haben die hochtechnisierten Länder Unmengen an Ressourcen verbraucht, um bequem Nahrungsmittel zu produzieren. Es gibt Studien darüber, dass der Ackerbau mit Ochsen produktiver ist als der mit Traktoren. Klar, man braucht mehr Arbeitskräfte, aber anstatt eines Marathonlaufs könnte man lässig ein paar Reihen Unkraut hacken, habe ich als Kind auch manchmal gemacht, war gar nicht schlimm, konnte mein Taschengeld damit gut aufbessern und ist gesünder als vor der Glotze zu hocken. Die Kubaner sind auf jeden Fall gut genährt und gesund. In Havanna mag Essen manchmal knapp sein aber auf dem Land ist es paradiesisch, Obst und Gemüse wächst das ganze Jahr über (im Bioanbau). Fische gibt es reichlich im Meer. Die Natur ist in Kuba, im Gegensatz zu Haiti, intakt. Mittel- und Südmerika hatte eine gut funktionierende nachhaltige Landwirtschaft, die wichtigsten Kulturpflanzen der Erde kommen aus diesem Kontinent. Die industrielle Landwirtschaft ist auf Verbrauch der Ressourcen ausgerichtet, wir verbrauchen unsere Erde, wenn wir so weitermachen! Übrigens Kuba importiert nicht nur Lebensmittel und Agrarprodukte, sonders exportiert auch (z.B. Zigarren, Rum). Deutschland importiert wesentlich mehr Aargraprodukte, viele Futtermittel (z.B. Genmais) kommen aus den sogenannten Entwicklungsländern. Fies ist nur, das Kuba kaum was von den Weltressourcen abkriegt und deshalb besonders hart arbeiten muss. Das Handelsembargo macht es schwierig an wichtige Ressourcen zu kommen.

  • Die deutsche Landwirtschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man nicht mit der Situation in Kuba vergleichen. Hier war das schon stark durch die Industrialisierung und Mechanisierung geprägt und, nicht zuletzt wegen der Kriege, auf höchstmögliche Effizienz getrimmt.

    In Kuba mangelt es an allem! Ein Ochse der arbeitet braucht Kraftfutter, mit Gras ist da nicht viel erreicht, ein Pflug lässt sich zwar auch aus Holz und wenig Stahl bauen, aber selbst das Holz fehlt, vom Stahl gar nicht zu reden.
    Eine Hacke oder eine Schaufel ist in Kuba schon fast nicht zu bekommen, einfache „Maschinen“ wie Eggen, Pflüge, Heuwender, Dreschmaschinen etc.pp. schon gar nicht.
    Wir reden hier also von einer Landwirtschaft wie sie nicht mal mehr in der Eisenzeit betrieben wurde!
    Weiterhin fehlt es an Lager- und Transportkapazitäten und Leuten die sowas auf die Reihe bringen können.

    Auf der einen Seite der Insel vergammelt das Gemüse auf dem Feld während auf der andern Seite teuer importiertes Gemüse verkauft wird.

    Ach ja, selbst Zucker muss Kuba heute importieren!

  • Seit 1929 wandern Karibiker nach Nordamerika und Europa. Havana in Kuba und San Juan waren vom Anfang des 16ten Jahrhunderts bis 1898 Flottenstuetzpunkte, und die Kosten der spanischen Administration wurde zwischen 1580 und 1821 – von „Nueva Espana“ – also Mexiko bezahlt – dort waren die Silbermienen welche das spanische Reich ueberhaupt solvent hielten (zusammen mit den Silbermienen in „Alto Peru“ – also Bolivien (das Silber wurde bis zur Westkueste von Panama geschifft – dann nach Veracruz – von dort via Havana nach Spanien) Also Mexiko subventionierte die Verwaltung in Kuba und Puerto Rico. Nach 1821 – wurde Mexiko unabhaengig. Inzwichen hatte sich die Exportwirtschaft in Kuba und Puerto Rico gut entwickelt: Tabak, Kaffee, Zucker . Die Bevoelkerung war nicht zahlreich. 1898 wurde beide von USA besetzt. Private Unternehmer konnten verdienen – aber der USA Steuerzahler musste fuer die Besatzung aufkommen. Nach 1929 wurde die Wirtschaftlage in Puerto Rico (USA Buerger seit 1917) so schlecht das Puertorikaner nach der Dominikanischen Republik zogen. Nach dem Krieg 1945 began die Auswanderung von Puerto Rico und Kuba nach USA. Und seit 1970 wanderten die Dominikaner nach USA. Heute leben fast 4 Millionen Puertorikaner (in P.R. geboren) und 1.5 Millionen Dominikaner. In Puerto Rico (eine Kolonie der USA – „territory“) leben 4 Millionen Puertorikaner , die Arbeitslosenrate ist 16%. Die 4 Millionen von Puertorikanern in der USA helfen teilweise ihren Verwandten in Puerto Rico (die Alten verblieben!). 1998 schaetzte man die jaehrlich Finanzuebertragungen der USA Regierung nach Puerto Rico auf $ 12 Millarden – davon $ 6 Millarden Pensionen (Social Security, Militaer) und $ 6 Millarden Subventionen fuer die sozialen Programme. (dabei haben die „Boricuas“ trotzdem die U.S. Navy von der Insel herausgetrieben!). Wie man solches Geld von Washington bekommt ist ganz einfach: Man bezahlt einige Millionen an Washington Rechtsanzwaltskanzleien von ehemaligen Senatoren und Abgeordneten …business is business…

  • Alle Nationen in der Karibik und Mitteleuropa erhalten viele Millarden von U.S. Dollars jedes Jahr von den Verwandten ihrer Auswanderer in USA, aber auch Kanada und Europa. Vielleicht ist es besser fuer die Landwirtschaft in solchen Laendern nach Moeglichkeit mit Ochsen , Pferden und Mauleseln funktionieren zu „muessen“ – also ohne Traktoren, Diesel, technische Infrastruktur fuer diese Antriebskraft. So findet auch die Landwirtschaft mehr Arbeitsmoeglichkeiten und die Jugend ist nicht gezwungen sich als Obdachlose in den Staedten ein Ueberleben zu erkaempfen. Die Mennoniten (von Deutschland, 17stes Jahrhundert )- haben in USA, Kanada und vielen Laender Lateinamerikas bluehende Landwirtschaftsbetriebe – alles nur mit Pferden. Da gibt es keine „Ausrede“ wie „das ist zu schwere Arbeit“ oder nicht zeitgemaess. Die Zugtiere sind auch nahe ihren Ende noch ein Landwirtschaftsprodukt – Fleisch, Leder, Knochen. (Genau so wie man am Ende die Legehennen noch verfertigt). Der Kot der Tiere ist organischer Duenger. Die Landwirtschaft in Deutschland funktionierte mit Pferden und Ochsen bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Der Ochse braucht ueberhaupt nichts: Er grast durch die Nacht und arbeitet dann am Tag. Das Pferd braucht noch nicht einmal die ganze Nacht zum grasen.In den Tropen waechst das Gras das ganze Jahr! Auf dem Lande in diesen Laendern gibt es auch Moeglichkeiten fuer die Eigenverssorgung – die Plantanen (anstatt von Kartoffeln) wachsen auf dem Stauden im Hinterhof, und die Huehner koennen ueberall herumscharren. Man ernted das ganze Jahr. Die Tiere reproduzieren sich selbst . Nichts muss „importiert“ oder „investiert“ werden . Das ist natuerlich nur sinnvoll wo kein Mangel an arbeitsfaehriger Bevoelkerung besteht. Die deutschen Landwirte schafften das auch bis 1950 – ohne Traktoren und hochtechnischen Maschienen – das war ganz normal – dabei hatten sie noch nicht mal das tropische Ganzjahrklima und alles musste schnell in den guten Monaten vollzogen werden. Hay que trabajar, amigos!

  • Die ca. 2 Millionen Auslandskubaner schicken freiwillig so viele harte Dollars nach Kuba, daß dies das Ende der ohnehin knappen Essensrationierung der 11 Millionen Inselbewohner bedeutet? Jährlich kauft Kuba für eine drittel Milliarde Dollar Agrarprodukte in den USA ein. Raul Castro will den Agrarbereich auf der Insel in Schwung bekommen: Bauern bekommen so viel Land, wie sie meinen bewirtschaften zu können und dürfen Profite erwirtschaften. Statt Subsistenzwirtschaft jetzt profitorientierte Mehrarbeit:
    http://www.theday.com/re.aspx?re=c45ec057-d2a4-4526-830d-e33c2a97e0a8
    Zitate: Raul Castro prefers to call it “a new socialist model.”…“Let’s forget about tractors and fuels for this program, even if we had them,” Castro said.
    Leider fehlt an Sprit für die vorhandenen Traktoren und deshalb wird mit Ochsen gearbeitet.

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