Ni blanca, ni pura / fue centro de tortura.
Ni blanca, ni pura / fue centro de tortura.
Mehrere Dutzend mal rufen die Demonstranten diesen Spruch aus Leibeskräften und mit Hilfe eines einzelnen Megafons über das Hafenbecken. Dort wird gerade die „Esmeralda“ aufs offene Meer hinausgezogen, das Segelschulschiff und der ganze Stolz der chilenischen Marine. Aber rein und weiß ist der Viermaster eben nur äußerlich: Im Jahr 1973 diente er den putschenden Admirälen als Folterzentrum. Vor Anker in der Bucht von Valparaíso, wurden in den Tagen und Wochen nach dem 11. September über hundert politische Gefangene an Bord gebracht und zum Teil schwer misshandelt.
Einer von ihnen starb am 22. September ’73 an den Folgen der Folter: der katholische Arbeiterpriester Miguel Woodward. Der 1930 geborene Sohn einer Chilenin und eines Engländers war in Chile und Großbritannien aufgewachsen. In den Sechzigerjahren geriet er zunehmend in Konflikt mit seiner Kirche, arbeitete in einer Werft von Valparaíso als Dreher und baute sich ein Häuschen in einem armen Viertel. Auch politisch aktiv war er in den Jahren vor dem Putsch: Er schloss sich dem MAPU an, einer Abspaltung der Christdemokraten, innerhalb der Unidad Popular von Salvador Allende. Mit diesem Profil war er den Putschisten mehr als suspekt.
Immer, wenn die „Esmeralda“ auf eine ihrer Weltumseglungen geht, stehen Freunde und Verwandte von Opfern und somit auch von Miguel Woodward am Hafen, um Gerechtigkeit und Aufklärung zu fordern. Viele sind es nicht, mal zwanzig, mal dreißig, mal weniger. Sie lassen sich nicht beirren: „Solange keiner der Verantwortlichen für Miguels Ermordung verurteilt ist, werden wir hier stehen und anklagen“, sagt Jaime, der Philosophieprofessor. Mit ihm demonstrieren heute auch einige Ex-Marinesoldaten, die im Vorfeld des Putsches von ihren Posten entführt und ebenfalls gefoltert wurden, weil sie verfassungstreu waren und den Umsturz ablehnten.
Jaimes Frau Myriam ist Kindergärtnerin, sie hat eine Spruchband-Rolle auf dem Weg zum Hafen mit Geschenkpapier getarnt – um nicht von Polizei oder Marine am Demonstrieren gehindert zu werden. Die armada möchte ihr Image nicht beschmutzt sehen, wenn die Rekruten auf große Fahrt gehen. Weil die Familien der jungen Matrosen sich zum Abschied auch am Hafen versammeln, stellen sich die Demonstranten immer ein wenig entfernt auf. „Einmal standen wir nebeneinander, da wurden wir von den Angehörigen beschimpft“, erzählt Myriam. Sie weiß aber auch, dass in vielen Ländern, in denen die „Esmeralda“ anlegt, Menschenrechtsgruppen bei der Ankunft des Schiffes demonstrieren. Immer wieder. Es ist eine Strategie der Beharrlichkeit.
Die Strategie der Sicherheitskräfte bezüglich der Demonstranten besteht offenbar darin, diese zu ignorieren. Nach Abschluss der Kundgebung am Hafen zieht die kleine Gruppe unbehelligt vor das zentral gelegene Gebäude der ehemaligen Regionalregierung, seit Pinochets Tagen Hauptsitz der Marine. Niemand schreitet ein, niemand schaut aus dem Fenster. Auch das Fernsehen zeigt am Abend lediglich die Abschiedsszenen der Matrosen und ihrer Familien. Die Freunde von Miguel Woodward und die anderen Aktivisten lassen sich davon nicht verunsichern. Sie werden zur Stelle sein, wenn die Esmeralda im August von ihrer 55. Ausbildungsfahrt nach Valparaíso zurückkehrt.