vonPeter Strack 02.11.2015

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Wer Claudia Peña treffen will, kann in das kleines Restaurant „Rayuela” in La Paz gehen. Evo Morales hatte angekündigt, nach Ende seiner Präsidentschaft vielleicht in einem Restaurant im Chapare zu bedienen. Die ehemalige Ministerin für Dezentralisierung hat diese Idee umgesetzt, allerdings am bolivianischen Regierungssitz in dem südlichen Viertel Obrajes. Aufgrund schlechter Erfahrungen vom fliegenden Wechseln zwischen Privatwirtschaft und Regierungsapparat in neoliberalen Zeiten sind die Bestimmungen für den Übergang von der Politik ins Zivilleben in Bolivien restriktiver als etwa in Deutschland.

SAM_7659Viele politische Führungskräfte gehen deshalb nach ihrem Amtsende in staatliche Betriebe und Einrichtungen. Oder werden auf Botschaftsposten geschickt.  Doch wer Claudia Peña im “Rayuela” in der zurückhaltenden, fast stillen Art, die sie schon als Ministerin unterschieden hat, Gemüseauflauf an den Tisch bringen sieht, kann den Eindruck bekommen, dass die Eröffnung des Restaurants, nicht nur rechtlichen Einschränkungen geschuldet, sondern eine persönliche Option ist. Dass sie weiter politisch engagiert ist, erkennt man auf ihrer Facebook-Seite. Aber auch, dass die Leidenschaft eher im Schöngeistigen liegt.

Dies ist auch im Rayuela zu spüren. rayuela4Das verfügt trotz der Enge nicht nur über ein gemütliches Sofakissen, sondern auch über ein Bücherregal mit einem Exemplar von Julio Cortázars Roman, der dem Restaurant den Namen gegeben hat. Das mit „Himmel und Erde“ frei übersetzte Hüpfspiel für Kinder hatte Cortázar animiert, seinen Roman nicht nur wie üblich chronologisch von vorne nach hinten lesen zu lassen, sondern die Leser von einem Kapitel weiter vorne zu hinteren Kapiteln und wieder zurück springen zu lassen. Und wer weiß, ob auch Peña eines Tages wieder in ein hohes politisches Amt zurückkehren wird. Doch erst einmal ist sie im Umgang mit solch elementaren Dingen wie dem Essen deutlich dem Boden verhaftet.

Für Präsident Morales scheint die in den ländlichen indigenen Kulturen übliche Rotation im Amt derzeit nicht vorstellbar. Er wolle Bolivien weiter dienen, begründete er das Vorhaben, per Volksabstimmung einer Verfassungsänderung und damit seiner – je nach Zählweise – dritten oder vierten Amtsperiode den Weg zu öffnen.

Die politische und wirtschaftliche Stabilität Boliviens sei sonst in Gefahr, sekundierte Vizepräsident Álvaro García Linera. andresTatsächlich hatte das Führungsgespann von Bauernsohn und Intelektuellem, „Poncho und Krawatte“, im Oktober den bisherigen „Rekord“ des Marschalls Andrés de Santa Cruz Anfang des 19. Jahrhunderts gebrochen. Der hatte bislang die längste kontinuierliche Zeit im politisch wechselhaften Bolivien regiert.

Der Historiker und Journalist Carlos Mesa musste selbst als Interimspräsident nach massiven Straßenprotesten, die auch von Evo Morales angeführt wurden, vorzeitig zurücktreten. In einem Kommentar beschreibt Mesa Parallelen zwischen dem ehemaligen Kokabauern und dem Caudillo aus der Zeit der Gründung der Republik. Beide hätten starke Aymara-Wurzeln, beide das Land grundlegend umgestaltet, beide ein demokratisches Regime mit autoritärer Hand geführt. Und Evo Morales setze ebenfalls seine politischen Ideen aufs Spiel, weil er zu sehr auf seine Person baue und keine Nachfolger aufkommen lasse.

Und so sind heute nicht nur Vertreter der Opposition, die etwa über politische Verfolgung durch eine abhängige Justiz und die Monopolisierung öffentlicher Gelder für Regierungspropaganda klagen, skeptisch in Bezug auf eine erneute Wiederwahl. Auch Anhänger des „Proceso de Cambio“, des Wandlungsprozesses, wie Luis Tapia, haben Sorge. Etwa, dass die abnehmenden Rohstoffpreise nicht zu einer Neuorientierung der Wirtschaft auf das von der Regierung selbst proklamierte „Gute Leben“ im Einklang mit der Natur und nachhaltige kleinbäuerliche Produktion führen, sondern zu mehr Megaprojekten wie dem geplanten Atomkraftwerk, oder dem Großstaudamm im Maididi-Nationalpark.

siemensMit Energieexport in die Nachbarländer, so die Planungen, sollen Sozialleistungen finanziert werden. Darauf zielt auch der jüngste ausgehandelte Großkredit von China für Infrastrukturprojekte sowie die Werbeoffensive für Auslandsinvestitionen zunächst in New York und dieser Tage auch bei Siemens und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Für die gebe es auch keine Begrenzung der Amtszeiten, argumentieren die Befürworter der Verfassungsänderung – und trotzdem zweifle niemand an der deutschen Demokratie.

Laut jüngsten Umfragen ist das Ergebnis der Volksabstimmung zur Verfassungsänderung für eine erneute Kandidatur noch offen: Je nach dem, wie die Frage gestellt wird. Für eine Wiederwahl von Evo Morales gibt es einmal eine leichte, einmal eine deutlichere, aber keine absolute Mehrheit. In Bezug auf die dafür nötige Verfassungsänderung sind die Gegner etwas mehr. Auch bei Anhängern von Evo Morales gibt es Sorge um die Demokratie. Dass der bolivianische Ombudsmann Rolando Villena ausgerechnet zu dem Zeitpunkt eine Schwächung der Demokratie beklagt, als eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) finanzierte Studie ihre Stärkung konstatiert, zeigt nur die unterschiedliche Gewichtung der verwendeten Parameter.

Und das, obwohl etwa die Stiftung Milenio, selbst ein Kind der KAS, vor nicht allzu langer Zeit von Vizepräsident García Linera mit der Ausweisung bedroht wurde. el deberSo passt es ins Bild, dass nicht nur der MAS-treue Teil der indigenen und Bauernorganisationen für das Ja zur Verfassungsänderung mobilisiert, und dass Parteimitglieder und Staatsangestellte zu einem Sonderbeitrag zur Finanzierung der Kampagne gedrängt werden. Unabhängig davon haben auch Gruppen von Händlern, Handerwerkern, Berufsfachkräften und Unternehmern aus der Oppositionshochburg Santa Cruz eigene Kampagnen für das Ja zur Verfassungsänderung gestartet. Mit den Regionalfarben grün-weiss statt dem blau-weiss-schwarz des MAS.

Während umgekehrt nicht nur die Oppositionsparteien, sondern auch die Gewerkschaft der Landlehrer und der autonome Teil des Verbandes der indigenen Hochlandgemeinden CONAMAQ ankündigten, für das Nein zu mobilisieren.

Sollte sich das Ja nicht durchsetzen, bestünde immer noch die Möglichkeit, dass Evo Morales nach Ende der laufenden Legislaturperiode in vier Jahren einstweilen wieder als Partei- oder Gewerkschaftsführer, als Minister, Botschafter für wirtschaftliche und politische Stabilität sorgen oder als Kellner den Menschen im Land dienen könnte. Dass er aber später, so wie Tabaré Vázquez in Uruguay oder Michelle Bachelet in Chile im demokratischen Rayuela wieder auf den Präsidentensessel zurückkehrt. Ob Claudia Peña dann wieder ein Amt übernehmen würde und was sie zu all dem denkt, erfahren wir auf ihrer Facebook-Seite (noch?) nicht.

Fotonachweis: Buchdeckel Rayuela, Der bisherige Rekordhalter Andrés de Santa Cruz, Besuch im Turbinenwerk von  Siemens (Foto: Ivan Maldonado, ABI), Handwerker und Kaufleute aus Santa Cruz diesmal in grün-weiß für die Wiederwahl (Foto: El Deber), Titel: Evo Morales mit Carlos Mesa (Foto: eju.tv)

 

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