Interview mit Moacyr Scliar (1937-2011)
Er beschrieb die Welt, in der er lebte, und heraus kamen in jeder Hinsicht phantastische Geschichten. Moacyr Scliar, Sohn einer jüdisch-russischen Einwandererfamilie, kannte als Arzt Alltag, Wünsche und Ängste der Menschen im brasilianischen Süden sehr genau. Das Sichtbarmachen des Hintergrundes im scheinbar Vordergründigen war seine Kunst. Mit ihrem nachdenklich-traurigen Humor gehören seine Kurzgeschichten mit zu dem Besten, was die brasilianische Gegenwartsliteratur zu bieten hat. 1994 habe ich Scliar interviewt.
Eines der zentralen Themen Ihrer Literatur ist das jüdische Brasilien. Wie groß ist die jüdische Gemeinde in Brasilien in etwa, und wo lebt sie hauptsächlich?
Nun, die jüdische Gemeinde in Brasilien ist sehr klein. Es handelt sich um schätzungsweise 150 000 Personen bei einer Gesamtbevölkerung in Brasilien von rund 150 Mio Menschen. Sie macht also bei weitem nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung aus. Aber auch wenn die Anzahl der Leute sehr klein ist, sind sie doch sehr wichtig für Brasilien. Nicht nur, weil bestimmte Berufsgruppen besonders stark von ihnen vertreten sind, beispielsweise Freiberufler, Ärzte, Architekten, Ingenieure, Schriftsteller, Künstler, sondern auch, weil ihre Geschichte in Brasilien sehr interessant ist. Tatsächlich beginnt die Geschichte der jüdischen Präsenz in Brasilien in der Zeit der sogenannten Entdeckung. Unter den ersten Portugiesen, die Brasilien erreichten, waren die sogenannten „Neuchristen“, also wegen der drohenden Inquisition konvertierte Juden. Sie waren bereits auf der Flotte des „Entdeckers“ Pedro Alvares do Cabral. In der frühen Kultur Brasiliens, während der Zeit des ersten Reichtums des Landes, nämlich des Zuckerrohrs, war die jüdische Präsenz sehr intensiv. Unter den Zuckermühlenbesitzern waren vielfach Juden.
Wo lebt die jüdische Bevölkerung heute?
Hauptsächlich in der Stadt. Der größte Teil lebt in São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre, die gleichzeitig die größten Städte Brasiliens sind.
Wann kam Ihre eigene Familie nach Brasilien?
Meine Familie kam Anfang dieses Jahrhunderts. Sie war Teil einer Migrationsbewegung aus Europa, hauptsächlich aus Deutschland, Italien und Rußland, zu der eben auch die Juden gehörten. Ihr Ziel war der Bundesstaat Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens, dessen Klima dem im Europa sehr ähnelt.
Wie gestaltet sich das Zusammenleben von seit Jahrhunderten ansässiger jüdischer Bevölkerung, deutschen Nazis, die sich nach 1945 ebenfalls in Südbrasilien ansiedelten, und Juden, die vor eben diesen Nazis geflohen waren?
Ein Zusammenleben gab und gibt es nicht. Der Staat Rio Grande do Sul ist sehr groß. In manchen Orten siedelten sich die Deutschen an, in anderen die Italiener, wieder in anderen die Juden. Eigentlich hatten die Deutschen anfangs kaum Beziehung zum Nationalsozialismus, was sich später allerdings änderte.
Sehen Sie sich selbst als jüdischen Schriftsteller, als, sagen wir, Sprachrohr der jüdischen Bevölkerung oder der von Rio Grande do Sul? Wie würden Sie sich selbst definieren?
Ich verstehe mich als brasilianischer Schriftsteller. Zunächst einmal, weil ich auf Portugiesisch schreibe, zweitens, weil ich mich der brasilianischen Wirklichkeit sehr verbunden fühle. Deswegen würde ich so sagen: ich bin ein brasilianischer Schriftsteller, der ein neues Element in die brasilianische Literatur einführt, nämlich das jüdische Element. Aber ich würde mich nicht als jüdischen Autor bezeichnen, der in Brasilien lebt.
Im Nachbarland Argentinien gibt es, anders als in Brasilien, sehr viele Schriftsteller und vor allem Schriftstellerinnen mit einem jüdischen Hintergrund…
Nun, ich bin sicher nicht der einzige brasilianische jüdische Autor. Genau genommen ist die große brasilianisch-jüdische Autorin Clarice Lispector, die heute weltweit sehr viel gelesen ist. Allerdings beschäftigt sie sich nicht mit jüdischer Thematik. Die Art jedoch, wie sie schreibt, und ihr Humor sind typisch jüdisch. Neben ihr gibt es andere, weniger Bekannte, wie etwa ihre Schwester Elisa Lispector. Aber es ist nicht wie in Argentinien. Dort ist die jüdische Kultur sehr viel intensiver als in Brasilien. In Argentinien und besonders in Buenos Aires ist die jüdische Gemeinde auch viel größer, sie ist der in den USA sicher ähnlicher als der in Brasilien. Es gibt dort sehr viele intellektuelle Leute, für die Bücher, das geschriebene Wort, wichtig sind.
Ist die jüdische Gemeinde in Brasilien dem gegenüber zwar urban, gleichzeitig aber provinziell?
Nein, das ist in erster Linie eine Frage der Anzahl. In Argentinien leben viel mehr Juden als in Brasilien. Dann, denke ich, handelt es sich auch um eine Frage des kulturellen Umfeldes. Argentinien hat ein, sagen wir, entwickelteres kulturelles Umfeld als Brasilien. Folglich findet die jüdische Gemeinde dort auch einen größeren Widerhall für ihre kulturellen Äußerungen – wie in den USA, wo ja auch viele Autoren – und Autorinnen – Juden sind.
Sie sind nicht nur Schriftsteller, sondern auch Arzt?
Ja, ich habe viele Jahre lang im öffentlichen Gesundheitswesen gearbeitet. Heute arbeite ich nur Teilzeit, um mehr Zeit zum Schreiben zu haben. Ich könnte von meiner Schriftstellerei leben, denn ich schreibe nicht nur Bücher, sondern auch für Zeitschriften usw. Aber mein Arztberuf gefällt mir sehr. Deswegen schaffe ich es einfach nicht, damit aufzuhören. Gerade die Arbeit im öffentlichen Gesundheitswesen, wo ich mich um die einfache Bevölkerung kümmere, macht mir viel Spaß. Und diese Arbeit ist auch sehr notwendig in einem Land wie Brasilien, wo viele schlimme Krankheiten sehr verbreitet sind.
Wie haben Sie mit dem Schreiben angefangen?
Ich habe schon als kleiner Junge damit begonnen. Das ist übrigens eine interessante Geschichte. Meine Mutter hatte, obwohl sie Emigrantin war, studieren können und wurde schließlich Lehrerin. Sie war es, die mir Lesen und Schreiben beibrachte. Außerdem war sie eine Frau, die sehr gern Geschichten erzählte. Deswegen habe ich durch sie das Geschichtenerzählen gelernt. Ganz früh schon habe ich meine Geschichtchen aufgeschrieben, die sie dann in der Familie und bei den Nachbarn herumzeigte. Wir lebten damals im Judenviertel von Porto Alegre.
Ihr Schreiben ist sehr humorvoll. Eine humorvolle Passage verleitet oft zum spontanen Lachen, aber diesem Humor wohnt auch oft etwas sehr Trauriges inne. Was bedeutet Humor für Sie?
Eindeutig vorrangig das Zweitgenannte. Da ist eine Situation, die eine gewisse Komik beinhaltet, irgendetwas Lustiges, das zum Lachen bringt, und gleichzeitig hält man schon wieder ein und wird nachdenklich. Anders ausgedrückt, meine Texte führen nicht dazu, daß man sich vor Lachen ausschüttelt. Mein Humor bringt zum Lächeln und stimmt nachdenklich. Der jüdische Humor war immer eine Wappnung gegen das Verzweifeln. Denn die Juden sind ein Gruppe von Menschen, die sehr stark verfolgt wurden. Ihr Humor ist daher ein Schutz vor der Verzweiflung.
Verzweiflung vor dem allgemeinen Schicksal, oder hat die Verzweiflung für Sie auch eine ganz persönliche Dimension, in Ihrer Kindheit oder heute als Arzt im öffentlichen Gesundheitswesen?
Als Arzt habe ich natürlich viele schmerzhafte Augenblicke erlebt, ich habe viele Leute sterben sehen. Aus der Sicht des Mediziners weiß ich, daß das menschliche Leben sehr fragil ist. Es kann in jedem Moment durch den Tod beendet werden. Diese Erfahrungen des Arztes, der mit dem Leiden konfrontiert ist, summieren sich zur Erfahrung des Juden, der aus einer Tradition von jahrhundertealtem Leiden kommt, der die Erzählungen der Eltern kennt, die aus Europa fliehen mußten. Daher habe ich sogar einen doppelten Grund, den Humor als Waffe gegen die Verzweiflung zu benutzen.
Ich habe Sie als jemanden erlebt, der als Autor auf dem Podium sitzend eine Lesung sehr genießt. Sonst hat man bei Autoren oft den Eindruck, daß sie sich zu Tode langweilten. Die Veranstaltung einer Lesung ist allerdings eine europäische Angelegenheit. Zumindest in Brasilien ist sie nicht üblich. Welchen Kontakt haben Sie dort mit dem Publikum?
Ja, das stimmt. Wir veranstalten in Brasilien keine öffentlichen Lesungen, was ich sehr bedauere. Trotzdem ist mein Kontakt mit dem Publikum in Brasilien sehr intensiv. Ich reise viel herum und halte Vorträge. Vor allen Dingen macht es mir Spaß, vor jungen Leuten zu sprechen. Meines Erachtens ist Literatur etwas, was sich in ganz großem Maße an junge Leute richtet. Als ich jung war, suchte ich in Büchern das Rezept zum guten Leben. Und heute, glaube ich, habe ich gegenüber der jetzigen Jugend eine Schuld offen. Immer wenn ich kann, spreche ich zu jungen Leuten. Außerdem bin ich oft im Fernsehen und schreibe in der Zeitung. Ein Schriftsteller muß aber nicht notwendigerweise mit dem Publikum kommunizieren. Er kann auch allein bleiben, im Stillen seine Bücher schreiben und nie mit seinen Lesern zusammenkommen. Mir macht das aber Spaß, auch wenn es keine Verpflichtung für einen Schriftsteller ist.
Sie werden vielfach vor allem als Autor von Kurzgeschichten gesehen, obwohl Sie auch Romane geschrieben haben. Sind Sie mit dieser Charakterisierung einverstanden, und was zieht Sie an Kurzgeschichten besonders an?
Ja, ich mag Kurzgeschichten sehr. Und wenn man mich Kurzgeschichtenautor nennt, fühle ich mich keineswegs beleidigt. Diese Kennzeichnung kann durchaus zutreffend sein. Vielleicht ist die Kurzgeschichte sogar meine eigentliche Stärke. Ich glaube, ich liebe Kurzgeschichten deswegen so sehr, weil sie so etwas wie die Fortsetzung der biblischen Parabeln sind. Ich sehe die Kurzgeschichte als eine moderne Version dieser Parabeln. Es ist eine kurze Erzählung, die etwas Überraschendes birgt und eine Botschaft enthält.
… wobei die Botschaft oft vieldeutig bleibt. Nehmen wir „Das Ohr van Goghs“, eine Kurzgeschichte, die einem ganzen Band den Titel lieferte. Was ist für Sie darin zentral?
Diese Kurzgeschichte ist mir eines Tages eingefallen, als ich über van Gogh nachdachte. Plötzlich fragte ich mich, was wohl mit dem Ohr passiert war, das er sich abgeschnitten hat. Das ist ja eine sehr berühmt gewordene Episode: in seinem Wahnsinn schnitt sich van Gogh sein Ohr ab und schickte es der Frau, die er liebte. Ich fragte mich also, ob das Ohr immer noch existiert. Davon ausgehend schrieb ich dann die Geschichte eines Mannes, der den Plan faßt, das Ohr van Goghs, oder jedenfalls behauptet er, daß es das sei, an einen sehr reichen Mann zu verkaufen, der ein Bewunderer des Malers war. Aber in Wirklichkeit hat die Geschichte nichts mit van Gogh und auch nichts mit dem Ohr zu tun. Vielmehr hat sie zu tun mit der Beziehung jenes Mannes mit seinem Sohn, jener Junge, der diesen ziemlich verrückten Plan des Vaters begleitet. Was mich im Grunde interessiert hat, war die Beziehung jenes Jungen mit seinem Vater.
Wie sehen Sie, um im Bild zu bleiben, die Beziehungen des Vaters Staat Brasilien zu seinem Kind Kultur?
Brasilien befindet sich in einer Phase der Entwicklung des Kapitalismus, den man bis zu einem gewissen Punkt als wilden Kapitalismus bezeichnen könnte. Alles steht im Zeichen der Wettbewerbsfähigkeit, wobei die tatsächlichen Probleme der Gesellschaft schlicht ignoriert werden. Es ist klar, daß sich diese Situation im Verhältnis zur Kultur widerspiegelt. Kultur wird als etwas Verzichtbares betrachtet. Deswegen wird die Kultur von Seiten der Regierung kaum unterstützt. Denn die Kultur zeitigt keine unmittelbaren Resultate. Die Kulturleute hat das natürlich sehr verbittert. Andererseits halte ich es für wichtig, daß die Filmproduzenten, die Bildhauer, die Schriftsteller ohne die Unterstützung der Regierung zu leben lernen.
Wie spiegelt sich diese Situation im Literaturbetrieb?
Nun, unglücklicherweise können sich wegen der Preise nur die Leute mit entsprechender Kaufkraft Bücher kaufen. Allerdings war, was die Reichen angeht, die Literatur in Brasilien immer bemüht, eine pädagogische Rolle zu spielen. Den Reichen, besser gesagt, den Kindern der Reichen, sollten die herrschende soziale Ungleichheit und die Notwendigkeit von Veränderungen vor Augen geführt werden. Die Literatur in Brasilien hatte immer ein sehr starkes politisches Element. In der Epoche der Diktatur wurde es sogar noch stärker. Ich glaube, eins der Probleme, mit dem die brasilianische Literatur sich zur Zeit auseinandersetzen muß, ist genau das: das Ende der Diktatur nahm die politischen Bezugspunkte weg, die die brasilianischen Autoren angeleitet hatten.
In der eben genannten Kurzgeschichte wie auch andernorts spielt bei Ihnen die Vater-Sohn-Beziehung eine große Rolle…
Ja, das ist richtig. Ich denke, das ist ein sehr wichtiges Thema, und sicher steckt darin eine starke autobiographische Komponente. Ich schreibe manchmal als Sohn und manchmal als Vater. Ich habe einen jetzt fünfzehnjährigen Sohn und denke oft an ihn, wenn ich schreibe. Sogar Bücher widme ich ihm. Wenn über diese Beziehung, die im Leben jedes Menschen sehr wichtig ist, geschrieben wird, geschieht das meistens im Hinblick auf die Mutter-Sohn-Beziehung. Aber die Beziehung zum Vater ist auch eine wichtige und komplizierte Angelegenheit. Deswegen kommt sie bei mir auch immer wieder vor.
Sie sind Vater, aber auch Sohn…
Ja, ich habe auch einen Vater… Klar, die Beziehung zu meinem Vater war kompliziert. Denn die Kinder verlangen von den Vätern immer mehr, als sie geben können. Mein Vater war Immigrant, ein Mann mit geringer Bildung. Er tat für seine Kinder, was er konnte, aber wir dachten immer, daß es nicht genug war. Ich wollte immer mehr.
Ist diese komplizierte Beziehung auch ein Element der jüdischen Kultur, oder sehen Sie das als universales Problem?
Nein, das hat mit dem jüdischen Erbe zu tun. Wie ich es sehe, ist in der jüdischen Familie, vor allem in den jüdischen Einwandererfamilien, die Mutter die dominierende Figur. Die Mutter ist das Zentrum des Familienlebens. Das war schon so in Europa, gerade in den osteuropäischen Dörfern. Die Mutter war für das Haus und die Kindererziehung zuständig. Der Vater war eine Randfigur, weniger wichtig. Es ist nicht verwunderlich, daß der Jude Sigmund Freud als erster vom Ödipuskomplex geredet hat, von dieser Affinität des Sohnes zur Mutter und der Aggressivität dem Vater gegenüber. Das ist also etwas Kulturelles – von dem ich hoffe, daß es sich ändert.
In Ihrem letzten Roman, „Sonhos tropicais“ (Tropische Träume), steht der Vergleich zwischen Europa und Brasilien sehr stark im Mittelpunkt. Es geht um die Vermittlung, um die Suche nach der Brücke zwischen den Kontinenten. Auch Sie übernehmen in gewisser Weise eine Brückenfunktion. Spielte Ihr eigener Hintergrund in die Konfiguration mit hinein?
Ja. Brasilien hat eine sehr komplizierte Beziehung zu Europa. Man könnte es eine Beziehung der Haß-Liebe nennen. Einerseits bewundern die brasilianischen Intellektuellen sehr stark die europäische Kultur und ahmen sie nach. Andererseits sind sie wütend über diese Situation und würden sich am liebsten davon befreien. Daraus entsteht dann ein übertriebener Nationalismus derart, daß angeblich alles, was aus dem Ausland kommt, nichts wert sei. Ich glaube, daß die Lösung darin besteht, eine reife Beziehung mit der europäischen Kultur aufzubauen, denn letztendlich stammt die brasilianische Kultur zu einem großen Teil dorther. Die Brasilianer müssen Europa verstehen, wie auch umgekehrt. Die Hauptgestalt von „Sonhos tropicais“, Dr. Osvaldo Cruz, der als Wissenschaftler lange im Institut Pasteur in Paris gearbeitet hat, stellt ein tragisches Beispiel in diesem Sinne dar. Er ist ein Mann, der versuchte, die Werte der europäischen Wissenschaft nach Brasilien zu holen und darin scheiterte. Zunächst einmal, weil er die brasilianische Realität nicht verstand, aber umgekehrt auch, weil die Brasilianer ihn nicht verstanden. Daher ist es auch kein fröhliches Buch, aber ein sehr reales Buch, ganz anders als die Kurzgeschichten.
Sie selbst sind mit einer deutschen Jüdin verheiratet, der Tochter eines Berliner Ehepaares, das kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auf der Flucht vor den Nazis Deutschland verließ. Zur Zeit halten Sie sich in der Geburtsstadt Ihrer Frau auf. Was verbinden Sie mit dieser Stadt? Haben Sie hier etwas gesucht?
Gerade heute morgen waren wir an dem Haus, wo die Eltern meiner Frau gewohnt haben. Jetzt gehört das Haus natürlich jemand anderem, und wir konnten nur von draußen reinschauen. Berlin ist eine dieser Städte, in der sich selbst Menschen, die vorher nie dort waren, auf die eine oder andere Weise wiedererkennen. In Ostberlin beispielsweise bin ich durch ein Viertel gegangen, in dem Moses Mendelssohn, ein großer jüdischer Denker, lebte. Als wir nun die Umgebung sahen, in der er gearbeitet hat, fühlten wir plötzlich seine Präsenz. Genauso ging es uns an dem Ort, an dem Brecht arbeitete. Das Werk solcher Künstler ist so sehr Bestandteil des modernen Menschen, daß wir alle irgendwie Bürger Berlins sind, wie wir auch Bürger von Paris, London, New York oder Rio de Janeiro sind.