vonGerhard Dilger 16.08.2011

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Gegen die Finanzkrise setzt Brasilien auf Schutzmaßnahmen und regionale Integration

Gelassen verfolgt Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff die bisherigen Turbulenzen an den Finanzmärkten. Gegen eine Ansteckung durch die Schuldenkrise in den USA und Europa setzt Brasilien auf Barrieren gegen Spekulationskapital und Dumpingimporte. Mit den Nachbarn in Südamerika will die Regionalmacht noch enger zusammenrücken.

“Wir wissen nicht genau, was auf uns zukommt”, gestand Rousseff dem Wochenmagazin Carta Capital. Wegen der höchst sensiblen Lage will die studierte Ökonomin ihr “Rezept” nicht verraten. Die punktuellen Maßnahmen, die die brasilianische Mitte-Links-Regierung bereits seit Wochen ergreift, würden allerdings fortgesetzt, kündigte sie an.

Sorgen macht der Staatschefin vor allem die Zunahme der Importe, die durch die massive Aufwertung der Landeswährung Real in den vergangenen Jahren begünstigt wurde: Brasilien dürfe nicht mit importierten Produkten überflutet werden, die durch “unfaire, oft sogar perverse Konkurrenz” künstlich verbilligt seien – brasilianische Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Während Brasiliens Importe in den ersten sieben Monaten 2011 um 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr zunahmen, stagniert die einheimische Industrie. Dem sogenannten Big-Mac-Index des britischen Magazins “Economist” zufolge, mit dem man die Kaufkraft diverser Währungen recht genau messen kann, ist der Real im Vergleich zum Dollar derzeit um rund 50 Prozent überbewertet.

Freilich liegt das auch an der brasilianischen Hochzinspolitik, einem klassisch liberalen Instrument zur Inflationsbekämpfung. Trotz einer neuen Finanztransaktionssteuer ziehen die hohen Zinsen enorme Mengen von spekulativem Finanzkapital aus den Industrieländern an. Während der Turbulenzen der vergangenen Woche floss jedoch ein Teil davon wieder ab.

Zugleich werden die brasilianischen Exportprodukte immer weniger wettbewerbsfähig. Sinkende Rohstoffpreise für Mineralien oder Soja könnten sich ebenfalls bald negativ in der Exportbilanz niederschlagen. Finanzminister Guido Mantega beklagt, die USA versuchten, ihre Wirtschaftskrise auch mit einem schwachen Dollar über den Export zu lösen.

Gegen diesen “Währungskrieg” verkündete er weitere Steuern auf Finanztransaktionen und größere Kontrollen bei Termingeschäften. Einheimische Firmen werden bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt, Technologieunternehmen bekommen günstige Kredite. Zudem dürfen sich personalintensive Firmen der Branchen Bekleidung, Möbel, Software und Schuhe, aber auch Kleinunternehmer generell über Steuererleichterungen und die Streichung von Sozialabgaben freuen.

Mit diesen Maßnahmen setzt sich Brasilien gezielt von den neoliberalen Rezepten ab, die in den USA und Europa dominieren. “Anstatt den Kurs zu ändern, reagiert man dort mit dem, was die Krise ausgelöst hat”, kritisiert Rousseff: In den USA schrumpfe die Rolle des Staates weiter, den krisengeschüttelten Ländern Südeuropas verordne ein “übernationaler Staat” weitere Sparmaßnahmen.

Brasilien hingegen möchte die sozialdemokratisch grundierte Integration Südamerikas weiter vorantreiben, die im vergangenen Jahrzehnt begonnen wurde: Am letzten Freitag beschlossen die Finanzminister und Zentralbankchefs der zwölf südamerikanischen Staaten (Unasur) in Buenos Aires, einen regionalen Fonds einzurichten, um antizyklisch auf die Auswirkungen der Krise in der Region reagieren zu können.

“Unsere Märkte sind dynamischer als jene der Industrieländer, unsere Finanzen solide”, erklärte der Brasilianer Mantega. Optimistisch fügte er hinzu, Lateinamerika habe das Zeug, im 21. Jahrhundert zu einem “globalen Entwicklungspol” zu werden.

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https://blogs.taz.de/latinorama/keine_neoliberalen_rezepte_mehr/

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kommentare

  • Der endgültige Zusammenbruch (globale Liquiditätsfalle)

    Die Unvermeidbarkeit einer erneuten Schrumpfung der Weltwirtschaft ergibt sich zwingend aus der Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz, die sich seit dem Beginn der “Finanzkrise” keinesfalls verringert hat, sondern sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten unvermindert anhält. Der dadurch bedingte Kaufkraftverlust der breiten Masse führt insbesondere in den Zinsverlierer-Staaten zu immer mehr Massenarmut und Hungersnöten. Das wird allerdings nicht der Auslöser für den Zusammenbruch sein, sondern genau wie im Herbst 2008 ein Vertrauensverlust der Anleger in den Kapitalmarkt, der bereits begonnen hat.

    Als das Vertrauen der Anleger vor drei Jahren erschüttert wurde, bestand immer noch Vertrauen in die Haushalte der Industrienationen, sodass viele Sparer in den “sicheren Hafen” der Staatsanleihen flüchteten, was die hohe Politik wiederum in die Lage versetzte, die Geschäftsbanken mit staatlichen Bürgschaften abzusichern und “Konjunkturpakete” zu finanzieren, um das kapitalistische System bis heute aufrecht zu erhalten. Der Bundesrepublik Deutschland geht es deshalb noch verhältnismäßig gut, weil sie als größte und exportstärkste Volkswirtschaft der größte Zinsgewinner innerhalb der Euro-Zone ist und sich seit Einführung des Euros auf Kosten einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den schwächeren Mitgliedsstaaten (Portugal, Irland, Griechenland, Spanien) einigermaßen gesund erhalten konnte. Als kaum zu vermeidende Gegenreaktion wurden die deutschen Steuerzahler von der hohen Politik dazu gezwungen, für Hilfskredite an die überschuldeten Mitgliedsstaaten zu bürgen.

    Heute gibt es keinen “sicheren Hafen” mehr für die Anleger, denn auch die Staatsanleihen gelten nicht mehr als sicher! Weitere staatliche “Konjunkturpakete” sind nicht mehr zu finanzieren, es kommt zu Bank-Runs, Massenentlassungen, allgemeiner Hoffnungslosigkeit, einem fortschreitenden Zusammenbruch der globalen Arbeitsteilung in rasendem Tempo, während die hohe Politik bis zur totalen Handlungsunfähigkeit gelähmt wird. Das wird nicht irgendwann passieren, sondern innerhalb der nächsten Monate:

    http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/08/666-tage.html

    Die globale Liquiditätsfalle (Armageddon) ist die Voraussetzung dafür, dass der kollektive Wahnsinn der Religion (Rückbindung auf den künstlichen Archetyp Jahwe = Investor) überwunden und der eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation, die Natürliche Wirtschaftsordnung (Marktwirtschaft ohne Kapitalismus), verwirklicht werden kann:

    http://www.deweles.de/willkommen/cancel-program-genesis.html

  • Mmhh…

    In den USA schrumpfe die Rolle des Staates weiter, den krisengeschüttelten Ländern Südeuropas verordne ein “übernationaler Staat” weitere Sparmaßnahmen.

    “Unsere Märkte sind dynamischer als jene der Industrieländer, unsere Finanzen solide”, erklärte der Brasilianer Mantega.

    Die brasilianischen Staatsfinanzen sind solide, ein Gleichgewicht, das ab den 90ern mühsam erkämpft wurde. Gleichzeitig können sich wohl brasilianische Politiker kaum darüber beschweren, dass sich europäische und nordamerikanische Regierungen an einer Haushaltskonsolidierung versuchen. Ähnliches bildete ja die Basis des aktuellen Aufschwungs in Brasilien und wurde zu keiner Zeit von da Silva oder Roussef konterkariert.

    Embraer bleibt eher eine Ausnahme. Hauptsächlich bleibt der brasilianische, peruanische, argentinische, chilenische, paraguayanische, uruguayanische etc. Aufschwung von den hohen Preisen für Primärgüter wie Kupfer, Soja, Gold, Silber, etc. getragen und damit halt vulnerabel.
    Worte über regionale Integration sind schön und nett. Nur muss man denen auch Taten folgen lassen.

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