92 Feminizide gab es bereits in diesem Jahr in Bolivien: Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Gerade einmal zwei Fälle weniger als im Vorjahr bis zu diesem Zeitpunkt. Insgesamt wurden von der Staatsanwaltschaft 28.060 Fälle von Gewalt an Frauen registriert. 91% aller Fälle innerfamiliärer Gewalt. In den restlichen 9% sind die Opfer männlichen Geschlechts.
Trotz einer vielversprechenden Gesetzgebung, mit der fast im ganzen Land unter anderem Sondereinheiten der Polizei sowie städtische Opferberatungsstellen eingerichtet wurden, scheint es kaum voranzugehen bei der Verringerung des Gewaltniveaus.
Die Polizei klagt über mangelnde Ausstattung. In vielen Beratungsstellen, deren Budget angesichts rückläufiger Erdgasexporteinnahmen dieses Jahr gekürzt wurde, wechselt permanent das Personal, was eine gute Betreuung erschwert.
„Wir alle sind verantwortlich, nicht nur die Verantwortlichen im Staatsapparat“ und die Indifferenz angesichts der Gewalt sei nicht akzeptabel, appellierte Vizepräsident Alvaro García Linera und schlug vor, ein öffentliches Register im Internet einzuführen. Kein Täter dürfe mehr unerkannt über die Straße gehen, sobald der Staatsanwalt einmal Anklage erhoben habe.
Das Gesetz 348 für ein Leben ohne Gewalt sieht Bestrafung, aber auch vor, an den Ursachen von genderspezifischer Gewalt anzusetzen. Etwa durch Therapieangebote für Täter, die in Cochabamba oder Sucre bereits Erfolge vorweisen können. Über 100 Psychologen wurden dafür in Therapiemethoden ausgebildet. Doch angesichts der angespannten Finanzsituation fehlen die Stellen, um den massiven Bedarf abdecken zu können.
Im Studio des Jesuitenradios ACLO in Potosí sitzen Reynaldo, Elisa und Marco Antonio, Jugendliche aus dem Bergarbeitermilieu, das für seine besonders machistische Kultur bekannt ist. Die Jugendlichen sind nervös. Es ist ihre erste Radiosendung, mit der sie ihre Altersgenossen für den gemeinsamen Einsatz gegen Gewalt und für einen respektvollen Umgang zwischen den Geschlechtern motivieren wollen. Mit kleinen Entspannungsübungen schaffen sie es, sich auf das Manuskript zu konzentrieren. Das haben sie mit Unterstützung von Sandivel Miranda, einer zierlichen, aber energischen Rechtsanwältin der INTERTEAM-Partnerorganisation CEPROMIN vorbereitet. Gespielt wird das Lied „17 años” der Gruppe Angeles Azules, in der es um eine Beziehung zwischen einem Erwachsenen zu einer 17jährigen geht. „Ich liebe ihre Unschuld, ich liebe ihre Irrtümer…“. Liebe?. Sie alle hätten schon zu dem Lied getanzt, aber hätten sie je über den Text nachgedacht? Der Song verschleiere sexuelle Gewalt, die zudem unter Strafe stehe.
In einem anderen Vorhaben, gemeinsam mit der städtischen Beratungsstelle für Gewaltopfer, haben Jugendliche eine Fotogeschichte erarbeitet, mit der sie in die Schulen gehen wollen. Geschichten voller Eifersucht, Untreue, Ziellosigkeit, aber auch der Unfähigkeit miteinander zu reden, die in Gewalt münden. Noch hat der Bürgermeister nicht sein Einverständnis für die Verbreitung gegeben. Doch klar ist: Wenn die Jugendlichen untereinander und in ihrer Sprache über obsolete Geschlechterrollen und ihre Alltagsprobleme reden, kann Gewalt in der Zukunft vorgebeugt werden. Auch mit den Männern.
Titelfoto: Demonstration zum 25. November in La Paz (Pagina Siete), Textfoto: Anti-Stress-Übung gegen die Nervosität vor der ersten Sendung zu einem schwierigen Thema (Foto: Strack/INTERTEAM)