vonPeter Strack 14.04.2019

Latin@rama

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Ende März starb Ivan Nogales. Der bolivianische Theatermacher und Gründer von COMPA – Teatro Trono aus El Alto war einer der Hauptinitiatoren und Aktivisten der internationalen Basiskulturbewegung „Cultura Viva Comunitaria“ (siehe den Nachruf auf Latinorama). Er starb einen Tag nach der bolivianischen Premiere zu einem neuen Stück, das Teatro Trono gemeinsam mit dem Berliner Theater X erarbeitet hatte. Auf dem Rückweg von der Beerdigung sprachen wir mit Annika Füser und Ahmed Shah über diese spannende Kooperation.

Füser: Theater X ist ein kleines Community-Theater im Kiez Moabit. Wir sind schon länger im Kontakt mit Teatro Trono gewesen. Sie hatten Auftritte auf unseren Festival. Und vor drei Jahren haben wir zum Trono-Gründer Ivan Nogales gesagt: Lass uns doch mal zusammen ein Stück machen. Es gibt so viele Gemeinsamkeiten, aber auch spannende unterschiedliche Perspektiven. Und dann haben wir entschieden, das Stück um die Geschichte von Klaus Barbie zu entwickeln. Bei Barbie, dem Gestapo-Chef von Lyon und späteren Berater bolivianischer Militärdiktaturen gibt es eine direkte Verbindung zwischen Deutschland und Bolivien. Im Stück geht es vor allem um Kontinuitäten von Faschismus, Diktatur und Kolonialismus. Es geht um das Erstarken der Rechten und des Populismus überall auf der Welt und um die Frage, wie wir damit umgehen können. Dafür schauen wir die Geschichte und die Geschichten des Widerstands in beiden Ländern an.

Shah: Interessiert haben uns auch die Prozesse der Dekolonialisierung. Das ist zurzeit ein „Modebegriff“ in der interkulturellen Bildung. Dekolonialisierung kann nur durch die Kolonisierten selbst stattfinden. Also durch die, die das z.B. in Südamerika erlebt haben, oder die aus den Kolonien nach Deutschland gekommen sind und weiter als Kolonisierte behandelt werden. Das ergibt eine starke Verbindung. Erst wussten wir nicht, was Ivan Nogales mit seinen Thesen von der Dekolonisierung der Körper genau gemeint hatte. Wir haben aber in Berlin im Sinne des Körperarchivs den Körper von Klaus Barbie und den von Che Guevara als Beispiel genommen, den Arm von Che Guevara, den Arm von Klaus Barbie… was sind Ähnlichkeiten, was Unterschiede? Die Leute in El Alto fanden es wohl ganz interessant, wie wir ihre Ideen weiterentwickelt haben, ohne sie genau zu kennen. Aber hier in El Alto sind wir dem dann noch näher gekommen. Auch dass man nicht alles über Worte auszudrücken versucht.

Frage: Das hat Teatro Trono auch auf seinen Deutschland-Tournees gelernt, wo sie bei den Auftritten weitgehend ohne ihre spanische Sprache auskommen mussten, um sich verständlich zu machen.

Füser: Und wir haben es hier als deutschsprachiges Ensemble in El Alto auch lernen müssen. Ivan Nogales hat immer darüber gesprochen, wie man Inhalte mit Metaphern und Symbolen ausdrücken kann. Wir hatten das schon viel gemacht, aber hier in Bolivien ist der Impuls noch stärker, dies gemeinsam zu ergründen und die verschiedenen Stile der beiden Gruppen so einander näher zu bringen. Wir waren jetzt zwei Wochen in El Alto und hatten vier Proben. Mit 20 Leuten auf der Bühne haben wir versucht, die jeweiligen Bilder zusammen zu bringen. Manche waren sich auch vorher schon sehr ähnlich, obwohl wir zunächst getrennt versucht hatten, die historischen Gegebenheiten in Bilder zu packen. Beide hatten zum Beispiel die Szene einer Kokainparty entwickelt… mit Klaus Barbie, Diktatoren, Waffenhändlern, Geldwäschern und Besuch aus Deutschland. Einschließlich des Vertreters des Bundesnachrichtendienstes, der Barbie seine Abfindung aushändigt. Das mussten wir dann nur noch zusammen basteln.

La Plaga: Titelbild des Theaterstücks

Das Stück heißt „La Plaga“ (die Plage oder die Pest) und hat im Deutschen den Untertitel „Die Rückkehr der Ratten“. Die erste Inspiration dazu kam von der sogenannten Rattenlinie, dem Weg, über den Klaus Barbie und andere Nazis nach Südamerika geflohen sind. Aber wir verbinden damit auch die Idee des Untergrundes. Oben sieht alles schön sauber aus, aber in der Kanalisation verstecken sich die rechten Geister und sind immer noch präsent. Irgendwann kommen sie wieder heraus und in Deutschland ist man überrascht, dass Menschen wieder den Hitlergruß zeigen.

Frage: Und in Bolivien?

Füser: Die Kolleginnen und Kollegen vom Trono haben viel von einer Geschichtsvergessenheit im Lande gesprochen. Und dass die Gräuel der Diktaturen immer noch nicht aufgearbeitet worden sind. Deshalb fängt das Stück mit dem Satz an: „Ich komme aus einem Land, das die Erinnerung verloren hat.“ Die Tronos wollen an die Geschichte auch deshalb erinnern, weil in Bolivien heute von Evo Morales als Diktator geredet wird. Andere meinen, das Land brauche wieder einen starken Mann, einen Diktator. Das ist auch ein Satz von Barbie, dass Bolivien nicht zur Demokratie fähig sei, sondern eine starke Führung benötige. Spannend ist, wie wir in Deutschland diskutieren, dass wir eine starke linke Bewegung benötigen. Aber was bedeutet das in Bolivien, wo eine linke Partei regiert, an der man vielleicht auch Kritik hat. Wenn wir uns in den Diskussionen für die Linke eingesetzt haben und dann hörten, dass die Linke vielleicht gar nicht so gut ist, zeigt das die Komplexität.

Frage: Insbesondere die traditionellen indigenen Bewegungen haben mit Linken manchmal ihre Probleme

Füser: Gerade gab es den Protestmarsch der Khara Khara aus Chuquisaca nach La Paz (Anm.: die ihre in der Verfassung verankerten kollektiven Land- und politischen Vertretungsrechte bedroht sehen). Als sie in La Paz ankamen, wollte sie erst niemand aufnehmen, weil sie Repression von der Regierung befürchteten. Die Polizei kam, um alle Daten aufzunehmen. Früher wusste man, was links und was rechts und wer der Diktator ist, der verschwinden musste. Heute ist das komplexer geworden.

Shah: Die Kulturinitiative Inti Phajsi hat die Marschierenden am Ende aufgenommen. Aber andere, mit denen wir gesprochen haben, meinten, man solle sie besser nicht unterstützen, weil das nur der Rechten in die Hände spiele. Ich dachte mir: Nun gut, vielleicht mag man ja Evo Morales wählen, weil es keine bessere Alternative gibt. Aber gerade der Protest und Widerstand könnte den Präsidenten an seine ursprünglichen Ziele und Ideale erinnern. Nur aus Angst vor der Rechten darf man die Bewegung nicht opfern. Leute, die ackern, die ohne Parteistrukturen auf dem Weg sind und von unten etwas erreichen… da weiss ich, dass ich auf ihrer Seite bin.

Beim Ideal der Emanzipation sind wir uns mit den Tronos einig gewesen. Das heißt, sich selbst zu befreien und dabei nicht nach oben zu schauen. Ivan Nogales hat das hierarchische oder wie er es nennt pharaonische Dreieck dem kommunitären Kreis gegenübergestellt, zum Beispiel mit Ämterrotation. Und egal, ob er solche Ideen von Marx, Bakunin oder wem auch immer hatte, Ivan zielte darauf, dass das kommunitäre nicht verloren geht, wenn Strukturen entstehen oder neue Gruppen an die Regierung kommen. Da spürt man eine große Enttäuschung in Lateinamerika nicht nur in Bezug auf autoritäre Strukturen, sondern auch in Bezug auf die nicht eingehaltenen Versprechen von Evo Morales an die indigenen Völker, aus denen er ja selbst kommt. Die Pseudobewegungen etwa eines Bolsonaro sind nur entstanden, weil man geglaubt hat, taktisch eine Partei wählen zu müssen, die behauptet links zu sein, statt darauf zu schauen, wie sie sich denjenigen gegenüber verhalten, die von unten kommen.

Frage: Wie geht es jetzt weiter mit dem Theaterstück?

Füser: Wir werden aufgrund der Erfahrungen und Diskussionen hier weiter am Stück arbeiten. Im Mai wird es den Gegenbesuch der Theatergruppe Trono in Deutschland geben. Da werden wir auch eine Gedenkfeier für Ivan Nogales für alle Mitstreiter*innen organisieren, die in Deutschland sind. Damit auch andere Menschen Geschichten über ihn erzählen und an ihn erinnern können. Und am zweiten Juniwochenende wird es am Donnerstag, den 6. Juni die Premiere einer neuen Version des Stückes voraussichtlich im Theater X geben. Im Anschluss wird es dann auch zusammen mit den Tronos bei unserem internationalen Jugendtheatercamp aufgeführt (Samstag 8.6. und Sonntag de 9.6). Das Camp dient als Vorbereitung für das internationale Jugendtheaterfestival FESTIWALLA im April 2020.

Shah: Da soll der Blick auf Europa von unten, aber auch von außen gezeigt werden, wo Europa anders aussieht. Ich glaube, üblicherweise gibt es viel Theaterexport aus Europa. Da heißt es, so muss Theater sein. Aber vieles ist langweilig. Diesbezüglich können wir viel lernen von dem Community-Theater wie es es zum Beispiel in El Alto gibt und das auch unserer Art von Theater ähnelt. Diese „Cultura Viva Comunitaria“, die lebendige Viertelkultur, die Ivan mit so romantischen Worten beschrieben hat. Das klang manchmal etwas kitschig, aber in El Alto wird das ernst genommen. Es ist auch etwas anderes als nur blumige Worte, wenn es in den konkreten Personen verankert ist, wenn es wie bei Ivan Nogales mit Poesie verbunden ist und mit Körpern dargestellt wird. Diese Saat wollen wir mit nach Europa nehmen und schauen, ob sie auch dort aufgeht.

 

Fotos: Grover Flores Espejo, mit Ausnahme des Gruppenfotos: Theater X/Compa-Teatro Trono

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