vonChristian Russau 12.03.2018

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Von Igor Birindiba Batista, Thomas Bauer und Christian Russau

Die grüne Wüste der Monokulturen aus Eukalyptus hat den Süden von Bahia fest im Griff. Einer der größten Zellstoffproduzenten der Welt, Fibria, gewinnt dort sein Holz, das nahe der Stadt Caravelas über den firmeneigenen Hafen umgeschlagen wird. Von dort geht es zur industriellen Weiterverarbeitung in die riesigen Zellstofffabriken, die auch Europa mit dem billigen Rohstoff Papier versorgen. Den Preis zahlen die traditionellen Kleinfischer*innen von Caravelas und der RESEX Cassurubá. Aber die setzen sich zur Wehr.

„Früher fehlte es hier nie an Fischen, Krabben, Krebsen, Garnelen, Muscheln oder Schalentieren jeglicher Art“, sagt João Heleno, Fischer bei Caravelas seit gut 50 Jahren. Seine Augen leuchten, wenn er davon spricht. So viel, was die schlickigen Mangrovengründe hergaben. „Unsere Familien hatten alle ihr Auskommen. Dann aber, dann wurde alles anders.“

Spärlicher Ertrag nach harter Arbeit (Foto: Thomas Bauer)

Irgendwie fühlen sie sich, als seien sie Geiseln dieses „Fortschritts“ und dieser „Entwicklung“, die ihrer Region versprochen wurde. Im Jahr 1973 wurde die Bundesstraße BR-101 zwischen Salvador da Bahia und Vitória, Landeshauptstadt des südlich von Bahia gelegenen Bundesstaates Espírito Santo, asphaltiert. Daraufhin änderte sich die durch reich an Biodiversität ausgezeichnete Landschaft des Atlantischen Regenwalds massiv. Zuerst kamen die Monokulturen der Papaya, dann ab 1980 die Eukalyptus-Monokulturen. In „Geiselhaft“ befinden sich die Anwohner*innen in Süd-Bahia seit den 1960er und 1970er Jahren. Schließlich hat die brasilianische Holzwirtschaft Brasiliens seit vielen Jahrzehnten in der Region die ursprünglichen Wälder mit Mahagoni-, Palisander- und Zedernbäumen rücksichtslos gerodet. Mittlerweile sind dort rund 85% der landwirtschaftlich geeigneten Flächen mit Eukalyptusplantagen bedeckt. Die grünen Wüsten des vormals Atlantischen Regenwalds.

Wie der nun aussieht, zeigt sich exemplarisch in Nova Viçosa, in Alcobaça und in Caravelas in Süd-Bahia. Die Eukalyptus-Monokulturen verdrängen die ursprüngliche Bevölkerung – oder wo dies nicht gelingt, wird diese in ihrem wirtschaftlichen Überleben stark eingeschränkt. Die Peripherie der umliegenden Ortschaften, vor allem in Teixeira de Freitas, schwillt deswegen mit erstaunlicher Geschwindigkeit an. In Süd-Bahia werden die Eukalyptusplantagen in verhältnismäßig kurzen Zyklen – schon nach fünf oder sechs Jahren – gerodet. Das schnelle Wachstum der Plantagenbäume geht zwangsläufig mit einem höheren Wasserbedarf einher, was einen sinkenden Grundwasserspiegel auf den Plantagen und in ihrer Umgebung zur Folge hat. Da die Monokulturplantagen nicht als Brücken zwischen den Waldinseln dienen, kann zudem kein Austausch zwischen den kleinen Restflächen des natürlichen Waldes stattfinden. In der Folge werden die bedrohten Tier- und Pflanzenarten des Atlantischen Regenwaldes auf zu kleine Lebensräume zurückgedrängt. Eukalyptusforste sind zudem für ihre geringe Biodiversität bekannt und berüchtigt.

Eukalyptus-Monokulturplantagen verdrängen die lokale Vegetation (Foto: Thomas Bauer)

Die benachbarten Kleinbäuerinnen und -bauern, die Quilombolas (Nachfahren afrikanischer Sklaven*innen) und Indigenen müssen zu überleben versuchen, auf ihren kleinen Landstücken, umzingelt von grüner Wüste. Infolge des immensen Wasserbedarfs der Plantagen bekommt die kleinbäuerliche Landwirtschaft vor Ort massive Probleme mit der Bewässerung ihrer Äcker und sogar mit der eigenen Trinkwasserversorgung. Wer das Geld in der Region hat, der hat auch das Sagen. Schwerwiegende Fälle von Umweltrassismus und Menschenrechtsverletzungen lassen sich angesichts des Desinteresses der ausführenden Gewalt und Judikative kaum effektiv unterbinden.

Es bestehen zudem diverse Konflikte in Bezug auf die Verwaltung und Nutzung der Fischereiressourcen. Dabei hatte es doch im Jahr 2009 alles so verheissungsvoll, so positiv ausgesehen. Das Meeresreservat von Cassurubá wurde demarkiert und als Schutzreservat durch einen Präsidialdekret anerkannt. Aber eben eines Schutzreservates, RESEX Cassurubá genannt, das den Sammler*innen und Fischer*innen die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen erlaubte. Ein Naturschutzgebiet mit immerhin 1.006,87 km², in dem nachhaltige Nutzung erlaubt ist und somit einen Schutz für eine Reihe von traditionellen Gemeinschaften bietet. Aber, wie so oft, kam es zum Konflikt, zum Konflikt mit Geld und Macht, mit Wirtschaftsinteressen.

Umschlaghafen des Weltmarktgiganten der Zelluloseerzeugung, FIBRIA, in Caravelas (Foto: Thomas Bauer)

Denn im Herzen des Reservates, in der Stadt Caravelas, befindet sich der regionale Umschlaghafen eines der Weltmarktgiganten der Zelluloseerzeugung, Fibria. Von diesem Hafen laufen seit 2003 täglich mindestens zwei große Schiffe mit jeweils 15.000 Tonnen Eukalyptusbäumen zur industriellen Weiterverarbeitung aus. Dafür wird massiv in das von Mangrovenwäldern geprägte Ökosystem eingegriffen, da die Hafenzufahrt nur durch das jährliche Ausbaggern des Flusses möglich ist.

Die bestehende Umweltzerstörung am Caravelas-Flussdelta durch Versandung des Flussbettes bewirkt Veränderungen im Wasserlauf und somit den Verlust von Habitat für viele Arten. Dies stellt für die Fischer*innen die negative Seite der Eukalyptus-Medaille dar. Die kontinuierlichen Flussausbaggerungen – die bis zu drei Mal im Jahr stattfinden – führen zum Absterben der dortigen Mangrovenwälder. Mit der Zerstörung dieser verlieren zahlreiche Tierarten ihre Lebensgrundlage, denn die Mangroven sind Brut- und Laichgebiete zugleich und stellen somit Lebensraum als auch Nahrungsquelle dar. Viele auf klares Wasser angewiesene Fischarten, wie der in der Region beliebte Seebarsch, wandern folglich ab, weil sie ihre Beute nicht mehr erkennen können.

Durch das jährliche Ausbaggern der Hafenzufahrt sind die Mangrovenwälder vom Aussterben bedroht (Foto: Thomas Bauer)

Marcelo Lopes ist Mitarbeiter der brasilianischen Naturschutzbehörde, das Chico Mendes Institut für. Biodiversitätserhalt (ICMBIO). Als Leiter der RESEX Cassurubá kümmert er sich um die Belange von rund 1.600 Fischer*innen-Familien, die innerhalb des Schutzgebietes leben. Er beschreibt den Konflikt zwischen den Interessen der Wirtschaft und denen der Fischer*innen als unlösbar. „Das von der Firma verfolgte Produktionsmodell ist unvereinbar mit dem Lebensmodell der traditionellen Gemeinschaften“, sagt der 34-Jährige.

„Denn das Agieren der Firma hat Auswirkungen auf das Gebiet der Gemeinschaften, die dort von den natürlichen Ressourcen des Territoriums leben. Das ist einfach unvereinbar. Es kann keinen Modus geben, der beides miteinander in Einklang bringt. Dies betrifft die ganze Palette des Produktionsmodells der Eukalyptus-Monokulturen, die diese ganze Mündungsregion umfasst, wo sich zum einen die RESEX, aber eben auch der Hafenterminal befindet, von wo aus sie die ganzen Eukalyptusstämme verschiffen, ab nach Aracruz im Bundesstaat Espírito Santo, wo sich ihre ganzen Zellulosefabriken befinden.“

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Diese Unvereinbarkeit der Gegensätze zwischen Wirtschaft und Überleben der kleinen Leute hat dann im Juli 2017 das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Kleinfischer*innen in Caravelas weigerten sich, den sich abzeichnenden Existenzverlust weiterhin wehrlos hinzunehmen. Am 4. Juli 2017 blockierten sie den Kanal „Tomba“ und unterbrachen somit das Be- und Entladen von Eukalyptusstämmen für die Zelluloseindustrie.

Ans Land gespülte Eukalyptusstämme, die beim Verladen ins Wasser fallen (Foto: Thomas Bauer)

„Wir Fischer haben da unseren Protest organisiert, wir haben uns neben den großen Schiffen verankert, direkt da wo sie verladen“, erzählt Chanto, Fischer aus Caravelas. „Und wir haben dort demonstrativ gefischt und geangelt. Damit wollten wir den Behörden zeigen, dass es unseren Kampf gibt, damit sie davon Kenntnis bekommen, was Fibria mit uns Fischern macht. Ja, und man kann schon sagen, dass das ein ziemlicher Erfolg war. Da fing dann alles an, das war ein erster wichtiger Schritt, den wir gemacht haben.“

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Nach zwei Tagen wurden sie polizeilich geräumt. Obwohl Sonntag war, wo in der Gemarkung von Caravelas eigentlich keinE Richter*in Wochenenddienst schiebt, war es der Firma Fibria offenbar gelungen, einen Richter aufzutreiben, der den Räumungsbefehl vor Ort brachte. „Dieser Gerichtsentscheid, den der Gerichtsbeamte uns auf einem Schiff der Firma HM Engenharia (Dienstleister von Fibria, Anm.d. Red.) überbrachte, alles mit Matrosen von der Firma Fibria, das war an einem Sonntag, wo es in unserer Gemarkung eigentlich gar keinen Richter gibt, der auch am Wochenende Dienst tut. Das war ein Richter aus Teixeira. Da sieht man, wie das Geld unsere Geschichte verändert.“ Es ist das Geld, die Firma, die haben die Macht. „Die versprechen dir eine Sache und halten sich nicht daran“, sagt Maria Braz, Fischerin aus Caravelas. „Sie versprechen, die Situation der Fischerinnen und Fischer zu verbessern, aber das geschieht nicht. Das liegt daran, wer hier das Sagen hat: die Firma Fibria, nicht wir Fischer.“

Hinzu kommt: Der direkte Gegner der Kleinfischer*innen scheint die Eukalyptus- und Zellstofffirma vor Ort zu sein. Aber die liefert das, was der Weltmarkt begehrt. Was die Konsument*innen begehren. Auch wir aus Deutschland.

Über 40% des weltweit geschlagenen Holzes wird für die Papierherstellung benötigt. In Deutschland werden pro Jahr und Kopf 253 Kilogramm Pappe, Papier und Karton verbraucht. Auch wenn Deutschland europaweit der größte Hersteller von Papier ist, wird heimisches Holz relativ wenig zu Zellstoff – rund Dreiviertel davon werden importiert – bzw. Papier verarbeitet. Über ein Drittel des Jahresverbrauchs wird laut dem Verband Deutscher Papierfabriken (VDP) aus Brasilien eingeführt, was das Land zu Deutschlands Zellstofflieferant Nummer eins macht. Von Januar bis November 2017 exportierte allein Brasilien 230.040 Tonnen Sulfat- und Sulfitzellstoff nach Deutschland. Weitere Hunderte Tonnen werden aus dem südamerikanischen Land entweder als Holzstoff, Chemiezellstoff (dissolved pulp) oder sonstigen Derivaten exportiert. Darüber hinaus importiert Deutschland auch große Mengen fertiger Papierprodukte aus Brasilien (2017 in Wert von 886 Mio. US$). Für Verbraucher*innen ist aufgrund fehlender Herkunftskennzeichnung nicht nachvollziehbar, aus welchen Regionen die angebotenen Papiere stammen.

Hafeneinfahrt der Firma FIBRIA in Caravelas, Bahia (Foto: Thomas Bauer)

Aus einer praktischen und konsumkritischen Perspektive ist die Rechnung relativ simpel: Zellstoff wird weltweit meist aus Eukalyptus hergestellt. Je mehr Papier konsumiert wird, desto eher verschwinden intakte Wälder – nicht nur in Brasilien, sondern auch in Russland, Schweden oder Kanada. In Deutschland wird zwar viel Altpapier gesammelt, aber nicht im gleichen Masse konsumiert. Die Wiederverwertung des Papiers wird letztendlich von den eigenen Konsumenten*innen konterkariert, da sie verstärkt Produkte kaufen, die aus Primärfasern hergestellt werden. Knapp die Hälfte des in Deutschland hergestellten Recyclingpapiers geht so in den Export. Im Gegenzug werden dafür Billigpapiere importiert, die überwiegend aus Frischfasern hergestellt werden. Letztlich geht es nicht darum, den Papierkonsum zu unterbinden, sondern um einen achtsamen und verantwortungsbewussten Konsum und damit um das Ende der Papierverschwendung.

Wenn sich das in den Firmenbilanzen der Plantagenbesitzer und der Zellstoffproduzenten in Süd-Bahia niederschlagen würde, dann würde dies den Kampf der Kleinbäuerinnen und -bauern, der Kleinfischer*innen unterstützen und ihm mehr Aufwind geben. Denn den Kampf gegen die Giganten müssen die Kleinen vor Ort selbst führen. Und das tun sie ja auch. Denn das ist es, was Fischer*innen dem allem entgegenzusetzen haben. „Es ist die soziale Organisierung, die ist ungemein wichtig“, sagt Marcelo Lopes von der RESEX. „Denn wenn wir nur darauf vertrauen würden, dass der brasilianische Staat sich um die Angelegenheit kümmert, dann können wir das gleich vergessen“, meint er. „Wenn wir uns auf die NGOs, auf die Umweltschützer verlassen würden, dann könnten wir das auch vergessen. Wer also tatsächlich die Kraft zum Widerstand hat, selbst wenn sie scheinbar unter der Oberfläche schimmert, wer tatsächlich diese Kraft zum Widerstand und wer tatsächlich das Recht und die Pflicht zum aktiven Widerstand hat, das sind meiner Meinung nach die traditionellen Gemeinschaften und die traditionellen Völker, die hier leben, die hauptsächlich von diesem wirtschaftlichem Großprojekt betroffen sind.“

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Das sieht auch die Fischerin Maria Braz aus Caravelas so. „Ich meine, wir müssen uns jeden Tag aufs Neue treffen, unsere Streitigkeiten beenden, die Fischer vereinen, alle zusammen“, sagt Maria, die seit nunmehr 40 Jahren in Caravelas lebt. „Wenn wir dann gemeinsam und geschlossen an diesen Sitzungen teilnehmen, um endlich genau zu erfahren, was da vorgeht, um dergestalt zu einer Lösung zu kommen, die dieses Desaster, was da bei uns vor sich geht, doch noch zu stoppen“, das ist ihre Hoffnung. Gemeinsam kämpfen gegen den Giganten, der ihnen ihre angestammte Lebensgrundlage zu rauben droht.

Dieser Text erschien zuerst in Brasilicum, Ausgabe 248, März 2018, ISSN 2199-7594, geschrieben von Thomas Bauer, Igor Birindiba Batista und Christian Russau.

Die im Text verwendeten Fotografien können käuflich erworben werden. Dabei gehen jeweils 30% des Betrages an die jeweilige Gemeinschaft der Orte, an dem das Bild entstanden ist. Bei Interesse bei Thomas Bauer melden: http://www.instagram.com/thojbauer/

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