vonChristian Russau 30.10.2015

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Jahrelang war es die größte Baustelle Kolumbiens. In der nordkolumbianischen Region Santander baute das Unternehmen Isagen ein Wasserkraftwerk am Fluss Sogamoso– mit Beteiligung deutscher Unternehmen, (Rück-)Versicherungen und einer Hermesbürgschaft. Isagen versprach der lokalen Bevölkerung Entwicklung und Wohlstand, die kolumbianische Regierung versprach sich eine energetische Erschließung der abgelegenen Region. Mitte 2014 wurde der Stausee geflutet, seit Dezember 2014 sind die ersten Turbinen in Betrieb. Bei kompletter Auslastung soll das Kraftwerk 5.056 Gigawatt-Stunden Strom im Jahr erzeugen. Aber die Menschen am Fluss sind ernüchtert. Statt der versprochenen Verbesserung ihrer Lebensumstände haben sie ihre Lebensgrundlagen verloren und kämpfen um Entschädigung.

Santander, eine Region 285 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogotá. Dort fliesst der Fluss Rio Sogamoso durch eine Region tropischer Bergwäldern mit einer hohen Artenvielfalt, bevor er den größten Fluss des Landes, den Rio Magdalena, speist. Die Menschen vor Ort leben am und vom Fluss, betreiben Land- und Viehwirtschaft, und sie sind auf das Wasser des Sogamoso angewiesen.

Mit dem Bau des Hidrosogamoso-Wasserkraftwerks aber veränderte sich das Leben der Menschen am Rio Sogamoso dramatisch. Flussabwärts ist der Fluss teilweise nur noch ein Rinnsal, Ende 2014 begann die Flutung des Stausees, die eine Fläche von 70 Quadratkilometern überschwemmt, dort, wo zuvor Menschen lebten, Ackerfeldwirtschaft betrieben, ihr Vieh weidete.

Das Megastaudammprojekt Hidrosogamoso hat schwerwiegende Auswirkungen auf Menschen und Umwelt | Foto: Archiv Ríos Vivos
Das Megastaudammprojekt Hidrosogamoso hat schwerwiegende Auswirkungen auf Menschen und Umwelt | Foto: Archiv Ríos Vivos

Entschädigungen für die Menschen? „Unzureichend und nicht für alle, die betroffen sind“, kritisiert Juan Pablo Soler vom Movimiento Ríos Vivos aus Kolumbien, der die Betroffenen seit Jahren in ihrem Kampf um Gerechtigkeit und Entschädigung begleitet.

Die Staudammbetreiberin Isagen sagt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Konsultationen in 128 Gemeinden mit 2.100 Personen durchgeführt wurden. Das Umweltgutachten zum Hidrosogamoso-Projekt schätzt die Zahl der betroffenen Menschen hingegen auf 30.000.

Bislang wurden mehr als 180 Familien umgesiedelt und sehen sich heute oftmals mit schlechteren Lebensbedingungen konfrontiert als zuvor. Zugewiesenes Ersatzland ist teilweise deutlich kleiner als versprochen. 73 Familien erreichten im September 2015 erst nach 177 Tagen Dauerprotest vor dem Regierungsgebäude die Zusage, durch Agrarprogramme neue Einkommensmöglichkeiten zu erhalten. Viele Betroffene wurden gar nicht entschädigt, unter anderem Menschen, die von Tourismus und Gastronomie gelebt hatten, Straßenverkäufer/innen, Tagelöhner und Fischer. Dammabwärts sind die Fischbestände stark dezimiert und reichen den Familien kaum noch, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Es gibt an all dem eine klare deutsche Beteiligung an Hidrosogamoso.

Zunächst einmal Siemens: Die kolumbianische Niederlassung von Siemens, Siemens S.A. liefert vier Transformatoren, ist dabei zuständig für das Ingenieursdesign, übernimmt zudem die Lieferung, den Einsatz und Kontrolle von 22 transportablen Elektro-Substationen. Und aus dem Frankfurter Werk wird die Lieferung gasisolierter Schaltanlagen vom Typ 8DJH getätigt.

Aus Ravensburg liefert die deutsche Tochter der österreichischen Andritz, Andritz Hydro, drei Großturbinen vom Typ Francis. Jede dieser Turbinen hat eine Nominalkapazität von 280 MW. Für diese gewährte die Bundesregierung im Dezember 2012 eine Exportkreditgarantie (Hermes-Bürgschaft) über 73 Millionen US-Dollar, zur Deckung des Kreditvertrages durch die Banco Santander.

Und es gibt die Versicherer. Der kolumbianische Staudammbetreiber Isagen wirbt auf seiner Internetseite mit einer Präsentation mit den für den Staudamm Hidrosogamoso erfolgreich unter Vertrag genommenen Rückversicherern: Allianz, Munich Re, Hannover Re, Zurich, Lancashire und weiteren nicht genannten. Die lokalen Versicherer, wird eine Seite zuvor verraten, sind Colseguros mit 60% der Versicherung des Staudamms Hidrosogamoso, Suramericana und La Previsora SA mit je 20% des Staudamms. La Previsora SA ist ein halbstaatlicher kolumbianischer Versicherungskonzern, Suramericana gehört zu 18.9% der Munich Re und Colseguros ist eine 100%-ige Allianz-Tochter.

Was sind denn die Kriterien der Versicherer, ob ein Staudammprojekt den Nachhaltigkeits- und sozialen Kriterien entspricht? Versicherer und Rückversicherer entschieden sich dabei für zwei Prinzipien: für die UN-Principles for Responsible Investment (PRI) und UN-Principles for Sustainable Insurance (PSI). Die UN-Prinzipien für verantwortungsvolles Investment beinhalten sechs Prinzipien, die für Kapitalanlagen gelten, also Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsthemen sollen in die Analyse- und Entscheidungsprozesse im Investmentbereich einbezogen werden, Transparenz geübt werden, Kooperation gepflegt werden und über all das regelmäßig Bericht erstattet werden. Neben den allfälligen Fragen, wie konkret denn Begriffe wie „angemessen“, „vorantreiben“, „steigern“ oder „Fortschritte“ mit Leben in Fragen für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung gefüllt werden können, müssen sich die PRI vor dem Hintergrund der Sinnhaftigkeit und Effektivität in Menschenrechts- und Umweltfragen letztlich ebenfalls der Gretchenfrage stellen: Wie hältst Du es mit der rechtlichen Durchsetzbarkeit der Verantwortung gegenüber den Folgen Deines Handelns?

Die UN-Prinzipien für nachhaltiges Versichern PSI hingegen betreffen nicht die Investitionen, sondern das eigentliche Kerngeschäft der Versicherer, die Erst- und Rückversicherung. Den vier PSI-Prinzipien zufolge sollen ESG-Aspekte 1) in die Arbeit eingebunden, 2) das Bewusstsein dafür geschärft und 3) gesellschaftsübergreifend gefördert werden sowie 3) diesbezügliche Transparenz und Berichterstattung erfolgen. Nur: Es sind wiederum nur allgemeine Absichtserklärungen, denen von Kritiker/innen Zahnlosigkeit vorgeworfen wird. Vor dem Hintergrund des Hidrosogamoso-Staudamms geben Allianz und Münchener Rück dabei kein sonderlich gutes Bild ab (ganz zu schweigen von den bisherigen Erfahrungen der beiden Münchener Konzerne und ihrem Engagement beim Staudamm Belo Monte am Fluss Xingu in Brasilien).

Bemerkenswert ist bei Hidrosogamoso zudem  das Rückversicherungsengagement der Hannover Re. Denn die Thalanx-Tochter und M-Dax gelistete, nach eigenen Bekundungen drittgrößte Rückversicherin der Welt, erklärte bereits im Jahresbericht 2002 in Bezug auf Großstaudämme wie den chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm: „Aber die Zukunft dieser enormen Bauwerke ist unsicher. Die Nebenfolgen wie Verlust von langwährenden wirtschaftlich genutzten und bewohnten Gebieten sowie die ökologischen Impakte sind zu zerstörerisch.“

Wie aber kann es bei solcher Erkenntnis sein, dass ein Staudamm wie Hidrosogamoso, auf den genau diese Kriterien zutreffen, von der Risikobewertungsabteilung der Hannover Re dennoch das Plazet zur Erteilung einer Rückversicherungserlaubnis erhält?

Die Antwort darauf wäre vielleicht in den von der Hannover Re angewandten Kriterien zu finden. So findet sich im Bericht, den die Hannover Re im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der von den 1997 von Ceres in Partnerschaft mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gegründeten Global Reporting (GRI)-Initiative erstellt, die Aussage, dass ihre „Kontrollprozesse, durch die überprüft wird, ob Kunden ökologische und soziale Anforderungen in Verträgen und Transaktionen umsetzen und einhalten“ wie folgt ablaufen: „Wir motivieren unsere Kunden, sich auch in ihrem eigenen Interesse verstärkt mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und unterstützen sie bei der Entwicklung ihres Nachhaltigkeitsangebots. […] Monitoring-Mechanismen bezüglich der Einhaltung ökologischer und  sozialer Grundsätze bei unseren Zedenten haben wir nicht etabliert.“

Motivation ist schön, Kontrolle wäre wohl besser – wie der Fall Hidrosogamoso zeigt. Deutsche Versicherer und Rückversicherer haben offensichtlich noch ein erhebliches Potential, in Fragen von Nachhaltigkeit und Einhaltung von Menschenrechten sich endlich selbst robuste Kriterien zu geben. Wie sagte es der scheidende Vorstandsvorsitzende der Allianz, Michael Diekmann? „Aber es ist wie so oft im Leben: Wenn man mit sich selbst zufrieden ist, kommt die Überraschung, dass alle anderen das nicht genauso sehen. […] Die erste spontane Reaktion auf unserer Seite war defensiv“, sagte Diekmann. „Uns wurde schnell klar, dass wir trotz allen ehrlichen Bemühens vielleicht etwas zu opportunistisch unterwegs waren.“ Tja, vielleicht…

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https://blogs.taz.de/latinorama/kolumbien-verdammte-entwicklung-am-rio-sogamoso/

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kommentare

  • Lieber Mike,
    wenn das Thema des Artikels die Hoehe der Entschaedigung war, muss man auch entsprechende Zahlen liefern, um sich ein Urteil zu bilden. Wenn man nur die vermeintlich Betroffenen fragt, so werden die sich logischerweise immer beklagen. Da haben die Versicherer anscheinend besser recherchiert.

  • Lieber User 2015
    Es geht doch garnicht darum ob der Staudamm oder ein AKW gebaut wird. Es geht darum dass man den Menschen die darunter leiden fair entschädigt. Das der Staudamm regelmässige Mengen an Wasser ablaufen lässt um die Natur nicht mehr zu belasten als notwendig. Was hier passiert ist das sparen von einigen Dollars (im Verhältnis) an denen die sich nicht ausreichend wehren können um den gewinn zu optimieren und die Kosten nieder zu halten. Dass und nur das ist das Problem an dem Staudamm. Gier der Firmen auf Kosten von Mensch und Natur.

  • Kolumbien ist ein Schwellenland mit steigendem Energiebedarf. Soll man dort Atomkraftwerke bauen? Oder neue Kohlekraftwerke? Dann doch lieber die umweltfreundliche Loesung der Wasserkraft. Natuerlich muessen ein paar Bewohner umgesiedelt werden, aber das kann doch kein Hinderungsgrund fuer ein Kraftwerk sein, das 8 Prozent des Energiebedarfs von Kolumbien liefern wird. Und da der Stausee sicherlich ein Tourismusmagnet wird, koennen die betroffenen Kleingewerbetreibenden mit neuen Einkommensmoeglichkeiten rechnen.

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