vonPeter Strack 18.10.2017

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Der zweite Tag des Internationalen Forums zu Kinderarbeit im bolivianischen La Paz war ein Tag der Ernüchterung und Ambivalenzen. Es war der Tag, an dem die Sozialpolitik für arbeitende Kinder in Bolivien diskutiert wurde. Da waren arbeitende Kinder, die den staatlichen Stellen ihre Unterstützung bei der Umsetzung der bolivianischen Gesetzgebung anboten. Doch mit Ausnahme der Leiterin der Kinderrechtsbüros der Stadt La Paz waren die Vertreter des Arbeits- und des Justizministeriums, die zunächst ihre Redebeiträge zugesagt hatten, nicht erschienen.

„Das bolivianische Kinder- und Jugendgesetz ist gut“, meinte eine Kinderarbeiterin aus dem Bergwerkszentrum Llallagua, „aber es schadet uns. Denn niemand kennt das Gesetz richtig oder weiß es anzuwenden“. Und Juan David Catari Ticona, Präsident der Union arbeitender Kinder Boliviens, wusste von Fällen zu berichten, wo Personal der staatlichen Kinderrechtsbüros ihn um ein Exemplar des Gesetzes gebeten habe, als er seine Umsetzung eingefordert habe.

„Haben sich die Kämpfe für das Gesetz überhaupt gelohnt?“, fragte Manfred Liebel von ProNATs aus Berlin die Kinder. Für ihn war die Verabschiedung vor drei Jahren bei allen Kompromissen und internen Widersprüchen ein auch für andere Länder zukunftsweisender Paradigmawechsel. Doch dessen Essenz, den Schutz der Rechte der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und die persönlichkeitsbildenden Elemente von produktiver Tätigkeit anzuerkennen, drohe derzeit im gesellschaftlichen aber auch Richtungsstreit innerhalb der Regierung verloren zu gehen.

Die Pädagogin und Agronomin Eliana Apaza aus der peruanischen Titikakaregion hatte zuvor dargelegt, dass es in ihrer Sprache Aymara überhaupt kein Wort für Arbeit gibt. „Wenn wir auf dem Acker sind, ist das keine Last, sondern wir sind froh.“ Da gebe es keine festen Arbeitszeiten und wenn Kinder bei der Aussaat dabei wären, dann würde auch die Ernte besser ausfallen. Das sei keine „Kinderarbeit“, sondern „gutes Leben.

Dass das bolivianische Kinder- und Jugendgesetz die produktiven Tätigkeiten im gemeinschaftlichen und familiären anerkenne und dafür keinen Regelungsbedarf sehe, lobte Liebel als eine der wichtigen Neuerungen. Doch die Betrachtung von selbständiger Arbeit im informellen Sektor oder abhängiger Beschäftigung nur als Ausnahmen, die zu genehmigen sind, öffne die Tür für eine nur selektive Umsetzung des Kodex in den Teilen, die international nicht umstritten sind. So wenn die städtischen Kinderschutzbüros sich auf die Kontrolle der Arbeitsbedingungen beschränken, statt sich proaktiv für die umfängliche Durchsetzung der Rechte dieser Kinder einzusetzen.

Klar wurde, dass die zuständigen Kinderrechtsbüros derzeit mit der umfassenden Umsetzung des Gesetzes völlig überfordert sind. Und was als Schutzmaßnahme gedacht war, wie die Arbeitserlaubnis nach Prüfung der Vorraussetzungen, entpuppt sich als ein bürokratischer Aufwand ohne die Situation der Kinder wirklich zu verbessern.

Martine Greischer versucht in Cochabamba im Projekt „Würdige Arbeit“ Kindern und Jugendlichen Arbeitsplätze zu vermitteln, die den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden. Sie beklagte jedoch, dass eine Arbeitserlaubnis früher – wie im Fall einer 16jährigen Mutter, den sie erlebt hatte – eine Sache von wenigen Stunden gewesen sei, heute aber mindestens eine Woche benötige. Die meisten Arbeitgeber hätten bis dahin meist das Interesse verloren, wenn sie sich den bürokratischen Aufwand nicht von vorneherein zu ersparen suchen. Im Ergebnis verzichten die Kinder auf die Arbeitsgenehmigung und landen in weniger gesicherten Arbeitsverhältnissen.

Deshalb berichtete Greischer, wie in Cochabamba ein Runder Tisch die verschiedenen staatlichen und privaten Institutionen zusammengebracht hat, um sich besser abzustimmen und praktische Lösungen zu finden. Häufig bestehen diese jedoch in der Übernahme von Verantwortung etwa bei der psychologischen oder der Sozialdiagnose durch Nicht-Regierungsorganisationen. Aber man einigte sich zum Beispiel auch auf die Ausstellung einer vorläufigen Genehmigung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 72-Stunden-Frist. Denn die ist vor allem aufgrund der personellen Engpässe nicht einhaltbar. Auch sei etwa die Schulbesuchsbescheinigung nicht mehr auf die öffentlichen Schulen begrenzt. Auch berufliche Fortbildungen würden anerkannt.

Jennifer Haza, die im mexikanischen Chiapas indigene arbeitende Mädchen unterstützt, äußerte sich jedoch skeptisch in Bezug auf Arbeitsplätze im kommerziellen Sektor. In der Stadt San Cristobal habe es Fortbildungsprogramme im Tourismus gegeben. Das Einkommen stärke zwar die Autonomie, insbesondere bei Mädchen, doch die Arbeit in Dienstleistungen, auch wenn sie gesetzliche Vorgaben erfülle, verfestige ihre untergeordnete Rolle und mangelndes Selbstbewusstsein.

Olga Nieuwenhuys öffnete mit ihrem Denkansatz der „gelebten Rechte“ den Blick auf die Regelungskapazitäten der Gemeinden und Familien vor Ort. Die Kinder in dem indischen Dorf in Kerala, in dem sie geforscht hat, wollten arbeiten und in die Schule gehen und hätten keine Kinderrechtskonvention nötig, um ihre Rechte zu kennen. Aber als sie ein arbeitendes Mädchen dort gefragt habe, ob sie auch mit Puppen spiele, hätte das Mädchen ablehnend reagiert. Sie habe es als Anmaßung empfunden, dass man von ihr dächte, sie würde ihre Zeit mit so nutzlosen Dingen verbringen. Und die Delegation aus dem Senegal berichtete, wie arbeitende Kinder ihre eigenen Rechte formuliert hätten, an deren Umsetzung sie sich orientierten.

Gleichwohl liess Manfred Liebel gegen Ende des Tages durchblicken, dass es sich immer noch lohnt, für eine umfassende Umsetzung des Kinder- und Jugendgesetzes in Bolivien zu engagieren. Dafür sei jedoch öffentlicher Druck nötig.

 

Fotos: Peter Strack, Jürgen Sand; Zeichnungen: Alejandra Lopez Maida/Inti Watana

Ein aktueller  anschaulicher Besuchsbericht bei den arbeitenden Kindern und ihrer Organisation in der Bergwerksstadt Potosí findet sich auf der Homepage  des Reiseanbieters ventura.

Vorträge zur Arbeit von indigenen Kindern in Peru und Mexiko, sowie zum Runden Tisch von Cochabamba auf spanisch.

Podiumsdiskussion zur Implementierung des Kinder- und Jugendgesetzes in Bolivien auf Spanisch

Interview mit dem Mitveranstalter Manfred Liebel von ProNATs in der November-Ausgabe der Zeitschrift ila

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