Heute ist die sechstägige Reise von Papst Franziskus durch Ecuador, Bolivien und Paraguay zu Ende gegangen. Höhepunkt war die bisher politischste Rede seiner Amtszeit, die er am Donnerstag vor 2000 Mitgliedern sozialer Bewegungen im bolivianischen Santa Cruz hielt (auf dem Foto die Begrüßung durch Präsident Evo Morales).
Auszüge:
Dem Ökosystem werden Schäden zugefügt, die vielleicht irreversibel sind. Die Erde, die Völker und die einzelnen Menschen werden auf fast barbarische Weise gezüchtigt. Und hinter so viel Schmerz, so viel Tod und Zerstörung riecht man den Gestank dessen, was Basilius von Cäsarea den „Mist des Teufels“ nannte. Das hemmungslose Streben nach Geld, das regiert. Der Dienst am Gemeinwohl wird außer Acht gelassen. Wenn das Kapital sich in einen Götzen verwandelt und die Optionen der Menschen bestimmt, wenn die Geldgier das ganze sozioökonomische System bevormundet, zerrüttet es die Gesellschaft, verwirft es den Menschen, macht ihn zum Sklaven, zerstört die Brüderlichkeit unter den Menschen, bringt Völker gegeneinander auf und gefährdet – wie wir sehen – dieses unser gemeinsames Haus. Ich möchte mich nicht damit aufhalten, die üblen Auswirkungen dieser subtilen Diktatur zu beschreiben – ihr kennt sie.
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Die erste Aufgabe ist, die Wirtschaft in den Dienst der Völker zu stellen: Die Menschen und die Natur dürfen nicht im Dienst des Geldes stehen. Wir sagen Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der sozialen Ungerechtigkeit, wo das Geld regiert, anstatt zu dienen. Diese Wirtschaft tötet. Diese Wirtschaft schließt aus. Diese Wirtschaft zerstört die Mutter Erde.
Den Gegenentwurf, für den sich die sozialen Bewegungen weiterhin einsetzen sollten, fasste er unter den Begriff des Buen Vivir (in Bolivien: Vivir Bien, auf deutsch etwa: „Gutes, erfülltes Leben“).
Diese Wirtschaft ist nicht nur wünschenswert und notwendig, sondern auch möglich. Sie ist weder Utopie, noch Fantasie. Sie ist eine äußerst realistische Perspektive. Wir können sie erreichen. Die in der Welt verfügbaren Ressourcen – eine Frucht der generationsübergreifenden Arbeit der Völker und der Gaben der Schöpfung – sind mehr als ausreichend für die ganzheitliche Entwicklung eines jeden Menschen und des ganzen Menschen.
Das Problem ist hingegen ein anderes. Es existiert ein System mit anderen Zielen. Ein System, das trotz der unverantwortlichen Beschleunigung der Produktionsrhythmen, trotz der Einführung von Methoden in Industrie und Landwirtschaft, welche um der „Produktivität“ willen die Mutter Erde schädigen, weiterhin Milliarden unserer Brüder und Schwestern die elementarsten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verweigert. Dieses System verstößt gegen den Plan Jesu.
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Es gibt immer noch Faktoren, die diese gerechte menschliche Entwicklung untergraben und die Souveränität der Länder der „Großen Heimat“ (=Lateinamerika, GD) und anderer Regionen einschränken. Der neue Kolonialismus nimmt verschiedene Gestalten an. Manchmal ist es die anonyme Macht des Götzen Geld: Körperschaften, Kreditvermittler, einige so genannte „Freihandelsabkommen“ und die Auferlegung von „Sparmaßnahmen“, die immer den Gürtel der Arbeiter und der Armen enger schnallen.
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In gleicher Weise ist die monopolistische Konzentration der sozialen Kommunikationsmittel, die entfremdende Konsummodelle und eine gewisse kulturelle Uniformität durchzusetzen versucht, eine weitere Gestalt, die der neue Kolonialismus annimmt. Es ist der ideologische Kolonialismus.
Kein Wunder, dass solche Ausführungen des Öko-Papstes von vielen dieser Medien weitgehend ignoriert werden (eine rühmliche Ausnahme bildet die New York Times). Und dass der brasilianische Intellektuelle Emir Sader nur noch zwei linke Regierungschefs in Europa sieht: Alexis Tsipras aus Griechenland – und eben Franziskus.
[…] Die Papstworte hätten ihnen vermutlich gefallen: Dass man das Geld und die Konsuminteressen Einzelner nicht über Mutter Erde stellen solle. Die werde derzeit straflos zerstört, wo sie doch das Haus aller lebenden Wesen sei. Damit überwand Franziskus die dem christlichen Abendland zugesprochene anthropozentrische Weltsicht und kam dem Verständnis von Gutem Leben der andinen Kulturen erstaunlich nahe. Ebenso, als er den Priestern und Nonnen ans Herz legte, die eigenen Ursprünge, Sprachen und Kulturen nicht zu vergessen. Auch die Betonung der Rolle eines Kulturwandels beim „Proceso de Cambio“ und die Infragestellung des Wunsches, alle Machtinstrumente besetzen zu wollen und die Macht an einer Stelle zu konzentrieren, kann als Kritik am Präsidenten interpretiert werden. Auch wenn sie so allgemein und diplomatisch formuliert waren, dass auch die in erster Reihe sitzenden Evo Morales und Vizepräsident Alvaro Garcia Linera sich nicht auf die Füße getreten fühlen mussten. […]