Erst die Visite von Barack Obama, der in Kuba für Begeisterung sorgte, dann die Rolling Stones und nun Chanel. Kuba ist hip und für die Kubaner heißt das, sie bekommen Dinge zu sehen, die ihnen über Jahrzehnte vorenthalten wurden. Für die Schriftstellerin Wendy Guerra hat das Relevanz.
Den Catwalk von Chanel auf dem Prado, der einst mondänen Flaniermeile zwischen Altstadt und Centro Habana, hätte Wendy Guerra nur zu gern beobachtet. Die 45-jährige Schriftstellerin ist Kubas prominentester Fan von Haute Couture und so war sie von der Chanel Direktorin für Lateinamerika zur Präsentation der neuen Kollektion eingeladen worden. „Die Show hat Relevanz, denn erstmals haben wir Kubaner die Chance etwas zu sehen, was uns lange vorenthalten wurde – Farben, Schnitt, Haute Couture. Wir hatten sechzig Jahre so gut wie keinen Zugang zu Mode. Zudem kommt Chanel zu einem historischen Zeitpunkt“, so die Schriftstellerin, die gerade in Spanien weilt, um ihr neues Buch vorzustellen.
Guerra hofft, dass mit der Visite von Barack Obama eingefahrene Sichtweisen endlich zu den Akten gelegt werden. Doch sicher ist sich die Frau, die mit „Alle gehen fort“ eines der in Kuba kontrovers diskutierten, aber nie veröffentlichten Bücher über die Auswanderung geschrieben hat, nicht. „In Kuba ist alles kompliziert und die Logik hat hier oft keine Relevanz“, sagt sie schulterzuckend. Gleichwohl saugen die Kubaner auf, was ihnen geboten wird. Der Chanel-Event, der im Anschluss an den Catwalk in der Altstadt stattfinden wird, ist genauso ein Ereignis wie es das Konzert der Rolling Stones, wo sich Schätzungen zufolge Ende März rund 800.000 Menschen in der Ciudad Deportiva einfanden, war. Derartige Ereignisse bringen die neugierigen Kubaner auf Trapp. Dabei sein zählt, auch wenn die Stones in Kuba kaum mehr als ein kleiner Insiderkreis richtig kannte. „Rock hat in Kuba nie großen Stellenwert gehabt, das ist in Mexiko ganz anders“, erklärt Raúl Paz, Musiker und einst einer der wenigen Rock-Fans in seinem Jahrgang. Led Zeppelin war eine der Lieblingsbands des Kubaners, der lange in Frankreich lebte und dort auch regelmässig auf der Bühne steht.
Für ihn hatte das Rolling Stones-Konzert zwar Symbolcharakter, aber weniger, weil die Musik der Band einst verboten wurde, sondern sich die Kubaner überzeugen konnten, wie sich eine internationalen Band präsentiert. „Videoleinwände, Soundequipement, Licht- und Lasershow – all das ist in Kuba doch nicht gerade Standard“, erklärt der Musiker. Schmunzeln musste er, als er sah, dass die Rolling Stones wirklich überrascht waren, dass kaum ein Kubaner textfest war. „Hier ist der Fan-Kreis klein, die Beatles waren den Kubaner mit ihren poppigen Balladen immer näher“.
Konzert und Modeshow sorgen jedoch dafür, das Kuba wieder etwas mehr Anschluss an die Welt bekommt und das gefällt vor allem der Jüngeren. Ein Ereignis war auch die gestrige Ankunft des ersten US-amerikanischen Kreuzfahrtschiffs „Adonia“ im Hafen von Havanna seit 38 Jahren. Auch da ließen sich viele Kubaner den Anblick des Dämpfers der US-Gesellschaft Carnival bei der Einfahrt nicht entgehen. Es passiert was, also bin ich dabei, lautet das Motto. Das gilt auch für die Chanel-Präsentation, auch wenn die nicht für das große Publikum gedacht war. Schon Tage zuvor wurden die lokalen Verkäufer, die Ambulantes, angewiesen sich zu trollen und Zuschauer werden es schwer haben ein Blick auf die Models zu erhaschen. Immerhin die Hälfte von Ihnen sollen aus Kuba kommen – eine Geste an eine Nation, die, so Wendy Guerra, wieder dabei sein will.