„Eine andere Welt ist moeglich“. Nach 13 Jahren Teilhabe am oeffentlichen Nahverkehr von Cochabamba klingt das Motto der Sozialforumsbewegung diesbezueglich noch immer wie ein Versprechen. Gewiss zumindest in der chronisch verstopften Innenstadt hat der „Cholango“, der eher als Folkpopmusiker der Gruppe Tupay bekannte Buergermeister Edwin Castellanos, neue Parkverbotszonen, Zufahrtsbeschraenkungen nach Wochentagen, und feste Haltestellen einfuehren lassen, um das permanente Stop and Go etwas fluessiger und auch umweltfreundlicher zu gestalten. Und zur Ueberraschung aller halten sich viele sogar daran. Ein Taxifahrer, der zuerst heftig gegen die Einschraenkungen in der Ausuebung seines Gewerbes protestiert hatte, raeumte ein, dass er jetzt zwar weniger Zeit in der Innenstadt verbringe, dabei aber mehr verdiene, weil mehr gefahren als gestanden wird.
Das heisst aber nicht, dass das Paradox des oeffentlichen Nahverkehrs im bald auf eine Million Einwohner angewachsenen Grossraum Cochabamba geloest waere:
Es gibt einen heftigen Streit um Routen und Tarife, die periodisch in Transportstreiks und Strassenblockaden ihren Ausdruck finden. Neben den Taxis gibt es noch die Micros, die zwar kleiner sind als die in Deutschland ueblichen Stadtbusse, aber doch deutlich groesser – und wegen des permanenten Ein- und Ausstiegs – auch langsamer als die Trufis, Taxis oder Kleinbusse mit fester Route. Und alle wollen die lukrativen zentrumsnahen Routen mit dem hoechsten Fahgastaufkommen nutzen und am besten zur Hauptverkehrszeit fahren. Mit dem Ergebnis, dass ich abends nach Dienstschluss vor meinem zentrumsferneren Buero haeufig bis zu einer Stunde darauf warten muss, in den wenigen – selbstverstaendlich ueberfuellten – Kleinbussen wenigstens einen rueckengebeugten Stehplatz zu bekommen. Wenn ich statt dem direkten Heimweg in den Vorort stattdessen meine Tochter im Zentrum von der Musikschule abhole, dauert es oft ebenso lang. Es gibt zwar viel mehr Busse, aber die sind ebenso voll, weil sie in den Stosszeiten immer noch lange im Stau stehen. Vom Fahrradfahren ganz zu schweigen. Das ist inzwischen zu einem lebensgefaehrlichen Unterfangen geworden und beschraenkt sich zumindest bei denen, die sich die ein Taxi oder gar ein eigenes Auto leisten, auf die Tage, an denen Transportstreik oder Strassenblockaden herrschen. Dann dauert alles deutlich laenger, Heerscharen von Fussgaengern bevoelkern die Strasse, die der dann deutlich sauberen Luft umstaendehalber allerdings wenig abgewinnen koennen.
Wuerden hoehere Preise das Angebot verbessern? Waeren sie politisch durchsetzbar, dann waere das schon laengst geschehen. Umgerechnet 20 Cent pro Fahrt klingt zwar billig, und die Fahrer gehoeren in Bolivien zu den am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen, doch beim Umsteigen muss erneut gezahlt werden. Guenstigere Monats- oder Wochenkarten gibt es nicht. Mehr Fahrzeuge in der Stadt wuerden den Verkehr noch staerker zum Stocken bringen und groessere Busse stossen auf den Widerstand der Transportgremien.
Und nebenbei: Die Enge verbindet. Beim Ein- und Aussteigen, Zusammenruecken, bei den Klagen der Fahrzeuginsassen, wieviele Passagiere der Chauffeur noch zusteigen lassen will, und bei den Wartenden am Strassenrand, warum die Busse ohne Halt vorbeifahren. Eine Frage der Perspektive. Waehrend die einen schweigsam leiden oder ihr Ziel abwarten, nutzen andere die Fahrtzeit fuers Handy. Die Umsitzenden erfahren vom Rechtsstreit um ein Grundstueck oder von Vertroestungen. „Ich bin schon fast am Kino-Center“… obwohl bis dahin noch die halbe Stadt durchfahren werden muss. Man bekommt die neuesten Musikmoden mit und fragt sich, warum im Juli 2013 der Sirtaki aus dem Film Alexis Sorbas und „Griechischer Wein“ von Udo Juergens ploetzlich im bolivianischen Radio gespielt werden. Nicht immer deckt sich der Publikumsgeschmack mit den Prioritaeten des Fahrers und Rap mischt sich mit der Nachricht von der Zwangslandung des Praesidentenflugzeugs in Wien oder den neuen Schikanen gegen die Sprecher der Gemeinden des TIPNIS, die sich gegen den Bau einer Ueberlandstrasse wehren. Neulich diskutierte eine Gruppe Jugendlicher lautstark ueber Homosexualitaet, tauschte Informationen ueber einschlaegige Ratgeber und Facebook-Adressen aus, eine junge Frau outete sich vor aller Ohren. Undenkbar vor einem Jahrzehnt. Der oeffentliche Nahverkehr als Spiegel sozialen Wandels. Oder doch nur als ein Ort neuer Strategien der Oeffentlichkeitsarbeit? Denn dann spielte die selbe Frau ein kleines Hoerspiel auf ihrem Handy ab. Der Titel: „Ein anderer Gott ist moeglich“. Ein aus naheliegendem Grund fiktives Interview mit Jesus, der ganz andere Antworten zum Thema gab, als es derzeit der offiziellen roemisch-katholischen Lehrmeinung entspricht. Paulus als Pharisaeer, der in seinen Briefen seine Vergangenheit noch nicht ganz ueberwunden hat. Und zu gleichgeschlechtlichen Ehen: „Warum nicht, wenn Liebe dabei ist.“ Als ich Aussteigen musste, hoerte ich die selbstbewusste Stimme der jungen Frau gerade noch sagen: „Soziale Kommunikation im Sammeltaxi“.