Ein Lebensmittelladen in Havannas Altstadt – das Angebot ist schmal. #amihijolocuidoyo, mein Kind schütze ich, und #SchließtdieSchulen hießen die hashtags, unter denen Eltern in Kuba die Maßnahmen der Regierung zur Unterbindung der Verbreitung des Corona-Virus kritisierten. Nicht nachvollziehen konnten sie, dass in Kuba die Schulen weiter laufen sollten, während in vielen Nachbarländern die Bildungseinrichtungen bereits komplett geschlossen waren.
Geschichte. Am Montagabend hat auch die kubanische Regierung alle Bildungseinrichtungen der Insel ab dem Folgetag bis zum 20. April geschlossen. Kuba folgt nun also dem Beispiel vieler Nachbarländer und geht auch noch einen Schritt weiter: Alle Touristen, die sich noch auf der Insel befinden, werden, so Ministerpräsident Manuel Marrero im staatlichen Fernsehen, „unter Quarantäne“ gestellt. Laut der Regierung waren das am Montag noch rund 32.500 Urlaubende – darunter auch viele Deutsche.
Die Ankündigung Marreros sorgte für einen Sturm auf die Büros der Fluggesellschaften an Havannas 23. Straße, von denen aber einige kaum mehr Flüge anbieten können. Etliche Airlines haben den Flugbetrieb nach Havanna bereits eingestellt. Alle zurückbleibenden Touristen, so Marrero, sollen für die Quarantäne in staatlichen Hotels untergebracht werden und dürfen die Hotel nach ihrer Umquartierung nicht verlassen.
Die Maßnahmen, die Kubas Primerminister verkündete, gehen allerdings darüber hinaus, denn auch der öffentliche Transport zwischen den Provinzen Kubas wird untersagt, um die Verbreitung des Virus zu unterbinden. Bis zum Montag seien, so Marrero, 48 Menschen mit dem Virus infiziert worden – 20 davon mit internationalen Pässen und der Rest mit kubanischen Papieren. Bisher habe es ein Todesopfer gegeben, zwei weitere Patienten seien schwer an Covid-19 erkrankt. Doch bisher sei vielen Kubaner nicht klar wie hoch das Infektionsrisiko sei, denn es habe trotz aller Informationen große Parties gegebn und auch nicht alle Nachtclubs hätten sich an das Schließungsgebot nicht gehalten.Das müsse sich ändern, mahnte Ministerpräsident Marrero, der mit Präsident Miguerl Díaz-Canel die politische Doppelspitze der kubaniscchen Regierung bildet.
Insgesamt gab es am 24. März laut dem staatlichen Informationsportal „Cuba Debate“ 1229 Patienten, davon 174 Ausländer*innen und 1055 Kubaner*innen. Weitere 33.132 Personen befänden sich in Quarantäne und würden überwacht, so die Gesundheitsbehörden.
Virus trifft auf leere Kassen
Für die Regierung ist das Auftauchen des Coronavirus auf der Insel ein doppelte Drama. Zum einen trifft es den Tourismus, eine wichtige Devisenquelle, ins Mark, zum anderen verfügt Havanna kaum über Mittel, um die Notmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus zu finanzieren.
„Kuba lebt von der Hand in den Mund. Es gibt keine Rücklagen, die Lieferanten der Insel werden seit Jahren nur noch in Scheibchen bezahlt“, erklärt Omar Everlenxy Pérez, einst Ökonom im Dienste der Regierung und heute freier Wirtschaftsanalyst. Finanziell steht der Insel das Wasser bis zum Hals, letzter Beleg ist die Nichtbedienung des Umschuldungsabkommen mit dem Pariser Club, in dem mehrere staatliche Gläubiger vereint sind. Einige dieser Gläubiger haben ihre ausstehenden Tilgunsrate für 2019 nicht erhalten wie Spanien, Frankreich und Japan, durchaus enge Handelspartner der Insel. Der für den Schuldendienst mitverantwortliche Vize-Primierminister Ricardo Cabrisas bat bei einem Treffen des „Pariser Club“ im Februar um Nachsicht. Die Wirtschaftssanktionen der USA gegen sein Land hätten dazu geführt, dass der Finanztransfer nicht möglich war. Er bat die Mitglieder der Gläubigervereinigung um einen Aufschub bis Mai des Jahres.
„Doch mit der Coronakrise wird die Regierung auch im Mai nicht zahlungsfähig sein, trotz aller bereits laufenden Einsparungen“, so Pérez. „In den Straßen Havannas ist bereits seit Wochen Huhn so knapp wie noch nie, Wasch- und Reinigungsmittel sind ebenfalls rar und Hygieneartikel auch. Wir rutschen in eine existenzielle Krise“.
Die hat zwei Kernursachen: die Verschärfung der Sanktionsmaßnahmen gegen die Regierung in Havanna durch die US-Administration von Donald Trump sowie die ausbleibenden Wirtschaftsreformen auf der Insel. Dem US-Tourismus hat Donald Trump, der unter Kubaner*innen oft nur „der Verrückte“ genannt wird, in zwei Schritten den Stecker gezogen, mit Kuba zusammenarbeitende Banken unter Druck gesetzt, versucht den Austausch zwischen Venezuela und Kuba mit Sanktionen gegen Reedereien zu unterbinden und mit dem Inkraftsetzung des III. Kapitel des Helms-Burton-Gesetzes nimmt die USA auch in Kuba agierende ausländische Unternehmen in „Sippenhaft“.
Eine Flut von Prozessen läuft in den USA wegen der vermeintlichen Nutzung von US-amerikanischen Alteigentums auf der Insel. All das (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit) hat dazu geführt, dass Kuba seit 2016 vermehrt finanzielle Probleme plagen, die sich potenziert haben. Die Insel laviere am Rande der Zahlungsunfähigkeit, so ein deutscher Unternehmer, der seit Beginn der 1990er Jahre ein Büro in Havanna unterhält und mit spürbaren Außenständen zu kämpfen hat.
Der „Strangulierungspolitik“, wie die US-Sanktionen von kubanischer Seite genannt werden, steht ein Reformstau auf der Insel gegenüber. Die Agrarwirtschaft auf der Insel produziert nur rund 25-30 Prozent der Lebensmittel für die Versorgung der Bevölkerung, der Rest muss seit Mitte der 1990er Jahre importiert werden. Mehrere Agrarreformen sowie die Vergabe von Land an neue Kleinbauern haben daran nichts geändert.
Auch die seit 2011 diskutierte und mehrfach angekündigte Freigabe von Genossenschaften ist kaum vorangekommen. „Das betrifft den gesamten privaten Sektor. Seit dem Amtsantritt von Präsident Miguel Díaz-Canel im April 2018 hat sich die Regierung darauf konzentriert, die staatlichen Unternehmen zu stärken, alle Reformen im privaten Sektor sind auf Eis gelegt“, urteilt Pérez.
In Kubas Landwirtschaft tut sich zu wenig. Das liege an internen Widerständen, doch mit der sich abzeichnenden Krise könnte sich daran etwas ändern. „Wir brauchen produktive Unternehmen, dass ist die zentrale Herausforderung“, sagt Pérze. Auf allen Ebenen, doch der staatliche Sektor schwächelt zunehmend. Die Exporterlöse von Zucker, Nickel, Tabak, Rum sind insgesamt seit mehreren Jahren rückläufig, der Tourismus ging im letzten Jahr bereits um 9,5 Prozent zurück und in diesem Jahr dürfte der Rückgang existentielle Ausmasse annehmen. „Wir nähern uns der Sonderperiode in Friedenszeiten, wenn auch mit anderen Rahmendaten“, meint Pérez. Die Sonderperiode ist als markanteste Mangelperiode in der jüngeren kubanischen Geschichte eingegangen und prägte die 1990er Jahre. Diese Erinnerungen haben viele der älteren Kubaner derzeit vor Augen, denn die Schlangen vor den Lebensmittelläden in Havanna, aber auch in Santiago de Cuba sind chronisch lang. No hay, gibt es nicht ist immer öfter zu hören.
Beim Schlangestehen gilt es nun Abstand zu halten, wie die Regierung nun verfügt hat. Parallel dazu wird das öffentliche Leben heruntergefahren – einzig die Kindergärten sollen geöffnet bleiben – im Gegensatz zu den Nachbarländern. Zu allem Überfluss ist Havanna derzeit noch von Wasserknappheit gebeutelt – das wichtigste Staubecken weist nur einen Pegel von 20 Prozent auf und so gibt es in verschiedenen Stadtteilen Havannas nur alle paar Tage für ein paar Stunden Wasser.
Keine guten Voraussetzungen für das regelmäßige Händewaschen, welches so wichtig ist im Kampf gegen den Virus. Im Vergleich zu den Nachbarn hat die Insel aber immerhin ein flächendeckendes Gesundheitssystem mit gut ausgebildeten Ärzten – das ist ein kubanischer Trumpf. Allerdings fehlt es in vielen Labors und Kliniken an der Ausstattung – dazu gehören auch Kittel, Masken, Handschuhe und Co. Das Virus erreicht die Insel zum denkbar miesesten Zeitpunkt.