vonPeter Strack 27.03.2019

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Auf dem Friedhof Ventilla in El Alto kniet in der Mittagshitze des 24. März ein junger Mann in Clownskostüm vor dem Foto eines etwas kahlköpfigen Mannes mit leuchtenden Augen und weint lange, scheinbar untröstlich. Zwei Tage zuvor war Ivan Nogales Bazan, einer wichtigsten Theatermacher Boliviens in El Alto nach über 30 Jahren Basiskulturarbeit, künstlerischer Kreativität und politischen Engagements mit 55 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Dies kurz nach der Generalprobe eines neuen gemeinsam mit dem Berliner Kiez-Theater X erarbeiteten Stückes über den Nazi „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie, oder Altmann, wie er sich später in Bolivien nannte. Das Wiedererstarken rechtsradikaler Ideen und die Geschichtsvergessenheit hatten das Berliner Ensemble ebenso wie Compa – Teatro Trono als Problem beider Länder identifiziert. Und so hatten sie  beschlossen, mit dem neuen Stück grenzüberschreitende Lern- und Diskussionsprozesse anzustoßen.

Seine Karriere hatte Ivan Nogales Ende der 80er als Theaterpädagoge in einer Zentrum für straffällige Jugendliche in La Paz begonnen. Das war von dessen Insassen, viele von ihnen Straßenjugendliche, vor denen man die Gesellschaft schützen wollte, nur „Der Thron“ genannt. Den Namen hat die Theatertruppe bis heute beibehalten. Nogales war früh selbst Waise geworden, nachdem sein Vater als Mitglied der Guerrilla-Gruppe von Teoponte getötet worden war. Claudio alias „El Fantasma“ (Das Gespenst) war einer der Jugendlichen vom Trono, die ich bei einer Aufführung eines Stückes zur Umwelterziehung auf dem Straßenmarkt in El Alto kennengelernt habe.

„Jeden Abend hat Ivan mit uns ein Buch gelesen. Ich hatte mit Büchern vorher nichts am Hut“, erinnerte sich Claudio bei der Beerdigung seines Lehrmeisters auf dem abgelegenen Friedhof von El Alto, der an diesem Tag voller Menschen und erfüllt von Murga-Klängen war. Für Claudio war Ivan damals wie ein Vater. „Er hat uns Werte beigebracht, immer die Wahrheit zu sagen…“. Heute ist Claudio selbst Vater zweier Kinder, auch Großvater und hat in Santa Cruz im bolivianischen Tiefland ein eigenes Basis-Theaterprojekt gestartet. „Mit den gleichen Träumen, die uns auch damals in El Alto bewegt haben.“ Es ist eine von zahlreichen Theaterinitiativen, die irgendwann mit der ansteckenden Begeisterung von Nogales für das Theater als Methode der Befreiung des eigenen Körpers und der Gesellschaft begonnen haben.

„Die Zukunft beginnt heute“ war das von Claudio, dem Schüler, geprägte Motto der frühen Jahre des Teatro Trono, auf das Mitte der 90er Jahre auch die Kinderkulturkarawane in Deutschland aufmerksam wurde. Fortan lud die Kinderkulturkarawane die Kinder und jungen Erwachsenen immer wieder nach Deutschland zu Tourneen ein, wie auch in diesem Jahr 2019. Dankenswerterweise waren bei den Aufführungen jenseits der Deckung der operativen Kosten immer auch Honorare eingeplant. Doch statt diese in Anerkennung der erbrachten Leistung persönlich zu verwenden, investierten die Tronos die Gelder in die Verwirklichung ihrer Träume als Gruppe. Und so steht heute im Viertel „Ciudad Satélite“, in dem Nogales auch geboren und aufgewachsen ist, ein mehrstöckiges Kulturzentrum, das aufgrund seiner eigentümlichen Bauweise auch von der Architektenkammer von La Paz zur Inspiration aufgesucht wird. Die Grundstruktur von Zementsäulen und -decken wird gefüllt mit recycelten Fenstern oder anderen Bauteilen von Häusern aus der Zeit des Gummibooms, die dem vermeintlichen Fortschritt in der Innenstadt von La Paz weichen mussten. In der Mitte über mehrere Stockwerke ein Theater im Stil der Zeit von Shakespeare. Und im Keller eine Art Bergwerksmuseum.

„Er war immer ein starker Charakter“, meinte ein Schulkamerad des Abitursjahrgangs 1980 über Nogales, den studierten Soziologen, auf dem Weg zum Friedhof.

„Genial“, antwortete mir Ivan Nogales im Vorfeld des Umweltgipfels Rio+20 der Vereinten Nationen, als ich ihn fragte, ob sie Interesse an einer Theaterkarawane hätten. Dabei sollten die Wünsche und Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen gesammelt und zum Gipfel nach Brasilien gebracht werden. Vom bolivianischen Copacabana am Titikaka-See bis zur Copacabana in Brasilien. Die Tronos hatten damals einen Theaterlastwagen und in Bolivien gab es Kontakte und mögliche Unterstützer vor Ort. Aber bis nach Rio de Janeiro?

„Wir machen das“, antwortete Ivan damals, obwohl ihm damals die Herausforderung wahrscheinlich selbst noch nicht in der ganzen Dimension klar sein konnte.

Doch der Vorschlag kam zur passenden Zeit, als sich die vor allem lateinamerikanische Basiskulturbewegung „Cultura Viva Comunitaria“ zu artikulieren begann. Die Karawane im Jahr 2012 war eine erste gemeinsame Aktion, die sich künftig mit anderen Routen wiederholen und anderweitig zu einem lebendigen Forum für Debatten und künstlerische Aktionen entwickeln sollte. Das Stück „Bis zum letzten Tropfen“ der RIO+20 Karawane über die Wasserproblematik ging später dann auch in Deutschland auf Tour. Auch wenn die auf der Ladefläche des Lastwagens mehrstöckig hoch gebaute Bühne, auf der ganz oben ein Bergarbeiter eine Schubkarren von einer auf die anderes Seite schob, nicht mehr über den großen Teich mitgenommen werden konnte.

Das „genial“ war so typisch für Ivan wie auch das „wir“. „Ivan hat immer Ideen entwickelt und uns für neue Herausforderungen begeistert“, erklärte ein Mitglied der Tronos auf der Beerdigung das Verhältnis zu ihrem „Bruder, Vater, Gefährten und Meister. Wir haben sie dann umgesetzt.“ Wie heißt es bei Antoine de Saint Exupéry: Wenn Du ein Schiff bauen willst, vermittele den Menschen die Sehnsucht nach dem Meer. Die breite Einbeziehung so vieler Kinder und Jugendlicher bei seinen Projekten, die dabei gelernt und sich als Mitverantwortliche profiliert haben, ist auch die beste Grundlage dafür, dass die Gemeinschaft der Kulturschaffenden „Teatro Trono“, bei aller Trauer nach dem Tod von Nogales, und bei aller Betroffenheit über den Verlust eines Visionärs, weitergeführt wird.

Natürlich war Nogales bislang die Leitfigur des Projektes, und meine damalige Chefin bei terre des hommes, das Kooperationspartner der Theaterkarawane Rio+20 war, hielt uns Deutschen dann auch den Bolivianer Ivan als Vorbild für eine exzellente Koordinationsarbeit und Logistik vor die Nase, wenn es bei uns hakte. Nogales hatte seine Erfahrungen dabei nicht nur in Bolivien gesammelt, sondern auch bei den Tourneen der Kinderkulturkarawane in Deutschland. So wie er auch als Regisseur und Autor von vielen, vor allem anarchistischen TheatermacherInnen und AutorInnen gelernt hat. Und so galt Nogales nicht nur bei den großen Projekten, sondern auch bei den Proben als Perfektionist, als sehr fordernd, bis alles bis in die kleinsten Detaills passte.

„Das Stück musst du unbedingt noch sehen“, sagte mir Ivan mit der ihm eigenen Begeisterung, als ich ihn vor einigen Wochen zufällig an der Seilbahnstation von Ciudad Satélite traf. „`Hoch lebe El Alto´, ist zum Lachen und zum Weinen, so wie unser Leben“. Ich will das Stück bestimmt noch sehen und in Dankbarkeit für Ivans über 30jährige Gemeinde- und Theaterarbeit lachen, in Erinnerung an ihn und seine Träume weinen. Darunter die Vorstellung, über das Theater die Körper von den kolonialen Prägungen zu befreien.

Nun liegt Ivans Körper in einem Erdgrab am äußersten Rand von El Alto. Sein Projekt und seine Ideen leben aber weiter. Und nicht nur in den vielen Mitgliedern der Murga-Gruppe, die auf dem Friedhof mit lautem Trommeln und heftigen Tanzbewegungen die Stille des Altiplano und der Trauernden durchbrochen haben und damit seinem Lebenswerk die Ehre gaben.

Wer mehr wissen will: Ein Radiofeature  von Thomas Guthmann, in dem Ivan Nogales ausführlich zu seiner Theaterarbeit zu Wort kommt und auch aus seiner schwierigen Kindheit erzählt.

 

 

Titelfoto: Gedenken am Friedhof,  Foto 1: Träumer von Verrücktheiten (Erinnerungstafel vor dem Kulturzentrum), Foto 2: Claudio, einer der zahlreichen Theatermacher, die im Trono begonnen haben; Foto 3:   Abschied von Ivan vor dem Kulturzentrum der Tronos; Foto 4: Tafel mit Kondolenzschreiben aus vielen Ländern,; Foto 5: Ivan Nogales während der Theaterkarawane zum Rio+20 Gipfel in Brasilien; des  Foto 6: Szenenfoto Arriba El Alto

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kommentare

  • Welch großer Verlust. Durfte Ivan zweimal als privater Gastgeber auf der Kinderkulturkarawane beherbergen, sein Mix aus Nachdenklichkeit und Unverdrossenheit blieben haften…
    Adios Compañero!

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