vonKnut Henkel 30.03.2020

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Straßenverkäufer am Malecón von Guayaquil – derzeit nahezu beschäftigungslos

In Ecuadors Hafenstadt Guayaquil bereiten sich die Verantwortlichen auf italienische Verhältnisse vor. Am letzten Freitag kündigte der Vertreter der Stadtverwaltung Gustavo Zúñiga an, dass die Dreimillionen-Metropole ein Massengrab einrichten werden, um auf eine größere Zahl an Covid-19-Opfern vorbereiet zu sein, falls die Beerdigungsunternehmen an ihre Grenzen stossen sollten.

Bis zu 300 Verstorbene sollen in einer bereits ausgehobenen Grube auf einem Friedhof der Hafenstadt bestattet werden, so die Pläne der Stadtverwaltung. Guayaquil ist das Epizentrum der Pandemie in Ecuador. Rund zwei Drittel der 1924 Infizierten in Ecuador (Stand 30.März 2020) kommen aus der Provinz Guayas, deren Hauptstadt Guayaquil ist.

Wahrzeichen Guayaquils: der stummelige Leuchtturm
Eines der Wahrzeichen Guayaquils ist der kurze, pummelige Leuchtturm

Ein zentraler Grund, weshalb die Nationalregierung mit rund 3300 Militärs und Polizisten die sanitären Notstandsmaßnahmen durchzusetzen sucht. Die patroullieren in der Stadt, unterbinden Zusammenkünfte, sorgen für Abstand auf den Märkten, wo die Menschen Schlange stehen, um sich zu versorgen und kontrollieren Autos und deren Zahl an Insassen. Zudem setzen sie die nächtliche Ausgangssperre durch.

Jorge Acosta hält sich an die staatlichen Vorgaben. „Ich bleibe zuhause, arbeite hier, aber das Privileg haben längst nicht alle Menschen in Ecuador“, so der Gewerkschaftskoordinator aus Guayaquil. Astac heißt die Gewerkschaft der Kleinbauern und Plantagenarbeiter mit Sitz in Ecuadors ökonomischer Drehscheibe, der Hafenstadt Guayaquil.

Dort wird das Gros der Bananen, aber auch Kakao und andere Exportprodukte umgeschlagen, in Guayaquil spielt sich fast alles draußen ab. „Wir sind eine Stadt der Zuwanderer, die Hälfte der drei Millionen Einwohner arbeitet im informellen Sektor. Wer nicht arbeitet, hungert“, so lautet die einfache Logik laut Acosta. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb die Maßnahmen der Regierung in Quito derzeit mit Militärgewalt durchgesetzt werden, wogegen es erste Proteste gegeben hat.

Doch die Maßnahmen sind alternativlos, denn die Hafenstadt ist das Epizentrum des Coronavirus in Ecuador. 943 Infizierte in der Stadt und 1376 in der dazugehörigen Provinz Guayas waren laut den Gesundheitsbehörden am Wochenende registriert. Bis dato ist die Pandemie auf eine relativ kleine Region Ecuadors konzentriert.

„Nun tut die Regierung alles, um die Ausweitung zu unterbinden“, erklärt der Gesundheitsexperte Juan Cuvi. Alternativlos sei das, so der Direktor der Gesundheitsorganisation Donum, der die Uneinsichtigkeit der lokalen Verantwortlichen kritisiert: „Sie haben den Weisungen der Zentralregierung in Quito anfangs nur zögerlich Folge geleistet. Die Abstimmung zwischen Stadt und Nationalregierung war schlecht“. Ein Indiz für den traditionellen Zwist zwischen den beiden Millionenmetropolen des Landes: auf der einen Seite das kalte, auf 2850 Meter liegende, indigen geprägte Quito, auf der anderen die weltoffene Hafenstadt, die sich so ungern Vorschriften machen lässt. Das hat dazu geführt, dass die Bürgermeisterin Cynthia Viteri Jiménez bei der Umsetzung der Maßnahmen lax vorgegangen sein soll, so Kritiker. Sie habe dem Druck der einflussreichen Unternehmer der Region nachgegeben, um deren Geschäfte nicht lahmzulegen, heißt es.

Fehleinschätzung mit Folgen

„Das ist ein zentraler Grund, weshalb Guayaquil zur Drehscheibe des Corona-Virus mutieren kann“, befürchtet Cuvi und weist darauf hin, dass das Gesundheitssystem der Millionenstadt bereits kurz vor dem Kollaps steht. Ärzte, die ohne Maske, Kittel und Handschuhe arbeiten mussten, habe es bereits gegeben. Mediziner, die sich infiziert hätten und gestorben seien, ebenfalls, so Jorge Acosta. „Von Patienten, die erkrankt an Covid-19 im Gang liegen, habe ich durch Bekannte gehört“, berichtet der Gewerkschaftskoordinator. „Das Krisenmanagement ist lückenhaft, es fehlt an Schutzmaterial, Corona-Tests und Betten, so berichten Bekannte aus den Hospitälern“, sagt er.

Jorge Acosta - ASTAC
Jorge Acosta heißt der Koordinator der Landarbeiter-Gewerkschaft Astac.

Laut dem Gesundheitsministerium haben sich mindestens 24 Ärzte infiziert. Laut den offiziellen Statistiken stehen in Ecuador 1183 für Intensivmedizin zur Verfügung – für 17,3 Millionen Einwohner. Eine Parallele zu vielen Ländern in der Nachbarschaft, aber auch zu Italien und Spanien. „Wir sind nicht vorbereitet, sind durch Korruption im Gesundheitssystem gebeutelt und durch einen falschen gesundheitspolitischen Ansatz,“ klagt Juan Cuvi. Prävention und die flächendeckende Präsenz von Gesundheitseinrichtungen seien zugunsten eines kurativen Ansatzes und der fortschreitenden Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen zurückgedrängt worden, kritisiert auch Alberto Acosta, Ökonom und Kritiker der neoliberalen Kurswechsels der Regierung von Lenín Moreno.

Das könnte sich rächen, denn während Ecuador bei den Krankenhausbetten unter den WHO-Empfehlungen rangiert, liegt es bei den Ärzten pro Tausend Einwohner nur knapp über dem WHO-Mindeststandard. Die sind wie auch in Europa ungleich verteilt und die ländlichen Gebieten oft nicht ausreichend versorgt.

Dies ist eine Tendenz in der ganzen Region, aber in Ecuador hat der Sparkurs unter Präsident Lenín Moreno, seit Mai 2017 im Amt, auch negative Folgen im Gesundheitssystem. Nach Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde 2018 die Zahl der Staatsbediensteten riguros reduziert. Unter den etwa 10.000 Menschen, die blaue Briefe von der Regierung bekamen, waren auch Mitarbeiter im Gesundheitssektor.

Das und eine wenig kohärente Gesundheitspolitik in der Vergangenheit könnte sich nun rächen. Derzeit versucht die Regierung mit Notmaßnahmen gegenzusteuern, wozu auch die Erweiterung der Klinikkapazitäten in Guayaquil und der Bau neuer Einrichtungen gehört. „Das können wir aber nicht wie in China in 10 Tagen realisieren – wir befinden uns im Wettlauf mit der Zeit“, so Cuvi.

Oberste Maxime ist es derzeit zu verhindern, dass der Virus sich von Guayaquil aus in die Nachbarprovinzen vorarbeitet.

Die heißen Los Ríos, Manabi und Santa Elena und sind eng vernetzt mit dem Hafen von Guayaquil. Dort wird das Gros der Bananen- und Kakaoernte aus diesen Provinzen umgeschlagen. Kontakte sind kaum zu vermeiden. Gewerkschaftskoordinator Jorge Acosta kritisiert jedoch, dass die Bananenarbeiter weiterschuften müssen und in den Bussen der Plantagen nach wie vor zusammengepfercht werden. „Wo sind die sanitären Sicherheitsmaßnahmen?“, fragt er.

Diese Ignoranz ist die andere Seite der Medaille. Widersprüche, auf Experten wie Cuvi hinweisen. „Wir brauchen eine bessere Aufklärung, mehr Prävention – nicht nur in Zeiten der Krise, sondern generell“, fordert er.

Alberto Acosta

Parallel dazu plädiert er gemeinsam mit Alberto Acosta für eine Aussetzung des Schuldendienstes. Gerade sind 320 Millionen US-Dollar fällig. Dieses Geld solle in das Gesundheitssystem umgelenkt werden – das müsse nun Priorität haben. Dafür kursiert eine Petition in den sozialen Netzwerken. Parallel dazu hat die Regierung von Präsident Lenín Moreno einen Kredit über 500 Millionen US-Dollar bei der Weltbank für Corona-Notmaßnahmen beantragt.

 

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