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vonGerhard Dilger 13.08.2024

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16 Euro muss man in der „Casa de Colombia“ für eine arepa berappen, einen gefüllten Maisfladen. Ein Sportfunktionär, so hört man durch den Zaun, feiert die drei kolumbianischen Silbermedaillen und „unseren großen Dichter“ Gabriel García Márquez. Unweit davon, im „Club France“, verfolgen Tausende Fans in blauen Trikots vor den Leinwänden die Finalniederlage „ihrer“ Handball-Damen gegen Norwegen, und das Bier fließt zu Pariser Preisen. Eindrücke kurz vor dem Abschluss der Spiele im „Nationenpark“, so nennt sich jetzt der Parc de la Villette im Nordosten der kurzzeitigen Welthauptstadt.

Schlangestehen für arepas und mehr.

Am anderen Ende von Paris, im sino-vietnamesischen Viertel des 13. Bezirks, haben die Olympischen Spiele die Lokale leergefegt. „Die U-Bahn-Tickets kosten jetzt das Doppelte, und wer zu einer Veranstaltung geht, hat kein Geld mehr zum Ausgehen“, klagt Piseth Song, der Betreiber des Restaurants „Indochine“. Am frühen Abend verlieren sich gerade fünf Gäste auf der Terrasse. „Wir machen nur noch 40 Prozent so viel Umsatz wie sonst im August“, versichert der Enddreißiger – und das, obwohl seine besten Gerichte so viel kosten wie eine kleine arepa in der Villette.

Olympia-Paris wird vor allem von Zugereisten aus der französischen Provinz, aus den USA, aus Deutschland und Brasilien bevölkert, so das Touristen-Ranking während der Abschlussfeier. Umsonst sind nur die Handy-Porträts, die die polyglotten Freiwilligen, oft Studierende, von den Besuchern auf den Seine-Brücken schießen. Die wiederum recken ihre Köpfe gutgelaunt durch einen Paris-2024-Papprahmen – dabei sein ist alles.

Der Kolumbianer Carlos Restrepo war als Freiwilliger dabei. Sein einziger Lohn: Die Uniform.

Das Megaevent hat besser funktioniert als erwartet: Kein Terroranschlag, prächtiges Wetter und Paris als spektakuläre und einigermaßen „nachhaltige“ Kulisse. Nächstes Jahr soll die Seine noch ein bisschen sauberer sein, heißt es jetzt. „Grüne, klimaneutrale Spiele“, wie einmal versprochen, waren es nicht, schon wegen der Flugreisen.

Auch die Sozialbilanz ist durchwachsen. Für gut 90 Euro konnte man auch noch kurzfristig vormittags dreieinhalb Stunden Leichtathletik im Stade de France genießen, allerdings nur Ausscheidungswettbewerbe. Der 20-minütige Fußweg vom Bahnhof bis zum Stadion war von schwerbewaffneten Spezialeinheiten der Polizei gesäumt.

Viele der 130.000 Einwohner:innen von Saint-Denis sind froh, dass dieser „Belagerungszustand“ jetzt zu Ende geht. Die Stadt vor den Toren von Paris weist eine Armutsquote von 36 Prozent auf, jeder dritte Jugendliche ist arbeitslos.

abo

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„All das ist ohne Abstimmung mit der Bevölkerung entschieden worden“, weiß Alexandre Schon vom lokalen Olympia-Kontrollkomitee. Der engagierte Geographielehrer berichtet von  „Technokaten und Politikern, die zu wissen glauben, was gut für die Leute ist“. Was bleibt, ist Gentrifizierung: Die Wohnungen im Olympischen Dorf werden demnächst für 7.000 Euro pro Quadratmeter feilgeboten.

„Die unerschwinglichen, vom Organisationskomitee für die verschiedenen Veranstaltungen erhobenen Preise haben die Massen, die man hätte erreichen sollen, ferngehalten“, wurde ein renommierter französischer Trainer in der Humanité zitiert – das allerdings schon anlässlich der Pariser Spiele vor genau hundert Jahren. Das stimmte damals, wie es diesmal zutraf – und dennoch ist die Rechnung des IOC aufgegangen: Fast zehn Millionen Tickets wurden abgesetzt, neuer olympischer Rekord. Vor allem aber produzierte Olympia gute Stimmung, bewegende Geschichten, die allerdings angesichts der Fülle der Wettkämpfe eher selektiv wahrgenommen wurden.

Die Einheimischen erfreuten sich in den Fanmeilen und zumeist am Fernsehgerät der unerwartet hohen Medaillenzahl für die „Blauen“. Die Marseillaise wurde nicht nur bei den Siegerehrungen für die überragenden Judoka mit dem karibischen Superstar Teddy Riner aus Guadeloupe geschmettert. In Brasilien beispielsweise lag der Fokus der Berichterstattung auf den siegreichen Beachvolleyballerinnen und den Fußballerinnen um Marta – vor allem aber der afrobrasilianischen Turnerin Rebeca Andrade, die beim Bodenturnen den US-Superstar Simone Biles übertrumpfte.

Sororité: Simone Biles, Rebeca Andrade, Jordan Chiles (Foto: AP).

Bei der olympischen Globalisierung setzt sich die neokoloniale Ausbeutung des Globalen Südens fort, wenn auch vielfach gebrochen und individuell selten so empfunden. Ein besonders drastisches Beispiel für diesen „brain drain“ war beim Dreisprung zu sehen: Das Podium teilten sich drei Kubaner, die für Spanien, Portugal und Italien antraten. Der Niedergang der kubanischen Sportnation hat aber noch andere Wurzeln.

Wie wird sich Olympia auf die innenpolitische Situation in Frankreich auswirken, die jetzt wieder langsam in den Vordergrund rückt? Präsident Emmanuel Macron, der immer wieder aus seinem Feriendomizil am Mittelmeer anreiste, um sich mit siegreichen Olympioniken zu zeigen, würde seine „olympische Waffenruhe“ am liebsten bis in den September ausweiten und einen moderaten Konservativen zum Premierminister berufen. Für das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, das in der zweiten Runde der Parlamentswahlen eine relative Mehrheit erzielte, legt sich Lucie Castets ins Zeug. Die junge Spitzentechnokratin schritt jetzt in der Illustrierten Paris-Match zum Coming Out für die Öffentlichkeit.

Vor allem die Sozialist:innen, besonders die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, wollen sich jetzt die Olympia-Lorbeeren an die Brust heften. Der klare Olympiaverlierer, das zeigte seine Sprachlosigkeit, ist hingegen der ultrarechte Rassemblement National (RN): Die triumphierende bunte Sportnation Frankreich war der gelebte Alptraum aller Rassisten.

 

 

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