Hintergrund dieses Tuns ist der erbitterter Kampf der katholischen Ultrarechten gegen das Hormon Levonorgestrel, das etwa unter dem Markennamen „Postinor 2“ Schwangerschaften auch noch nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr verhindern kann. Der Wirkstoff bzw. die entsprechenden Präparate sind fast in jedem Land der Welt erhältlich, die WHO empfiehlt ihre Rezeptfreiheit als probates Mittel zur Vorbeugung ungewollter Schwangerschaften.
In Chile, wo Abtreibung selbst dann unter Strafe steht, wenn die Frau vergewaltigt wurde oder durch die Schwangerschaft gesundheitlich gefährdet ist, hat eine Gruppe rechter Parlamentarier im vergangenen Jahr eine Beschwerde eingereicht, der das Verfassungsgericht entsprach. Seitdem dürfen Einrichtungen des staatlichen Gesundheitswesens die píldora del día después nicht mehr abgeben. Nach einer Entscheidung des chilenischen Rechnungshofs vom April dieses Jahres darf das Präparat auch nicht mehr von quasistaatlichen Einrichtungen wie Stadtverwaltungen oder NGOs bereitgehalten werden. Verboten ist es deswegen noch lange nicht, aber gerade arme Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft am meisten in Bedrängnis bringt, haben am wenigsten Chancen, es in einer Apotheke käuflich zu erwerben.
Das Argument der beschwerdeführenden Abgeordneten: Die Pille danach sei „abortiv“, also eine Abtreibungspille – und seine Abgabe damit nicht verfassungsgemäß. Tatsächlich ist der Stand der Wissenschaft ein anderer: Das hoch dosierte Levonorgestrel verhindert kurzfristig den Eisprung und somit überhaupt die Befruchtung (hier ein ausführlicher Bericht). Die von den Gegnern bemühten Experten können das Gegenteil nicht beweisen, argumentieren aber, es bestehe zumindest fallweise die Möglichkeit, dass die Pille die Einnistung eines bereits befruchteten Eis verhindere. Für einen rechten Katholiken ist das natürlich – wenn es denn so ist – Mord.
Hormon der Zwietracht: Levonorgestrel (Quelle: Wikipedia)
Dass sich das Parlament jetzt wieder mit dem Thema beschäftigt, liegt an einem von Präsidentin Michelle Bachelet im Eilverfahren auf den Weg gebrachten Gesetzentwurf, der eine klare gesetzliche Grundlage für Beratung und medizinische Betreuung von Frauen in Fortpflanzungsfragen legen soll – die Abgabe von Notfall-Kontrazeptiva durch öffentliche Einrichtungen eingeschlossen. Am 30. Juni wurde der Entwurf an den Kongress überwiesen, beide Kammern haben jeweils zehn Tage Zeit zur Beratung.
Die Eil-Initiative hat auch mit dem Wahlkampf zu tun: Der Kandidat der rechten „Alianza por Chile“, Sebastián Piñera – in Wertefragen deutlich liberaler eingestellt als viele Politiker seines Lagers -, hatte angekündigt, einer Neuregulierung der Abgabe nicht im Weg zu stehen. Irgendetwas gewinnt Bachelet also auf jeden Fall: Entweder das Gesetz geht durch den Kongress, in dem die regierende Concertación keine Mehrheit mehr hat, oder Piñera blamiert sich als General ohne Truppen. Andererseits: Auch wenn das Gesetz durchkommt, werden die fanatischen Pillengegner erneut den juristischen Weg einschlagen. Das haben sie bereits angekündigt.
Hinter diesen Parlamentariern steht ein fundamentalistisch-katholisches Netzwerk. Darin spielen Organisationen wie das „Opus Dei“ und die „Legionäre Christi“ eine wichtige Rolle, die in der chilenischen Oberschicht höchst populär sind. Wie die „Pro-Vida“-Fraktion tickt, kann erahnen, wer diese Liste betrachtet, auf der vermeintliche Instituciones Anti-Vida aufgeführt, also „lebensfeindliche Einrichtungen“: von Amnesty International und Unicef bis Weltbank und EU.
Der Gerechtigkeit halber muss man sagen: Es gibt auch Kirchenleute, die sich tatsächlich um die Probleme der Menschen kümmern – wie Felipe Berríos. Der Jesuit hat vor gut zehn Jahren die Organisation „Un Techo para Chile“ (Ein Dach für Chile) ins Leben gerufen, ein Freiwilligenwerk großen Ausmaßes. Es hat sich zum Ziel gesetzt, bis zur Zweihundertjahrfeier der chilenischen Republik im September 2010 den campamentos – Slums – durch den Bau einfacher, menschenwürdiger Häuser ein Ende zu bereiten. Berríos klagt über „Taliban“ in der katholischen Kirche, die die „Pille danach“ verteufeln, anstatt pragmatisch zu handeln.
Felipe Berríos
„Ich mache mir Gedanken darüber, was mit den Menschen geschieht, wenn sie geboren sind“ sagt Berríos gerne, und dass er am liebsten ein Plakat drucken würde, das Bewohner eines Slums zeigt und dazu die Worte „Auch sie sind befruchtete Eizellen“. Um den Schutz letzterer kümmerten sich viele seiner Mitbrüder nämlich mit großem Eifer – aber nicht um das Elend derer, die daraus erwachsen.